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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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wegen, aber bei alledem hält er ihn für im höchsten Grade unrein, einmal
weil er ein Fremder ist, dann weil er alles Eßbare ißt, selbst das Fleisch der
für heilig gehaltenen Kuh. Eines Tages erzählte ein Partie einem der Missio¬
näre in Ghazipur, daß ein Hindu ihn gefragt, wie es nur möglich sei, in das
Haus des Patri zu gehen ohne sich zu verunreinigen. Als der Partie ver¬
sicherte, daß er sich dadurch nicht verunreinige, erwiderte jener, daß dies wohl
nur von dem Partie als einem Brahmanen gelte, ein Mann von niederer Kaste
dagegen würde ganz gewiß unrein. In andern Ländern lebt der Missionär,
wenn er seine Aufgabe recht versteht, sich ganz in das Voll! hinein, besucht die
Heiden in ihren Hütten, arbeitet mit ihnen auf dem Felde und unterrichtet sie
in nützlichen Künsten und Lebensregeln. In Indien ist davon nicht die Rede.
Besucht der Missionär den Hindu, so darf er nur bis in die Veranda des Hau¬
ses kommen, höchstens erlaubt man ihm in ein leeres Zimmer zu treten. Da¬
hin kommt der Hausherr oder ein anderer Mann von der Familie, um mit ihm
zu sprechen; zur ganzen Familie läßt man ihn niemals, und man sucht alles zu
thun, daß er nicht irgendein Gefäß, namentlich einen Krug, Topf oder Kessel
berührt. Einer unsrer Missionäre ging einmal in die Hütte seines Wäschers,
weil das Dach baufällig war. Unversehens kam er dem Platze, wo sich das
Kochgeschirr befand, ein klein wenig zu nahe. Da schrie ihn der Mann, sein
Diener, an, er möge sich doch nur in Acht nehmen; denn sonst würde ihm all
sein Zeug unrein. Bei einer Fahrt auf dem Ganges waren die Hinduschiffer
unsres Berichterstatters einmal ans Ufer gegangen, um sich auf einem kleinen
Feuerheerd, den sie, wie üblich, zum Schutz gegen Verunreinigung in einiger
Entfernung mit einem kreisrunden niedrigen Erdwall umgaben, ihr Essen zu
kochen. Da ereignete es sich, daß unser Missionär, in der Dunkelheit nach dem
Fahrzeug zurückkehrend, wider Wissen und Willen durch den um den Heerd ge¬
zognen Zauberkreis ging, worauf die Bootsleute augenblicklich sagten: "Ap ne
hamara khana bigar diye" d. h. Sie haben unser Essen verdorben, und sofort
die Speisen wegwarfen.

"Als mein College," erzählt unser Missionär weiter, "eines Tages in die
Schule ging, kam ihm der Hindulchrer entgegen und sagte, er müsse ein neues
Wassergefäß haben; denn in das bisher gebrauchte sei ein Stück Brod gefallen,
und da man nicht wissen könne, ob es von einem Christen oder Muhamme-
daner wäre, in welchem Falle nicht nur das Wasser, sondern auch das Gefäß
verunreinigt wäre, so könne man nicht mehr daraus trinken. Mein Freund
suchte ihn zu belehren, aber vergeblich, und da letzterer sich weigerte, ein neues
Gefäß zu besorgen, so beschaffte der Lehrer eins."

Aehnliche Beispiele enthält unsere Schrift noch eine ganze Anzahl. Will
der Missionär einen Brahmanen anreden, so muß er das aus einiger Entfer¬
nung thun; denn zu große Annäherung eines Christen verunreinigt den abe-


wegen, aber bei alledem hält er ihn für im höchsten Grade unrein, einmal
weil er ein Fremder ist, dann weil er alles Eßbare ißt, selbst das Fleisch der
für heilig gehaltenen Kuh. Eines Tages erzählte ein Partie einem der Missio¬
näre in Ghazipur, daß ein Hindu ihn gefragt, wie es nur möglich sei, in das
Haus des Patri zu gehen ohne sich zu verunreinigen. Als der Partie ver¬
sicherte, daß er sich dadurch nicht verunreinige, erwiderte jener, daß dies wohl
nur von dem Partie als einem Brahmanen gelte, ein Mann von niederer Kaste
dagegen würde ganz gewiß unrein. In andern Ländern lebt der Missionär,
wenn er seine Aufgabe recht versteht, sich ganz in das Voll! hinein, besucht die
Heiden in ihren Hütten, arbeitet mit ihnen auf dem Felde und unterrichtet sie
in nützlichen Künsten und Lebensregeln. In Indien ist davon nicht die Rede.
Besucht der Missionär den Hindu, so darf er nur bis in die Veranda des Hau¬
ses kommen, höchstens erlaubt man ihm in ein leeres Zimmer zu treten. Da¬
hin kommt der Hausherr oder ein anderer Mann von der Familie, um mit ihm
zu sprechen; zur ganzen Familie läßt man ihn niemals, und man sucht alles zu
thun, daß er nicht irgendein Gefäß, namentlich einen Krug, Topf oder Kessel
berührt. Einer unsrer Missionäre ging einmal in die Hütte seines Wäschers,
weil das Dach baufällig war. Unversehens kam er dem Platze, wo sich das
Kochgeschirr befand, ein klein wenig zu nahe. Da schrie ihn der Mann, sein
Diener, an, er möge sich doch nur in Acht nehmen; denn sonst würde ihm all
sein Zeug unrein. Bei einer Fahrt auf dem Ganges waren die Hinduschiffer
unsres Berichterstatters einmal ans Ufer gegangen, um sich auf einem kleinen
Feuerheerd, den sie, wie üblich, zum Schutz gegen Verunreinigung in einiger
Entfernung mit einem kreisrunden niedrigen Erdwall umgaben, ihr Essen zu
kochen. Da ereignete es sich, daß unser Missionär, in der Dunkelheit nach dem
Fahrzeug zurückkehrend, wider Wissen und Willen durch den um den Heerd ge¬
zognen Zauberkreis ging, worauf die Bootsleute augenblicklich sagten: „Ap ne
hamara khana bigar diye" d. h. Sie haben unser Essen verdorben, und sofort
die Speisen wegwarfen.

„Als mein College," erzählt unser Missionär weiter, „eines Tages in die
Schule ging, kam ihm der Hindulchrer entgegen und sagte, er müsse ein neues
Wassergefäß haben; denn in das bisher gebrauchte sei ein Stück Brod gefallen,
und da man nicht wissen könne, ob es von einem Christen oder Muhamme-
daner wäre, in welchem Falle nicht nur das Wasser, sondern auch das Gefäß
verunreinigt wäre, so könne man nicht mehr daraus trinken. Mein Freund
suchte ihn zu belehren, aber vergeblich, und da letzterer sich weigerte, ein neues
Gefäß zu besorgen, so beschaffte der Lehrer eins."

Aehnliche Beispiele enthält unsere Schrift noch eine ganze Anzahl. Will
der Missionär einen Brahmanen anreden, so muß er das aus einiger Entfer¬
nung thun; denn zu große Annäherung eines Christen verunreinigt den abe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/330>, abgerufen am 29.06.2024.