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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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setzte, überlebensgroße Figur des heiligen Georg (nach einem mittelalterlichen
in Venedig befindlichen Muster) angebracht. Es entspricht derselben die Gestalt
des heiligen Florian, welche das überaus malerische Küchenhäuschen ziert.
Beide Figuren sind Arbeiten des Bildschnitzers Klotz, den der Erbprinz zur
Gründung einer Bildschnitzerschule von Tirol nach Sonneberg berufen hat.
Das Ganze ist,, wie man erkennt, die veredelnde und mit freiem Geschmack
ausgeführte Nachahmung verzierter Bauten der Art, wie man sie in den
Alpen findet.

Uns dünkt, daß dem Zusammenwirken des Architekten, des Malers und
des Bildhauers, wie Schinkel es für den Prachtbau forderte und begründete,
auch für den Privatbau eine Zukunft blühe. Hoffen wir wenigstens, daß die
Zeit vorüber ist, in welcher das Haus nur zur ungesellschaftlichen Abschließung
des privaten Lebens diente, alles Schöne ins Innere verlegt wurde und die
barbarische, form- und schmucklose Außenseite den von der Allgemeinheit ab¬
gekehrten troglodytischen Sinn seines Bewohners bekundete. Wie gesellig und
wohlthuend dagegen der altere städtische Bau! Was ist es denn eigentlich, daS
uns in Städten wie Hildesheim, Braunschweig, Nürnberg, Landshut so fröh¬
lich anheimelt und uns sofort das beklemmende Gefühl der Vereinsamung
nimmt? Es ist der gesellige Charakter ihrer Architektur. Das Ganze ist wie
eine gütig geöffnete permanente Kunstausstellung, nicht aus tausend Verstecken
in belästigende Enge zusammengeborgt, um uns für einen Tag im Jahre zu
übersättigen, sondern organisch geordnet, reichlich mit gesunder Gewöhnlichkeit
durchsetzt, sich überall selbst erläuternd. Den Bürgern dieser Städte, wie sie
ehedem waren, genügte es nicht, sich und ihre Familien wohnlich unterzubringen,
sondern ein kräftiger Trieb zur Oeffentlichkeit ließ sie auch an das Behagen der
großen städtischen Familie denken, welcher anzugehören ihnen ein Stolz war.
Und so schufen sie, emsig sinnend und reiche Mittel spendend, ein lebendig
Individuelles, das sich schön in das lebendige Ganze einfügte. Damals war
es vorwiegend der Bildschnitzer, der das Haus verzierte, aber es giebt doch
auch Beispiele, wo neben ihm dem Maler Raum gegeben wurde. So steht
am Markte zu Hildesheim ein prachtvolles Haus mit kräftig ausladenden Etagen,
wo die breiten Schrägungen zwischen den geschnitzten Cvnsolhölzern bis zum
höchsten Stocke hinauf mit Oelmalereien bedeckt sind. Es ist nicht zu sagen,
einen wie heiteren, fröhlichen Eindruck dieses Haus macht.

Es mag höchst überflüssig scheinen, in einer Zeit, in welcher die neu °"r-
wacht? Lebenskraft sich zunächst als Lust am Erfinden und Erwerben und an
der Massenproduktion offenbart, an den gesellig-ästhetischen Sinn der Vorfahren
zu erinnern, "uf ein zeitgenössisches Beispiel gleicher Tugend aufmerksam zu
machen und Nachfolge zu predigen. Aber irren wir nicht, so vollzieht sich
grade in denjenigen unserer Städte, welche am meisten aus das Erwerben und


setzte, überlebensgroße Figur des heiligen Georg (nach einem mittelalterlichen
in Venedig befindlichen Muster) angebracht. Es entspricht derselben die Gestalt
des heiligen Florian, welche das überaus malerische Küchenhäuschen ziert.
Beide Figuren sind Arbeiten des Bildschnitzers Klotz, den der Erbprinz zur
Gründung einer Bildschnitzerschule von Tirol nach Sonneberg berufen hat.
Das Ganze ist,, wie man erkennt, die veredelnde und mit freiem Geschmack
ausgeführte Nachahmung verzierter Bauten der Art, wie man sie in den
Alpen findet.

Uns dünkt, daß dem Zusammenwirken des Architekten, des Malers und
des Bildhauers, wie Schinkel es für den Prachtbau forderte und begründete,
auch für den Privatbau eine Zukunft blühe. Hoffen wir wenigstens, daß die
Zeit vorüber ist, in welcher das Haus nur zur ungesellschaftlichen Abschließung
des privaten Lebens diente, alles Schöne ins Innere verlegt wurde und die
barbarische, form- und schmucklose Außenseite den von der Allgemeinheit ab¬
gekehrten troglodytischen Sinn seines Bewohners bekundete. Wie gesellig und
wohlthuend dagegen der altere städtische Bau! Was ist es denn eigentlich, daS
uns in Städten wie Hildesheim, Braunschweig, Nürnberg, Landshut so fröh¬
lich anheimelt und uns sofort das beklemmende Gefühl der Vereinsamung
nimmt? Es ist der gesellige Charakter ihrer Architektur. Das Ganze ist wie
eine gütig geöffnete permanente Kunstausstellung, nicht aus tausend Verstecken
in belästigende Enge zusammengeborgt, um uns für einen Tag im Jahre zu
übersättigen, sondern organisch geordnet, reichlich mit gesunder Gewöhnlichkeit
durchsetzt, sich überall selbst erläuternd. Den Bürgern dieser Städte, wie sie
ehedem waren, genügte es nicht, sich und ihre Familien wohnlich unterzubringen,
sondern ein kräftiger Trieb zur Oeffentlichkeit ließ sie auch an das Behagen der
großen städtischen Familie denken, welcher anzugehören ihnen ein Stolz war.
Und so schufen sie, emsig sinnend und reiche Mittel spendend, ein lebendig
Individuelles, das sich schön in das lebendige Ganze einfügte. Damals war
es vorwiegend der Bildschnitzer, der das Haus verzierte, aber es giebt doch
auch Beispiele, wo neben ihm dem Maler Raum gegeben wurde. So steht
am Markte zu Hildesheim ein prachtvolles Haus mit kräftig ausladenden Etagen,
wo die breiten Schrägungen zwischen den geschnitzten Cvnsolhölzern bis zum
höchsten Stocke hinauf mit Oelmalereien bedeckt sind. Es ist nicht zu sagen,
einen wie heiteren, fröhlichen Eindruck dieses Haus macht.

Es mag höchst überflüssig scheinen, in einer Zeit, in welcher die neu °«r-
wacht? Lebenskraft sich zunächst als Lust am Erfinden und Erwerben und an
der Massenproduktion offenbart, an den gesellig-ästhetischen Sinn der Vorfahren
zu erinnern, «uf ein zeitgenössisches Beispiel gleicher Tugend aufmerksam zu
machen und Nachfolge zu predigen. Aber irren wir nicht, so vollzieht sich
grade in denjenigen unserer Städte, welche am meisten aus das Erwerben und


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[0306] setzte, überlebensgroße Figur des heiligen Georg (nach einem mittelalterlichen in Venedig befindlichen Muster) angebracht. Es entspricht derselben die Gestalt des heiligen Florian, welche das überaus malerische Küchenhäuschen ziert. Beide Figuren sind Arbeiten des Bildschnitzers Klotz, den der Erbprinz zur Gründung einer Bildschnitzerschule von Tirol nach Sonneberg berufen hat. Das Ganze ist,, wie man erkennt, die veredelnde und mit freiem Geschmack ausgeführte Nachahmung verzierter Bauten der Art, wie man sie in den Alpen findet. Uns dünkt, daß dem Zusammenwirken des Architekten, des Malers und des Bildhauers, wie Schinkel es für den Prachtbau forderte und begründete, auch für den Privatbau eine Zukunft blühe. Hoffen wir wenigstens, daß die Zeit vorüber ist, in welcher das Haus nur zur ungesellschaftlichen Abschließung des privaten Lebens diente, alles Schöne ins Innere verlegt wurde und die barbarische, form- und schmucklose Außenseite den von der Allgemeinheit ab¬ gekehrten troglodytischen Sinn seines Bewohners bekundete. Wie gesellig und wohlthuend dagegen der altere städtische Bau! Was ist es denn eigentlich, daS uns in Städten wie Hildesheim, Braunschweig, Nürnberg, Landshut so fröh¬ lich anheimelt und uns sofort das beklemmende Gefühl der Vereinsamung nimmt? Es ist der gesellige Charakter ihrer Architektur. Das Ganze ist wie eine gütig geöffnete permanente Kunstausstellung, nicht aus tausend Verstecken in belästigende Enge zusammengeborgt, um uns für einen Tag im Jahre zu übersättigen, sondern organisch geordnet, reichlich mit gesunder Gewöhnlichkeit durchsetzt, sich überall selbst erläuternd. Den Bürgern dieser Städte, wie sie ehedem waren, genügte es nicht, sich und ihre Familien wohnlich unterzubringen, sondern ein kräftiger Trieb zur Oeffentlichkeit ließ sie auch an das Behagen der großen städtischen Familie denken, welcher anzugehören ihnen ein Stolz war. Und so schufen sie, emsig sinnend und reiche Mittel spendend, ein lebendig Individuelles, das sich schön in das lebendige Ganze einfügte. Damals war es vorwiegend der Bildschnitzer, der das Haus verzierte, aber es giebt doch auch Beispiele, wo neben ihm dem Maler Raum gegeben wurde. So steht am Markte zu Hildesheim ein prachtvolles Haus mit kräftig ausladenden Etagen, wo die breiten Schrägungen zwischen den geschnitzten Cvnsolhölzern bis zum höchsten Stocke hinauf mit Oelmalereien bedeckt sind. Es ist nicht zu sagen, einen wie heiteren, fröhlichen Eindruck dieses Haus macht. Es mag höchst überflüssig scheinen, in einer Zeit, in welcher die neu °«r- wacht? Lebenskraft sich zunächst als Lust am Erfinden und Erwerben und an der Massenproduktion offenbart, an den gesellig-ästhetischen Sinn der Vorfahren zu erinnern, «uf ein zeitgenössisches Beispiel gleicher Tugend aufmerksam zu machen und Nachfolge zu predigen. Aber irren wir nicht, so vollzieht sich grade in denjenigen unserer Städte, welche am meisten aus das Erwerben und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/306>, abgerufen am 29.06.2024.