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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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besseren Stunden und komm wieder! Und dann, wenn der innere Aufschwung
und die Reinigung erfolgt ist, süßes Gefühl der Verwandtschaft und die frohe
Entdeckung, das Kunstwerk verkläre nur das eigne bessere Selbst mit seinen
Idealen, das heißt, es hebe sie mächtig aus dem Wust des Gleichgiltigen her¬
aus und stelle sie rein und kräftig ausgesprochen hin. Das Kunstgebilde lehnt
im Genießenden die gemeine Wirklichkeit ab und verlangt den erhöheten Zu¬
stand; stilisirt wie es ist, fordert es, daß wir uns selber stilisiren, nämlich
Fühlung an das Ideal nehmen. Ein Werk, dem diese eigenthümliche Ver-
bindung von lebendiger Naturwahrheit und übergehauchter Fremdartigkeit fehlt,
ist schlechterdings kein Kunstwerk und kann einen Werth höchstens durch be¬
lehrende Eigenschaften oder durch stoffliches Interesse haben. Jedermann fühlt
sofort, wie wenig dieses und wie sehr jenes auf die richterschen Bilder paßt,
in wie hohem Maße sie jene poetische aus einer Stufenfolge verschiedener
Formulirungen sich zusammensetzende Differenz zwischen Urbild und Abbild auf¬
weisen, als welche der Stil sich fühlbar macht. Die großen Stoffe freilich
läßt Richter unberührt, aber auch die kleinen ertragen, wie er sie behandelt,
die anspruchsvollere Oeffentlichkeit, die man ihnen jetzt gegeben hat. Ja sie
scheinen recht dafür gemacht. Bedenkt man, daß die richterschen Compositionen
für das allgemeinste Verständniß gedacht sind, so ist es am Ende kein eigen¬
sinniger Gedanke, zu sagen, daß grade sie sich für die leserlichgrobe Schrift des
Fresko eignen, die für jeden geschrieben wird und die auch ein ungeübtes Auge
zu lesen vermag.

Natürlich denken wir dabei nicht an die Sphäre des höheren geistigen,
des staatlichen oder des öffentlichen religiösen Lebens. Den großen Zwecken
großartiger Gebäude gebührt auch der imposante Stoff und der erhabene Stil.
Aber an das Wohnhaus denken wir, an das Haus des Reichen, der wohl¬
meinend genug ist, auch den Umwohnenden freundlich erheiternden Anblick zu
gönnen. Und recht lebhaft wünschen wir, daß das Beispiel, von dem wir in
diesen Blättern Kunde gegeben haben, reiche Nachfolge finde. Vielleicht dient
es, indem wir zur Nachahmung auffordern, mit zwei Worten auch eine Vor¬
stellung von dem übrigen Schmucke des Hauses zu geben und wie Eins mit dem
Untern in erfreuliche Uebereinstimmung gebracht ist. Das Erdgeschoß der Villa
Feodora ist ganz mit mannigfaltigem sorgfältig gepflegtem Nankengcwächs um¬
hüllt, dessen oberste Schößlinge schon eine Gallerte erreicht haben, welche drei
Seiten des Hauses umläuft. Unter blühenden Akazien, zwischen Rosenhecken
oder Gebüschen von Rhododendron stehend oder in luftiger Veranda lustwandelnd
liebt man über den Bord der Gallerte hinweg die farbenglühenden Bilder.
Den Rest der weißen Wand schmücken etliche Scheiben, die nach tiroler Art
Jagdstücken bemalt sind. An einem Seitenvorsprunge des Hauses aber ist
Unter einem kleinen Baldachin die in Holz geschnitzte, in lebhafte Farben ge-


besseren Stunden und komm wieder! Und dann, wenn der innere Aufschwung
und die Reinigung erfolgt ist, süßes Gefühl der Verwandtschaft und die frohe
Entdeckung, das Kunstwerk verkläre nur das eigne bessere Selbst mit seinen
Idealen, das heißt, es hebe sie mächtig aus dem Wust des Gleichgiltigen her¬
aus und stelle sie rein und kräftig ausgesprochen hin. Das Kunstgebilde lehnt
im Genießenden die gemeine Wirklichkeit ab und verlangt den erhöheten Zu¬
stand; stilisirt wie es ist, fordert es, daß wir uns selber stilisiren, nämlich
Fühlung an das Ideal nehmen. Ein Werk, dem diese eigenthümliche Ver-
bindung von lebendiger Naturwahrheit und übergehauchter Fremdartigkeit fehlt,
ist schlechterdings kein Kunstwerk und kann einen Werth höchstens durch be¬
lehrende Eigenschaften oder durch stoffliches Interesse haben. Jedermann fühlt
sofort, wie wenig dieses und wie sehr jenes auf die richterschen Bilder paßt,
in wie hohem Maße sie jene poetische aus einer Stufenfolge verschiedener
Formulirungen sich zusammensetzende Differenz zwischen Urbild und Abbild auf¬
weisen, als welche der Stil sich fühlbar macht. Die großen Stoffe freilich
läßt Richter unberührt, aber auch die kleinen ertragen, wie er sie behandelt,
die anspruchsvollere Oeffentlichkeit, die man ihnen jetzt gegeben hat. Ja sie
scheinen recht dafür gemacht. Bedenkt man, daß die richterschen Compositionen
für das allgemeinste Verständniß gedacht sind, so ist es am Ende kein eigen¬
sinniger Gedanke, zu sagen, daß grade sie sich für die leserlichgrobe Schrift des
Fresko eignen, die für jeden geschrieben wird und die auch ein ungeübtes Auge
zu lesen vermag.

Natürlich denken wir dabei nicht an die Sphäre des höheren geistigen,
des staatlichen oder des öffentlichen religiösen Lebens. Den großen Zwecken
großartiger Gebäude gebührt auch der imposante Stoff und der erhabene Stil.
Aber an das Wohnhaus denken wir, an das Haus des Reichen, der wohl¬
meinend genug ist, auch den Umwohnenden freundlich erheiternden Anblick zu
gönnen. Und recht lebhaft wünschen wir, daß das Beispiel, von dem wir in
diesen Blättern Kunde gegeben haben, reiche Nachfolge finde. Vielleicht dient
es, indem wir zur Nachahmung auffordern, mit zwei Worten auch eine Vor¬
stellung von dem übrigen Schmucke des Hauses zu geben und wie Eins mit dem
Untern in erfreuliche Uebereinstimmung gebracht ist. Das Erdgeschoß der Villa
Feodora ist ganz mit mannigfaltigem sorgfältig gepflegtem Nankengcwächs um¬
hüllt, dessen oberste Schößlinge schon eine Gallerte erreicht haben, welche drei
Seiten des Hauses umläuft. Unter blühenden Akazien, zwischen Rosenhecken
oder Gebüschen von Rhododendron stehend oder in luftiger Veranda lustwandelnd
liebt man über den Bord der Gallerte hinweg die farbenglühenden Bilder.
Den Rest der weißen Wand schmücken etliche Scheiben, die nach tiroler Art
Jagdstücken bemalt sind. An einem Seitenvorsprunge des Hauses aber ist
Unter einem kleinen Baldachin die in Holz geschnitzte, in lebhafte Farben ge-


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[0305] besseren Stunden und komm wieder! Und dann, wenn der innere Aufschwung und die Reinigung erfolgt ist, süßes Gefühl der Verwandtschaft und die frohe Entdeckung, das Kunstwerk verkläre nur das eigne bessere Selbst mit seinen Idealen, das heißt, es hebe sie mächtig aus dem Wust des Gleichgiltigen her¬ aus und stelle sie rein und kräftig ausgesprochen hin. Das Kunstgebilde lehnt im Genießenden die gemeine Wirklichkeit ab und verlangt den erhöheten Zu¬ stand; stilisirt wie es ist, fordert es, daß wir uns selber stilisiren, nämlich Fühlung an das Ideal nehmen. Ein Werk, dem diese eigenthümliche Ver- bindung von lebendiger Naturwahrheit und übergehauchter Fremdartigkeit fehlt, ist schlechterdings kein Kunstwerk und kann einen Werth höchstens durch be¬ lehrende Eigenschaften oder durch stoffliches Interesse haben. Jedermann fühlt sofort, wie wenig dieses und wie sehr jenes auf die richterschen Bilder paßt, in wie hohem Maße sie jene poetische aus einer Stufenfolge verschiedener Formulirungen sich zusammensetzende Differenz zwischen Urbild und Abbild auf¬ weisen, als welche der Stil sich fühlbar macht. Die großen Stoffe freilich läßt Richter unberührt, aber auch die kleinen ertragen, wie er sie behandelt, die anspruchsvollere Oeffentlichkeit, die man ihnen jetzt gegeben hat. Ja sie scheinen recht dafür gemacht. Bedenkt man, daß die richterschen Compositionen für das allgemeinste Verständniß gedacht sind, so ist es am Ende kein eigen¬ sinniger Gedanke, zu sagen, daß grade sie sich für die leserlichgrobe Schrift des Fresko eignen, die für jeden geschrieben wird und die auch ein ungeübtes Auge zu lesen vermag. Natürlich denken wir dabei nicht an die Sphäre des höheren geistigen, des staatlichen oder des öffentlichen religiösen Lebens. Den großen Zwecken großartiger Gebäude gebührt auch der imposante Stoff und der erhabene Stil. Aber an das Wohnhaus denken wir, an das Haus des Reichen, der wohl¬ meinend genug ist, auch den Umwohnenden freundlich erheiternden Anblick zu gönnen. Und recht lebhaft wünschen wir, daß das Beispiel, von dem wir in diesen Blättern Kunde gegeben haben, reiche Nachfolge finde. Vielleicht dient es, indem wir zur Nachahmung auffordern, mit zwei Worten auch eine Vor¬ stellung von dem übrigen Schmucke des Hauses zu geben und wie Eins mit dem Untern in erfreuliche Uebereinstimmung gebracht ist. Das Erdgeschoß der Villa Feodora ist ganz mit mannigfaltigem sorgfältig gepflegtem Nankengcwächs um¬ hüllt, dessen oberste Schößlinge schon eine Gallerte erreicht haben, welche drei Seiten des Hauses umläuft. Unter blühenden Akazien, zwischen Rosenhecken oder Gebüschen von Rhododendron stehend oder in luftiger Veranda lustwandelnd liebt man über den Bord der Gallerte hinweg die farbenglühenden Bilder. Den Rest der weißen Wand schmücken etliche Scheiben, die nach tiroler Art Jagdstücken bemalt sind. An einem Seitenvorsprunge des Hauses aber ist Unter einem kleinen Baldachin die in Holz geschnitzte, in lebhafte Farben ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/305>, abgerufen am 29.06.2024.