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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Gewinnen gestellt sind, nach englischem Vorgange eine Wandlung, die einer
Veredlung des Hausbaues nicht ungünstig scheint. Es beginnt sich da --
z. B. in Hamburg und Bremen -- das Heimwesen vom Geschäft zu trennen
und die Stadt der Speicher und Comptoirs von einer Stadt der Wohnhäuser
umgürtet zu werden. Zeugt dies von Wohlhabenheit und dem Bedürfnisse
ausgedehnterer Räume, so ist damit zugleich wieder die Möglichkeit einer neuen
geschmackvollen Bauart gegeben und, während das in die Häuserreihe einge¬
klemmte Bauwerk, mit nur einer sichtbaren Seite, nur dem Bildhauer Raum
bot, dann, ängstlich überhöht und polizeilich in Reih und Glied eingewiesen
und zur senkrechten verdammt, kaum noch einer Verzierung fähig war. dehnen
sich hier an freistehenden Häusern, welche ihre Lage dem heimlichen Zwange der
Mode und der Gewohnheit ohnehin entrückt, dem Maler die wünschens-
Werthesten Flächen.

Und wozu müssen sie durchaus der Schablone des Töpfers und StuccateurS
ausgeliefert werden? Fehlt es dem Bildhauer, dem Maler an schicklichen Mo-
tiven zur verzierenden Arbeit? Wem jene Sphäre, aus welcher Richter zumeist
seine Stoffe greift, zu bald erschöpft scheinen sollte, den wollen wir an einen
andern unendlich reichen Schaß mahnen, der noch so gut wie unberührt ist. DaS
deutsche Märchen, die deutsche Sage sind fast blos erst zu Illustrationen ver-
Werthet. Daß das Märchen, allen bekannt und von allen geliebt, von den
Malern im Ganzen so wenig beachtet wurde, ist freilich zu verwundern. Minder
seltsam ist es, daß die Sage, entweder an die Eigenthümlichkeit örtlicher Ver¬
hältnisse oder an wirkliche Geschichte sich anschließend, der bildenden Kunst bisher
so wenig Nahrung gab. Denn die Localsage, die sich zwar vielfach wiederholt,
ist doch in der Form nicht constant, weist überall individuelle Züge auf und
trifft deshalb nicht auf allgemeines Verständniß; die historische Sage, an die
Scholle gefesselt, ist freilich eben da bekannt, wo sie entstanden, aber eben erst
im Begriff in das gelehrte Wissen einzugehen, ist sie in die populäre Allgemein¬
heit noch nicht hinausgedrungen. Nun aber, was sie dem Oelmaler minder
Kerthvoll erscheinen ließ, der gern unter Stoffen allgemeinsten Interesses seine
Auswahl hält, das eben macht sie für unsere Zwecke geeignet. Was schickt
sich besser ein Haus zu zieren, als das Kinder- und Hausmärchen. das man
uicht in der Kirche, nicht in der Schule, nicht auf dem Markte, sondern nur
im Hause hört und das sich so innig in unsere Haus- und Kindererinnerungen
verwebt? Als die Sage, die dem Boden entsprossen ist, auf dem es steht?
Voll sind die Städte von sagendurchwebten Geschichten, die nur der Stadt
Kinder wissen und einander erzählen: an jede Kirche, an jedes alte Haus, an
jedes Stück Ringmauer knüpfen sie sich an, und- irgendeine Verbindung findet
sich von jenen Menschen her, mit deren Namen sie sich durchflechten, zu denen,
die heute leben. Voll davon sind Berg und Thal und Wald und, man frage


Gewinnen gestellt sind, nach englischem Vorgange eine Wandlung, die einer
Veredlung des Hausbaues nicht ungünstig scheint. Es beginnt sich da —
z. B. in Hamburg und Bremen — das Heimwesen vom Geschäft zu trennen
und die Stadt der Speicher und Comptoirs von einer Stadt der Wohnhäuser
umgürtet zu werden. Zeugt dies von Wohlhabenheit und dem Bedürfnisse
ausgedehnterer Räume, so ist damit zugleich wieder die Möglichkeit einer neuen
geschmackvollen Bauart gegeben und, während das in die Häuserreihe einge¬
klemmte Bauwerk, mit nur einer sichtbaren Seite, nur dem Bildhauer Raum
bot, dann, ängstlich überhöht und polizeilich in Reih und Glied eingewiesen
und zur senkrechten verdammt, kaum noch einer Verzierung fähig war. dehnen
sich hier an freistehenden Häusern, welche ihre Lage dem heimlichen Zwange der
Mode und der Gewohnheit ohnehin entrückt, dem Maler die wünschens-
Werthesten Flächen.

Und wozu müssen sie durchaus der Schablone des Töpfers und StuccateurS
ausgeliefert werden? Fehlt es dem Bildhauer, dem Maler an schicklichen Mo-
tiven zur verzierenden Arbeit? Wem jene Sphäre, aus welcher Richter zumeist
seine Stoffe greift, zu bald erschöpft scheinen sollte, den wollen wir an einen
andern unendlich reichen Schaß mahnen, der noch so gut wie unberührt ist. DaS
deutsche Märchen, die deutsche Sage sind fast blos erst zu Illustrationen ver-
Werthet. Daß das Märchen, allen bekannt und von allen geliebt, von den
Malern im Ganzen so wenig beachtet wurde, ist freilich zu verwundern. Minder
seltsam ist es, daß die Sage, entweder an die Eigenthümlichkeit örtlicher Ver¬
hältnisse oder an wirkliche Geschichte sich anschließend, der bildenden Kunst bisher
so wenig Nahrung gab. Denn die Localsage, die sich zwar vielfach wiederholt,
ist doch in der Form nicht constant, weist überall individuelle Züge auf und
trifft deshalb nicht auf allgemeines Verständniß; die historische Sage, an die
Scholle gefesselt, ist freilich eben da bekannt, wo sie entstanden, aber eben erst
im Begriff in das gelehrte Wissen einzugehen, ist sie in die populäre Allgemein¬
heit noch nicht hinausgedrungen. Nun aber, was sie dem Oelmaler minder
Kerthvoll erscheinen ließ, der gern unter Stoffen allgemeinsten Interesses seine
Auswahl hält, das eben macht sie für unsere Zwecke geeignet. Was schickt
sich besser ein Haus zu zieren, als das Kinder- und Hausmärchen. das man
uicht in der Kirche, nicht in der Schule, nicht auf dem Markte, sondern nur
im Hause hört und das sich so innig in unsere Haus- und Kindererinnerungen
verwebt? Als die Sage, die dem Boden entsprossen ist, auf dem es steht?
Voll sind die Städte von sagendurchwebten Geschichten, die nur der Stadt
Kinder wissen und einander erzählen: an jede Kirche, an jedes alte Haus, an
jedes Stück Ringmauer knüpfen sie sich an, und- irgendeine Verbindung findet
sich von jenen Menschen her, mit deren Namen sie sich durchflechten, zu denen,
die heute leben. Voll davon sind Berg und Thal und Wald und, man frage


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[0307] Gewinnen gestellt sind, nach englischem Vorgange eine Wandlung, die einer Veredlung des Hausbaues nicht ungünstig scheint. Es beginnt sich da — z. B. in Hamburg und Bremen — das Heimwesen vom Geschäft zu trennen und die Stadt der Speicher und Comptoirs von einer Stadt der Wohnhäuser umgürtet zu werden. Zeugt dies von Wohlhabenheit und dem Bedürfnisse ausgedehnterer Räume, so ist damit zugleich wieder die Möglichkeit einer neuen geschmackvollen Bauart gegeben und, während das in die Häuserreihe einge¬ klemmte Bauwerk, mit nur einer sichtbaren Seite, nur dem Bildhauer Raum bot, dann, ängstlich überhöht und polizeilich in Reih und Glied eingewiesen und zur senkrechten verdammt, kaum noch einer Verzierung fähig war. dehnen sich hier an freistehenden Häusern, welche ihre Lage dem heimlichen Zwange der Mode und der Gewohnheit ohnehin entrückt, dem Maler die wünschens- Werthesten Flächen. Und wozu müssen sie durchaus der Schablone des Töpfers und StuccateurS ausgeliefert werden? Fehlt es dem Bildhauer, dem Maler an schicklichen Mo- tiven zur verzierenden Arbeit? Wem jene Sphäre, aus welcher Richter zumeist seine Stoffe greift, zu bald erschöpft scheinen sollte, den wollen wir an einen andern unendlich reichen Schaß mahnen, der noch so gut wie unberührt ist. DaS deutsche Märchen, die deutsche Sage sind fast blos erst zu Illustrationen ver- Werthet. Daß das Märchen, allen bekannt und von allen geliebt, von den Malern im Ganzen so wenig beachtet wurde, ist freilich zu verwundern. Minder seltsam ist es, daß die Sage, entweder an die Eigenthümlichkeit örtlicher Ver¬ hältnisse oder an wirkliche Geschichte sich anschließend, der bildenden Kunst bisher so wenig Nahrung gab. Denn die Localsage, die sich zwar vielfach wiederholt, ist doch in der Form nicht constant, weist überall individuelle Züge auf und trifft deshalb nicht auf allgemeines Verständniß; die historische Sage, an die Scholle gefesselt, ist freilich eben da bekannt, wo sie entstanden, aber eben erst im Begriff in das gelehrte Wissen einzugehen, ist sie in die populäre Allgemein¬ heit noch nicht hinausgedrungen. Nun aber, was sie dem Oelmaler minder Kerthvoll erscheinen ließ, der gern unter Stoffen allgemeinsten Interesses seine Auswahl hält, das eben macht sie für unsere Zwecke geeignet. Was schickt sich besser ein Haus zu zieren, als das Kinder- und Hausmärchen. das man uicht in der Kirche, nicht in der Schule, nicht auf dem Markte, sondern nur im Hause hört und das sich so innig in unsere Haus- und Kindererinnerungen verwebt? Als die Sage, die dem Boden entsprossen ist, auf dem es steht? Voll sind die Städte von sagendurchwebten Geschichten, die nur der Stadt Kinder wissen und einander erzählen: an jede Kirche, an jedes alte Haus, an jedes Stück Ringmauer knüpfen sie sich an, und- irgendeine Verbindung findet sich von jenen Menschen her, mit deren Namen sie sich durchflechten, zu denen, die heute leben. Voll davon sind Berg und Thal und Wald und, man frage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/307>, abgerufen am 29.06.2024.