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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Brüder Heinrich und August Spieß aus München -- von denen der eine an
der Ausführung der Wartburgsresken betheiligt war, und die zusammen, wenn
wir nicht irren, den Zwischenvorhang des Münchner Actientheaters malten --
haben dieselben nach Richters Handzeichnungen ins Große gebracht und im
letzten Sommer nach eigenen Farbenskizzen al treseo ausgeführt. Auf der
Wand der Fayade gab es fünf^ durch Fenster und Thür getrennte schmalere
Räume auszufüllen; auf den beiden Seitenwänden war je ein ziemlich langes
Feld für ein Bild freigelassen. Die Felder der vorderen Wand benutzte Richter
zur Darstellung der vier Jahreszeiten, die er dann, repräsentirt durch die Ge¬
stalten von vier Kinder-Engeln, noch einmal aus der fünften, mittleren, Fläche
in ansprechender Verbindung vorführte. Die einfache Vorstellung ist auf einfache
Weise durch Zusammenstellung von je zwei Figuren zum Ausdruck gebracht,
eines Kindes und eines Erwachsenen, welche letztere durch von Bild zu Bild
höher gegriffenes Alter den Fortschritt des Jahres und des Lebens ausspricht.
Eine junge sinnende Kranzwinderin unter blühendem Rosenstrauch, ihr zu Füßen
ein Kindchen, das an den bunten Blumen sich erfreut, die es pflückt; eine
schöne rüstige Mutter, mit ihrem Knaben von der Feldarbeit heimkehrend, sie
eine Garbe auf dem Haupte, er einen Strauß Feldblumen im Trinkkruge; ein
Vater, der Obst bricht, von dem er dem Kinde mittheilt; eine Großmutter,
die unter dem Weihnachtsbaum der Enkelin Märchen erzählt: das sind die
Motive. Auf dem mittleren Bilde giebt ein Baum, an dem ein mächtiger,
erst noch zu vollendender Blumen- und Fruchtkranz hängt, den Vereinigungs-
Punkt für die vier Kindergestalten ab. Alle fünf Bilder, ohne Hintergrund und
Einfassung auf die weiße Fläche gemalt, sind in der Weise zusammencomponirt.
daß sie von den beiden äußersten an nach dem mittleren zu ein wenig massiger
und höher werden.

Die Flächen der Seitenwände sind von verschiedener Länge. Die längere
theilte Richter für zwei Bilder ein, die er auf eine sinnige und anmuthige
Weise unter sich verband. Aus dem einen sehen wir in einer Bauernstube die
Kinder des Hauses mit Hund und Katze begehrlich um den Tisch versammelt,
an welchem die Mutter, unterstützt durch eine ältere Tochter, das Vesperbrod
bereitet und austheilt; das andere führt uns, in einer späteren Stunde, unter
den freien Himmel und zeigt uns den von der Arbeit zurückkehrenden Vater,
von Mutter und Kindern in Empfang genommen und mit einem Labetrunke be¬
grüßt. Die Verbindung beider Bilder, des Draußen und des Drinnen, wird
durch die Hausthüre hergestellt, vor welcher zwei Engel und ein Hund Wache
halten. Die Engel -- größere Gestalten im Chorknabengewande -- sind im
Begriff, den Tag und die Arbeit zur Ruhe zu singen; sie legen ihren Segen
auf die Schwelle, und nur so friedliche Gäste, als Schwalben, Tauben und
Rothkehlchen sind, dürfen ihr noch nahen. Unberufenen verkündet die Ueber-


Brüder Heinrich und August Spieß aus München — von denen der eine an
der Ausführung der Wartburgsresken betheiligt war, und die zusammen, wenn
wir nicht irren, den Zwischenvorhang des Münchner Actientheaters malten —
haben dieselben nach Richters Handzeichnungen ins Große gebracht und im
letzten Sommer nach eigenen Farbenskizzen al treseo ausgeführt. Auf der
Wand der Fayade gab es fünf^ durch Fenster und Thür getrennte schmalere
Räume auszufüllen; auf den beiden Seitenwänden war je ein ziemlich langes
Feld für ein Bild freigelassen. Die Felder der vorderen Wand benutzte Richter
zur Darstellung der vier Jahreszeiten, die er dann, repräsentirt durch die Ge¬
stalten von vier Kinder-Engeln, noch einmal aus der fünften, mittleren, Fläche
in ansprechender Verbindung vorführte. Die einfache Vorstellung ist auf einfache
Weise durch Zusammenstellung von je zwei Figuren zum Ausdruck gebracht,
eines Kindes und eines Erwachsenen, welche letztere durch von Bild zu Bild
höher gegriffenes Alter den Fortschritt des Jahres und des Lebens ausspricht.
Eine junge sinnende Kranzwinderin unter blühendem Rosenstrauch, ihr zu Füßen
ein Kindchen, das an den bunten Blumen sich erfreut, die es pflückt; eine
schöne rüstige Mutter, mit ihrem Knaben von der Feldarbeit heimkehrend, sie
eine Garbe auf dem Haupte, er einen Strauß Feldblumen im Trinkkruge; ein
Vater, der Obst bricht, von dem er dem Kinde mittheilt; eine Großmutter,
die unter dem Weihnachtsbaum der Enkelin Märchen erzählt: das sind die
Motive. Auf dem mittleren Bilde giebt ein Baum, an dem ein mächtiger,
erst noch zu vollendender Blumen- und Fruchtkranz hängt, den Vereinigungs-
Punkt für die vier Kindergestalten ab. Alle fünf Bilder, ohne Hintergrund und
Einfassung auf die weiße Fläche gemalt, sind in der Weise zusammencomponirt.
daß sie von den beiden äußersten an nach dem mittleren zu ein wenig massiger
und höher werden.

Die Flächen der Seitenwände sind von verschiedener Länge. Die längere
theilte Richter für zwei Bilder ein, die er auf eine sinnige und anmuthige
Weise unter sich verband. Aus dem einen sehen wir in einer Bauernstube die
Kinder des Hauses mit Hund und Katze begehrlich um den Tisch versammelt,
an welchem die Mutter, unterstützt durch eine ältere Tochter, das Vesperbrod
bereitet und austheilt; das andere führt uns, in einer späteren Stunde, unter
den freien Himmel und zeigt uns den von der Arbeit zurückkehrenden Vater,
von Mutter und Kindern in Empfang genommen und mit einem Labetrunke be¬
grüßt. Die Verbindung beider Bilder, des Draußen und des Drinnen, wird
durch die Hausthüre hergestellt, vor welcher zwei Engel und ein Hund Wache
halten. Die Engel — größere Gestalten im Chorknabengewande — sind im
Begriff, den Tag und die Arbeit zur Ruhe zu singen; sie legen ihren Segen
auf die Schwelle, und nur so friedliche Gäste, als Schwalben, Tauben und
Rothkehlchen sind, dürfen ihr noch nahen. Unberufenen verkündet die Ueber-


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[0302] Brüder Heinrich und August Spieß aus München — von denen der eine an der Ausführung der Wartburgsresken betheiligt war, und die zusammen, wenn wir nicht irren, den Zwischenvorhang des Münchner Actientheaters malten — haben dieselben nach Richters Handzeichnungen ins Große gebracht und im letzten Sommer nach eigenen Farbenskizzen al treseo ausgeführt. Auf der Wand der Fayade gab es fünf^ durch Fenster und Thür getrennte schmalere Räume auszufüllen; auf den beiden Seitenwänden war je ein ziemlich langes Feld für ein Bild freigelassen. Die Felder der vorderen Wand benutzte Richter zur Darstellung der vier Jahreszeiten, die er dann, repräsentirt durch die Ge¬ stalten von vier Kinder-Engeln, noch einmal aus der fünften, mittleren, Fläche in ansprechender Verbindung vorführte. Die einfache Vorstellung ist auf einfache Weise durch Zusammenstellung von je zwei Figuren zum Ausdruck gebracht, eines Kindes und eines Erwachsenen, welche letztere durch von Bild zu Bild höher gegriffenes Alter den Fortschritt des Jahres und des Lebens ausspricht. Eine junge sinnende Kranzwinderin unter blühendem Rosenstrauch, ihr zu Füßen ein Kindchen, das an den bunten Blumen sich erfreut, die es pflückt; eine schöne rüstige Mutter, mit ihrem Knaben von der Feldarbeit heimkehrend, sie eine Garbe auf dem Haupte, er einen Strauß Feldblumen im Trinkkruge; ein Vater, der Obst bricht, von dem er dem Kinde mittheilt; eine Großmutter, die unter dem Weihnachtsbaum der Enkelin Märchen erzählt: das sind die Motive. Auf dem mittleren Bilde giebt ein Baum, an dem ein mächtiger, erst noch zu vollendender Blumen- und Fruchtkranz hängt, den Vereinigungs- Punkt für die vier Kindergestalten ab. Alle fünf Bilder, ohne Hintergrund und Einfassung auf die weiße Fläche gemalt, sind in der Weise zusammencomponirt. daß sie von den beiden äußersten an nach dem mittleren zu ein wenig massiger und höher werden. Die Flächen der Seitenwände sind von verschiedener Länge. Die längere theilte Richter für zwei Bilder ein, die er auf eine sinnige und anmuthige Weise unter sich verband. Aus dem einen sehen wir in einer Bauernstube die Kinder des Hauses mit Hund und Katze begehrlich um den Tisch versammelt, an welchem die Mutter, unterstützt durch eine ältere Tochter, das Vesperbrod bereitet und austheilt; das andere führt uns, in einer späteren Stunde, unter den freien Himmel und zeigt uns den von der Arbeit zurückkehrenden Vater, von Mutter und Kindern in Empfang genommen und mit einem Labetrunke be¬ grüßt. Die Verbindung beider Bilder, des Draußen und des Drinnen, wird durch die Hausthüre hergestellt, vor welcher zwei Engel und ein Hund Wache halten. Die Engel — größere Gestalten im Chorknabengewande — sind im Begriff, den Tag und die Arbeit zur Ruhe zu singen; sie legen ihren Segen auf die Schwelle, und nur so friedliche Gäste, als Schwalben, Tauben und Rothkehlchen sind, dürfen ihr noch nahen. Unberufenen verkündet die Ueber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/302>, abgerufen am 29.06.2024.