Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schuft der Hundehütte neben der Thür unzweideutig, was sie zu erwarten
haben. "Ich beiße", sagt sie kurz und bündig. Und die Augen ihres Besitzers
verfolgen uns. wir mögen treten, wohin wir wollen. Aber freilich, wer sich
auf Hundegesichter versteht, der weiß, daß dieses hier die feindselige Drohung
Lügen straft und nichts anderes sagt, als: "ich kecke" -- und solch ein still-
beschaulicher Physiognomiker minorum Zevtium mag ja immerhin zu dieser
Stätte des Friedens Zutritt haben. "?ax Vobiseuml" -- wie an der Haus¬
thür zu lesen steht -- das ist das Motto dieser freundlichen Gruppe.

Ist auf dieser Wand das Leben des Werkeltags geschildert, so zeigt uns
die dritte eine Sonntagsscene. Ein alter Fiedler -- mit seinem Hunde -- ist
gekommen und geigt den Kindern -- mit ihrem Hunde -- zum Ringeltanz. Die
Eltern mit dem eifrig zappelnden Kleinsten, die Großmutter sehen zu. Das
ist alles.

Die Bilder sind so reizend gemalt, wie sie lieblich erfunden sind. Eine
unbedeutende Aufgabe war es nicht, sie zu malen. Es war nicht leicht, so
duftige zarte Bilder mit ihren vielen bedeutsamen Kleinigkeiten, ihrem stimmungs¬
vollen Hintergrunde in die Sprache des Fresko zu übersetzen; nicht leicht, sie
so lustig, zierlich und poetisch zu erhalten, wie deutlich und auf eine ziemliche
Entfernung leserlich zu machen, und es bedürfte dazu einer vollendeten Technik
und der feinsten Wägungen und Messungen eines entwickelten Farbensinnes.
Aber die Brüder Spieß entledigten sich ihrer Aufgabe mit. einer Geschicklichkeit,
mit einer so hingebenden und man möchte sagen mitschaffenden Liebe, daß nun
das Ganze wie das harmonische Werk einer und derselben Hand den Beschauer
erfreut.

Mit der Vollendung dieser Bilder hat das Fresko seine Grenzsteine weit
fremdes Gebiet hineingerückt. In geographischem wie im übertragenen
Sinne. Es hat bisher so weit in den Norden hinein seine Werke nicht unter
freien Himmel gestellt. Hier ist nur ein Versuch gemacht, und die Zeit wird
'du freilich erst bewähren müssen. Aber man hat solche Vorsicht dabei auf¬
geboten, daß Sachverständige ihn von vornherein für gelungen halten. Man
hat das Gemäuer -- und dies ist die Hauptsache -- völlig reif werden, den
Anwurf von sehr geschickter Hand ausführen lassen; man hat den zum Mörtel
Zu verwendenden Sand sorgfältig in Betreff der Form seiner Körner untersucht,
^eil die eine Art weniger leicht als die andere von der getrockneten Fläche
abspringt; man hat endlich durch breite Vordächer die Bilder gegen den einzigen
atmosphärischen Feind geschützt, den sie eigentlich haben, den Hagel. Sie
werden also voraussichtlich von mancher Generation dort gesehen werden.

Ob auch mit Freude und Wohlbehagen? Es ist freilich auch eine neue
Welt der Stoffe und Ideen, in welche das Fresko mit diesem Werke einen
kecken Eroberungszug gemacht und ohne schwere Rüstung, in leichtem, luftigem


36'

Schuft der Hundehütte neben der Thür unzweideutig, was sie zu erwarten
haben. „Ich beiße", sagt sie kurz und bündig. Und die Augen ihres Besitzers
verfolgen uns. wir mögen treten, wohin wir wollen. Aber freilich, wer sich
auf Hundegesichter versteht, der weiß, daß dieses hier die feindselige Drohung
Lügen straft und nichts anderes sagt, als: „ich kecke" — und solch ein still-
beschaulicher Physiognomiker minorum Zevtium mag ja immerhin zu dieser
Stätte des Friedens Zutritt haben. „?ax Vobiseuml" — wie an der Haus¬
thür zu lesen steht — das ist das Motto dieser freundlichen Gruppe.

Ist auf dieser Wand das Leben des Werkeltags geschildert, so zeigt uns
die dritte eine Sonntagsscene. Ein alter Fiedler — mit seinem Hunde — ist
gekommen und geigt den Kindern — mit ihrem Hunde — zum Ringeltanz. Die
Eltern mit dem eifrig zappelnden Kleinsten, die Großmutter sehen zu. Das
ist alles.

Die Bilder sind so reizend gemalt, wie sie lieblich erfunden sind. Eine
unbedeutende Aufgabe war es nicht, sie zu malen. Es war nicht leicht, so
duftige zarte Bilder mit ihren vielen bedeutsamen Kleinigkeiten, ihrem stimmungs¬
vollen Hintergrunde in die Sprache des Fresko zu übersetzen; nicht leicht, sie
so lustig, zierlich und poetisch zu erhalten, wie deutlich und auf eine ziemliche
Entfernung leserlich zu machen, und es bedürfte dazu einer vollendeten Technik
und der feinsten Wägungen und Messungen eines entwickelten Farbensinnes.
Aber die Brüder Spieß entledigten sich ihrer Aufgabe mit. einer Geschicklichkeit,
mit einer so hingebenden und man möchte sagen mitschaffenden Liebe, daß nun
das Ganze wie das harmonische Werk einer und derselben Hand den Beschauer
erfreut.

Mit der Vollendung dieser Bilder hat das Fresko seine Grenzsteine weit
fremdes Gebiet hineingerückt. In geographischem wie im übertragenen
Sinne. Es hat bisher so weit in den Norden hinein seine Werke nicht unter
freien Himmel gestellt. Hier ist nur ein Versuch gemacht, und die Zeit wird
'du freilich erst bewähren müssen. Aber man hat solche Vorsicht dabei auf¬
geboten, daß Sachverständige ihn von vornherein für gelungen halten. Man
hat das Gemäuer — und dies ist die Hauptsache — völlig reif werden, den
Anwurf von sehr geschickter Hand ausführen lassen; man hat den zum Mörtel
Zu verwendenden Sand sorgfältig in Betreff der Form seiner Körner untersucht,
^eil die eine Art weniger leicht als die andere von der getrockneten Fläche
abspringt; man hat endlich durch breite Vordächer die Bilder gegen den einzigen
atmosphärischen Feind geschützt, den sie eigentlich haben, den Hagel. Sie
werden also voraussichtlich von mancher Generation dort gesehen werden.

Ob auch mit Freude und Wohlbehagen? Es ist freilich auch eine neue
Welt der Stoffe und Ideen, in welche das Fresko mit diesem Werke einen
kecken Eroberungszug gemacht und ohne schwere Rüstung, in leichtem, luftigem


36'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284773"/>
          <p xml:id="ID_1009" prev="#ID_1008"> Schuft der Hundehütte neben der Thür unzweideutig, was sie zu erwarten<lb/>
haben. &#x201E;Ich beiße", sagt sie kurz und bündig. Und die Augen ihres Besitzers<lb/>
verfolgen uns. wir mögen treten, wohin wir wollen. Aber freilich, wer sich<lb/>
auf Hundegesichter versteht, der weiß, daß dieses hier die feindselige Drohung<lb/>
Lügen straft und nichts anderes sagt, als: &#x201E;ich kecke" &#x2014; und solch ein still-<lb/>
beschaulicher Physiognomiker minorum Zevtium mag ja immerhin zu dieser<lb/>
Stätte des Friedens Zutritt haben. &#x201E;?ax Vobiseuml" &#x2014; wie an der Haus¬<lb/>
thür zu lesen steht &#x2014; das ist das Motto dieser freundlichen Gruppe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010"> Ist auf dieser Wand das Leben des Werkeltags geschildert, so zeigt uns<lb/>
die dritte eine Sonntagsscene. Ein alter Fiedler &#x2014; mit seinem Hunde &#x2014; ist<lb/>
gekommen und geigt den Kindern &#x2014; mit ihrem Hunde &#x2014; zum Ringeltanz. Die<lb/>
Eltern mit dem eifrig zappelnden Kleinsten, die Großmutter sehen zu. Das<lb/>
ist alles.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1011"> Die Bilder sind so reizend gemalt, wie sie lieblich erfunden sind. Eine<lb/>
unbedeutende Aufgabe war es nicht, sie zu malen. Es war nicht leicht, so<lb/>
duftige zarte Bilder mit ihren vielen bedeutsamen Kleinigkeiten, ihrem stimmungs¬<lb/>
vollen Hintergrunde in die Sprache des Fresko zu übersetzen; nicht leicht, sie<lb/>
so lustig, zierlich und poetisch zu erhalten, wie deutlich und auf eine ziemliche<lb/>
Entfernung leserlich zu machen, und es bedürfte dazu einer vollendeten Technik<lb/>
und der feinsten Wägungen und Messungen eines entwickelten Farbensinnes.<lb/>
Aber die Brüder Spieß entledigten sich ihrer Aufgabe mit. einer Geschicklichkeit,<lb/>
mit einer so hingebenden und man möchte sagen mitschaffenden Liebe, daß nun<lb/>
das Ganze wie das harmonische Werk einer und derselben Hand den Beschauer<lb/>
erfreut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> Mit der Vollendung dieser Bilder hat das Fresko seine Grenzsteine weit<lb/>
fremdes Gebiet hineingerückt. In geographischem wie im übertragenen<lb/>
Sinne. Es hat bisher so weit in den Norden hinein seine Werke nicht unter<lb/>
freien Himmel gestellt. Hier ist nur ein Versuch gemacht, und die Zeit wird<lb/>
'du freilich erst bewähren müssen. Aber man hat solche Vorsicht dabei auf¬<lb/>
geboten, daß Sachverständige ihn von vornherein für gelungen halten. Man<lb/>
hat das Gemäuer &#x2014; und dies ist die Hauptsache &#x2014; völlig reif werden, den<lb/>
Anwurf von sehr geschickter Hand ausführen lassen; man hat den zum Mörtel<lb/>
Zu verwendenden Sand sorgfältig in Betreff der Form seiner Körner untersucht,<lb/>
^eil die eine Art weniger leicht als die andere von der getrockneten Fläche<lb/>
abspringt; man hat endlich durch breite Vordächer die Bilder gegen den einzigen<lb/>
atmosphärischen Feind geschützt, den sie eigentlich haben, den Hagel. Sie<lb/>
werden also voraussichtlich von mancher Generation dort gesehen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013" next="#ID_1014"> Ob auch mit Freude und Wohlbehagen? Es ist freilich auch eine neue<lb/>
Welt der Stoffe und Ideen, in welche das Fresko mit diesem Werke einen<lb/>
kecken Eroberungszug gemacht und ohne schwere Rüstung, in leichtem, luftigem</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 36'</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] Schuft der Hundehütte neben der Thür unzweideutig, was sie zu erwarten haben. „Ich beiße", sagt sie kurz und bündig. Und die Augen ihres Besitzers verfolgen uns. wir mögen treten, wohin wir wollen. Aber freilich, wer sich auf Hundegesichter versteht, der weiß, daß dieses hier die feindselige Drohung Lügen straft und nichts anderes sagt, als: „ich kecke" — und solch ein still- beschaulicher Physiognomiker minorum Zevtium mag ja immerhin zu dieser Stätte des Friedens Zutritt haben. „?ax Vobiseuml" — wie an der Haus¬ thür zu lesen steht — das ist das Motto dieser freundlichen Gruppe. Ist auf dieser Wand das Leben des Werkeltags geschildert, so zeigt uns die dritte eine Sonntagsscene. Ein alter Fiedler — mit seinem Hunde — ist gekommen und geigt den Kindern — mit ihrem Hunde — zum Ringeltanz. Die Eltern mit dem eifrig zappelnden Kleinsten, die Großmutter sehen zu. Das ist alles. Die Bilder sind so reizend gemalt, wie sie lieblich erfunden sind. Eine unbedeutende Aufgabe war es nicht, sie zu malen. Es war nicht leicht, so duftige zarte Bilder mit ihren vielen bedeutsamen Kleinigkeiten, ihrem stimmungs¬ vollen Hintergrunde in die Sprache des Fresko zu übersetzen; nicht leicht, sie so lustig, zierlich und poetisch zu erhalten, wie deutlich und auf eine ziemliche Entfernung leserlich zu machen, und es bedürfte dazu einer vollendeten Technik und der feinsten Wägungen und Messungen eines entwickelten Farbensinnes. Aber die Brüder Spieß entledigten sich ihrer Aufgabe mit. einer Geschicklichkeit, mit einer so hingebenden und man möchte sagen mitschaffenden Liebe, daß nun das Ganze wie das harmonische Werk einer und derselben Hand den Beschauer erfreut. Mit der Vollendung dieser Bilder hat das Fresko seine Grenzsteine weit fremdes Gebiet hineingerückt. In geographischem wie im übertragenen Sinne. Es hat bisher so weit in den Norden hinein seine Werke nicht unter freien Himmel gestellt. Hier ist nur ein Versuch gemacht, und die Zeit wird 'du freilich erst bewähren müssen. Aber man hat solche Vorsicht dabei auf¬ geboten, daß Sachverständige ihn von vornherein für gelungen halten. Man hat das Gemäuer — und dies ist die Hauptsache — völlig reif werden, den Anwurf von sehr geschickter Hand ausführen lassen; man hat den zum Mörtel Zu verwendenden Sand sorgfältig in Betreff der Form seiner Körner untersucht, ^eil die eine Art weniger leicht als die andere von der getrockneten Fläche abspringt; man hat endlich durch breite Vordächer die Bilder gegen den einzigen atmosphärischen Feind geschützt, den sie eigentlich haben, den Hagel. Sie werden also voraussichtlich von mancher Generation dort gesehen werden. Ob auch mit Freude und Wohlbehagen? Es ist freilich auch eine neue Welt der Stoffe und Ideen, in welche das Fresko mit diesem Werke einen kecken Eroberungszug gemacht und ohne schwere Rüstung, in leichtem, luftigem 36'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/303>, abgerufen am 29.06.2024.