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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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nicht irre machen ließ, trat letzterer ganz in unsrer Nähe aus eine Erhöhung
und begann ebenfalls aus einem Buche zu lesen, wodurch er einen Theil unsrer
Zuhörer um sich sammelte. Unter lauten Verhöhnungen der tobenden Menge
mußten wir den Platz verlassen." -- "Das Jahr darauf widerfuhr mir dasselbe,
doch nahm die Sache diesmal ein günstiges Ende. Ich stand eines Tages in
einer Straße und predigte. Mehre Zuhörer hatten sich bereits um mich ge¬
sammelt, als ich bemerkte, daß aus einem nahen Hause ein Muhammedaner
mit einem großen Buche unter dem Arme kam, den eine Menge seiner Glaubens¬
genossen begleitete. Derselbe stellte sich nun nicht weit von mir an die ent¬
gegengesetzte Straßenecke hin und sing in der Weise der Missionare an, aus
seinem Buche zu lesen -- es schien die Habis zu sein -- und darüber an seine
Zuhörer eine Ansprache zu halten. Seine Absicht war offenbar, mich zum
Schweigen zu bringen oder mir wenigstens meine Zuhörer abwendig zu machen.
Ich aber fuhr fort, zu reden, und seufzte inzwischen zum Herrn, daß er mir
Weisheit und Kraft verleihen und alles zum Besten lenken möge. Und siehe,
was geschah? Wenn ich auch zu meinem Schmerz bemerkte, daß einige von
mir zu ihm hinübergingcn, so hatte ich doch die Genugthuung, zu sehen, daß
manche wieder zu mir kamen, und schließlich mußte sich der Gegner, ohne seinen
Zweck erreicht zu haben, von seinem Platze viel früher als ich zurückziehen."

Um solchen und ähnlichen Störungen auf der Straße nicht ferner aus¬
gesetzt zu sein, mietheten sich unsre frommen Freunde, da eine Stelle zur Er¬
bauung einer Kapelle von den Bewohnern der Stadt durchaus nicht zu erlangen
war, zwei Predigtplätze. Es waren dies Dukans (Läden), welche aus kurzen
Verandas mit einem Kämmerchen zum Verschließen bestanden, und für die
man monatlich eine Rupie (20 Sgl.) Miethe zahlte. Hier konnte man unge¬
hindert predigen und disputiren. auch hatte man hier einen Verschluß für seine
Bücher, wenn man den Bazar verließ.

Außerdem fuhren die Missionäre fort, gelegentlich auf freien Plätzen, an
den Ufern der Flüsse, vor den Hindutempeln, vor Karawanserais, Gerichtshöfen
und wo sonst viele Menschen anzutreffen waren, Vorträge zu halten. "Wenn
wir," berichtet unsre Quelle, "in den Vorstädten unter den hohen schattigen
Tamarinden oder in den Mangowäldchen an den Landstraßen Reisend^ oder
Landleute sahen, die sich meist gruppenweise zu lagern Pflegen, so gingen wir
auch zu diesen, ließen uns zunächst mit ihnen in ein freundliches Gespräch ein
und leiteten dann ihre Gedanken von irdischen zu himmlischen Dingen über,
ober wir nahmen ein Buch, lasen daraus vor und singen an darüber zu sprechen."
"Gewöhnlich findet man bei solchen Gelegenheiten, weil Brahmanen und Parties
nicht zugegen sind, recht aufmerksame Zuhörer. Manchmal bekam ich den Ein-
druck, daß von dem Samen des göttlichen Wortes nicht alles auf den Weg,
aufs Steinigte und unter die Dornen, sondern vieles auch auf guten Acker


nicht irre machen ließ, trat letzterer ganz in unsrer Nähe aus eine Erhöhung
und begann ebenfalls aus einem Buche zu lesen, wodurch er einen Theil unsrer
Zuhörer um sich sammelte. Unter lauten Verhöhnungen der tobenden Menge
mußten wir den Platz verlassen." — „Das Jahr darauf widerfuhr mir dasselbe,
doch nahm die Sache diesmal ein günstiges Ende. Ich stand eines Tages in
einer Straße und predigte. Mehre Zuhörer hatten sich bereits um mich ge¬
sammelt, als ich bemerkte, daß aus einem nahen Hause ein Muhammedaner
mit einem großen Buche unter dem Arme kam, den eine Menge seiner Glaubens¬
genossen begleitete. Derselbe stellte sich nun nicht weit von mir an die ent¬
gegengesetzte Straßenecke hin und sing in der Weise der Missionare an, aus
seinem Buche zu lesen — es schien die Habis zu sein — und darüber an seine
Zuhörer eine Ansprache zu halten. Seine Absicht war offenbar, mich zum
Schweigen zu bringen oder mir wenigstens meine Zuhörer abwendig zu machen.
Ich aber fuhr fort, zu reden, und seufzte inzwischen zum Herrn, daß er mir
Weisheit und Kraft verleihen und alles zum Besten lenken möge. Und siehe,
was geschah? Wenn ich auch zu meinem Schmerz bemerkte, daß einige von
mir zu ihm hinübergingcn, so hatte ich doch die Genugthuung, zu sehen, daß
manche wieder zu mir kamen, und schließlich mußte sich der Gegner, ohne seinen
Zweck erreicht zu haben, von seinem Platze viel früher als ich zurückziehen."

Um solchen und ähnlichen Störungen auf der Straße nicht ferner aus¬
gesetzt zu sein, mietheten sich unsre frommen Freunde, da eine Stelle zur Er¬
bauung einer Kapelle von den Bewohnern der Stadt durchaus nicht zu erlangen
war, zwei Predigtplätze. Es waren dies Dukans (Läden), welche aus kurzen
Verandas mit einem Kämmerchen zum Verschließen bestanden, und für die
man monatlich eine Rupie (20 Sgl.) Miethe zahlte. Hier konnte man unge¬
hindert predigen und disputiren. auch hatte man hier einen Verschluß für seine
Bücher, wenn man den Bazar verließ.

Außerdem fuhren die Missionäre fort, gelegentlich auf freien Plätzen, an
den Ufern der Flüsse, vor den Hindutempeln, vor Karawanserais, Gerichtshöfen
und wo sonst viele Menschen anzutreffen waren, Vorträge zu halten. „Wenn
wir," berichtet unsre Quelle, „in den Vorstädten unter den hohen schattigen
Tamarinden oder in den Mangowäldchen an den Landstraßen Reisend^ oder
Landleute sahen, die sich meist gruppenweise zu lagern Pflegen, so gingen wir
auch zu diesen, ließen uns zunächst mit ihnen in ein freundliches Gespräch ein
und leiteten dann ihre Gedanken von irdischen zu himmlischen Dingen über,
ober wir nahmen ein Buch, lasen daraus vor und singen an darüber zu sprechen."
„Gewöhnlich findet man bei solchen Gelegenheiten, weil Brahmanen und Parties
nicht zugegen sind, recht aufmerksame Zuhörer. Manchmal bekam ich den Ein-
druck, daß von dem Samen des göttlichen Wortes nicht alles auf den Weg,
aufs Steinigte und unter die Dornen, sondern vieles auch auf guten Acker


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/290>, abgerufen am 24.08.2024.