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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Ermattung auf der Straße nieder, und man ist in Gefahr, auf derselben Kühe
und Kälber zu überfahren, weil es schwer hält, sie aufzuscheuchen. Der Hund
bleibt gelassen liegen und sieht sich nur ein wenig um. daß das Wagenrad
ihm nicht über den Schwanz geht. Die Büffel stürzen sich in Flüsse und Tüm¬
pel, aus denen nur ihre Köpfe noch hervorsehen. Die Papageien in den Gär¬
ten und andere Vögel flattern schwerfällig von Ort zu Ort. Die Blätter hän¬
gen schlaff an den Zweigen. Ringsum, soweit man sieht, ist dÄs Gras ver¬
sengt und verdorrt. Alles seufzt unter dem flimmernden Sonnenbrande der
Regenzeit entgegen.

Di'ehe tritt im Juli ein und endet um die Mitte des September. Ehe
die ersten Tropfen fallen, ziehen die Wolken oft wochenlang vom bengalischen
Meerbusen nach dem Himalaya hinauf, wo sie sich in dichten Massen lagern.
Nordwestwinde führen sie zurück. Gewaltige Stürme brausen, oft zerstörend,
über das Land, Gewitter donnern und blitzen, bisweilen volle vierundzwanzig
Stunden ununterbrochen, und starke Güsse rauschen hernieder. Das Land ver¬
jüngt sich: die Wiesen ergrünen von Neuem, der Ackersmann bestellt sein Land.
Stauden und Zweige richten sich auf, Tausende von Fröschen erheben betäuben¬
des Geschrei, die Flüsse füllen sich und überschwemmen das Uferland meilen¬
weit. Mensch und Thier freuen sich ihres Lebens. Doch hat die Regenzeit
auch ihre Unannehmlichkeiten. Die Dächer werden erweicht, und nicht selten
geschieht es, daß ein Stück der Stubendecks mit einem großen Wasserguß ins
Zimmer stürzt. Die Fliegen und Mücken werden noch lästiger als gewöhnlich.
Eidechsen laufen an den Wänden herum und fallen bisweilen plötzlich auf
Tische und Betten. Schwärme von fliegenden Ameisen erscheinen des Abends,
und mitunter erschreckt und bedroht sogar die furchtbare Cobra ti Capello die
Bewohner des Hauses durch ihr Eindringen. Alle Kleidungsstücke endlich wer¬
den in der Regenzeit eng, und die Stahlsachen beginnen sich mit Rost zu über¬
ziehen. Nur die kalte Zeit ist ohne Uebelstände, und so sehnt sich der Europäer
nach den vier Monaten derselben wie nach dem Paradiese. Der eifrige Missio¬
när aber benutzt sie zu weiteren Ausflügen für seine Zwecke. Sie ist die ein¬
zige Zeit im Jahre, wo er sich seiner Aufgabe von klimatischen Einflüssen
völlig ungehindert widmen kann. Sehen wir unsern Deutschen dabei ein¬
mal zu.

Nach einem Aufenthalt von vierzehn Monaten in Ostindien begannen unsre
drei Heidenbekehrer zu Ghazipur ihre Arbeit damit, daß sie sich "mit der Pre¬
digt des Evangeliums an arme Leute wendeten, welche zum Empfang von Al¬
mosen nach ihrem Hause kamen und -- deshalb! -- keinen Widerspruch be¬
fürchten ließen", auch zu wenig gebildet zu Einwürfen waren, welche, wenn sie
nicht gewandt widerlegt worden wären, die Apostel leicht von vornherein um
ihr Ansehen beim Volke gebracht haben würden. Später wagte man sich mit


Ermattung auf der Straße nieder, und man ist in Gefahr, auf derselben Kühe
und Kälber zu überfahren, weil es schwer hält, sie aufzuscheuchen. Der Hund
bleibt gelassen liegen und sieht sich nur ein wenig um. daß das Wagenrad
ihm nicht über den Schwanz geht. Die Büffel stürzen sich in Flüsse und Tüm¬
pel, aus denen nur ihre Köpfe noch hervorsehen. Die Papageien in den Gär¬
ten und andere Vögel flattern schwerfällig von Ort zu Ort. Die Blätter hän¬
gen schlaff an den Zweigen. Ringsum, soweit man sieht, ist dÄs Gras ver¬
sengt und verdorrt. Alles seufzt unter dem flimmernden Sonnenbrande der
Regenzeit entgegen.

Di'ehe tritt im Juli ein und endet um die Mitte des September. Ehe
die ersten Tropfen fallen, ziehen die Wolken oft wochenlang vom bengalischen
Meerbusen nach dem Himalaya hinauf, wo sie sich in dichten Massen lagern.
Nordwestwinde führen sie zurück. Gewaltige Stürme brausen, oft zerstörend,
über das Land, Gewitter donnern und blitzen, bisweilen volle vierundzwanzig
Stunden ununterbrochen, und starke Güsse rauschen hernieder. Das Land ver¬
jüngt sich: die Wiesen ergrünen von Neuem, der Ackersmann bestellt sein Land.
Stauden und Zweige richten sich auf, Tausende von Fröschen erheben betäuben¬
des Geschrei, die Flüsse füllen sich und überschwemmen das Uferland meilen¬
weit. Mensch und Thier freuen sich ihres Lebens. Doch hat die Regenzeit
auch ihre Unannehmlichkeiten. Die Dächer werden erweicht, und nicht selten
geschieht es, daß ein Stück der Stubendecks mit einem großen Wasserguß ins
Zimmer stürzt. Die Fliegen und Mücken werden noch lästiger als gewöhnlich.
Eidechsen laufen an den Wänden herum und fallen bisweilen plötzlich auf
Tische und Betten. Schwärme von fliegenden Ameisen erscheinen des Abends,
und mitunter erschreckt und bedroht sogar die furchtbare Cobra ti Capello die
Bewohner des Hauses durch ihr Eindringen. Alle Kleidungsstücke endlich wer¬
den in der Regenzeit eng, und die Stahlsachen beginnen sich mit Rost zu über¬
ziehen. Nur die kalte Zeit ist ohne Uebelstände, und so sehnt sich der Europäer
nach den vier Monaten derselben wie nach dem Paradiese. Der eifrige Missio¬
när aber benutzt sie zu weiteren Ausflügen für seine Zwecke. Sie ist die ein¬
zige Zeit im Jahre, wo er sich seiner Aufgabe von klimatischen Einflüssen
völlig ungehindert widmen kann. Sehen wir unsern Deutschen dabei ein¬
mal zu.

Nach einem Aufenthalt von vierzehn Monaten in Ostindien begannen unsre
drei Heidenbekehrer zu Ghazipur ihre Arbeit damit, daß sie sich „mit der Pre¬
digt des Evangeliums an arme Leute wendeten, welche zum Empfang von Al¬
mosen nach ihrem Hause kamen und — deshalb! — keinen Widerspruch be¬
fürchten ließen", auch zu wenig gebildet zu Einwürfen waren, welche, wenn sie
nicht gewandt widerlegt worden wären, die Apostel leicht von vornherein um
ihr Ansehen beim Volke gebracht haben würden. Später wagte man sich mit


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[0286] Ermattung auf der Straße nieder, und man ist in Gefahr, auf derselben Kühe und Kälber zu überfahren, weil es schwer hält, sie aufzuscheuchen. Der Hund bleibt gelassen liegen und sieht sich nur ein wenig um. daß das Wagenrad ihm nicht über den Schwanz geht. Die Büffel stürzen sich in Flüsse und Tüm¬ pel, aus denen nur ihre Köpfe noch hervorsehen. Die Papageien in den Gär¬ ten und andere Vögel flattern schwerfällig von Ort zu Ort. Die Blätter hän¬ gen schlaff an den Zweigen. Ringsum, soweit man sieht, ist dÄs Gras ver¬ sengt und verdorrt. Alles seufzt unter dem flimmernden Sonnenbrande der Regenzeit entgegen. Di'ehe tritt im Juli ein und endet um die Mitte des September. Ehe die ersten Tropfen fallen, ziehen die Wolken oft wochenlang vom bengalischen Meerbusen nach dem Himalaya hinauf, wo sie sich in dichten Massen lagern. Nordwestwinde führen sie zurück. Gewaltige Stürme brausen, oft zerstörend, über das Land, Gewitter donnern und blitzen, bisweilen volle vierundzwanzig Stunden ununterbrochen, und starke Güsse rauschen hernieder. Das Land ver¬ jüngt sich: die Wiesen ergrünen von Neuem, der Ackersmann bestellt sein Land. Stauden und Zweige richten sich auf, Tausende von Fröschen erheben betäuben¬ des Geschrei, die Flüsse füllen sich und überschwemmen das Uferland meilen¬ weit. Mensch und Thier freuen sich ihres Lebens. Doch hat die Regenzeit auch ihre Unannehmlichkeiten. Die Dächer werden erweicht, und nicht selten geschieht es, daß ein Stück der Stubendecks mit einem großen Wasserguß ins Zimmer stürzt. Die Fliegen und Mücken werden noch lästiger als gewöhnlich. Eidechsen laufen an den Wänden herum und fallen bisweilen plötzlich auf Tische und Betten. Schwärme von fliegenden Ameisen erscheinen des Abends, und mitunter erschreckt und bedroht sogar die furchtbare Cobra ti Capello die Bewohner des Hauses durch ihr Eindringen. Alle Kleidungsstücke endlich wer¬ den in der Regenzeit eng, und die Stahlsachen beginnen sich mit Rost zu über¬ ziehen. Nur die kalte Zeit ist ohne Uebelstände, und so sehnt sich der Europäer nach den vier Monaten derselben wie nach dem Paradiese. Der eifrige Missio¬ när aber benutzt sie zu weiteren Ausflügen für seine Zwecke. Sie ist die ein¬ zige Zeit im Jahre, wo er sich seiner Aufgabe von klimatischen Einflüssen völlig ungehindert widmen kann. Sehen wir unsern Deutschen dabei ein¬ mal zu. Nach einem Aufenthalt von vierzehn Monaten in Ostindien begannen unsre drei Heidenbekehrer zu Ghazipur ihre Arbeit damit, daß sie sich „mit der Pre¬ digt des Evangeliums an arme Leute wendeten, welche zum Empfang von Al¬ mosen nach ihrem Hause kamen und — deshalb! — keinen Widerspruch be¬ fürchten ließen", auch zu wenig gebildet zu Einwürfen waren, welche, wenn sie nicht gewandt widerlegt worden wären, die Apostel leicht von vornherein um ihr Ansehen beim Volke gebracht haben würden. Später wagte man sich mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/286>, abgerufen am 24.08.2024.