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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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seinen Vortragen auf wenig besuchte Straßen und Mätze. Endlich "löste der
Herr das Band unsrer Zunge/' erzählt unser Berichterstatter, "und gab uns
Muth und Freudigkeit, auch vor großen Volksversammlungen von Hindus und
Muhammedanern ein Zeugniß von Christo abzulegen." Das aber geschah nach
folgender Methode.

"Der Missionär geht früh am Morgen zur Stadt und stellt sich auf einen
besuchten Platz, gewöhnlich auf einen Bcizar hin, oder er begiebt sich nach einer
belebten Straße, wo er immer Leute antrifft, die des Morgens baden oder
opfern gehen. Wo möglich wählt er sich eine Straßenecke oder eine kleine An¬
höhe, oder er betritt auch eine offene Veranda, damit er die Zuhörer über¬
sehen und von allen recht verstanden werden kann. Darauf nimmt er ein
Neues Testament oder einen Psalm oder einen passenden Tractat in der Sprache
der Eingebornen und fängt an, daraus vorzulesen, als hätte er schon eine Ver¬
sammlung vor sich. Kaum hat er damit begonnen, so bleibt von den Vorbei¬
gehenden der eine und der andre stehen. Allmälig sammeln sich die Leute um
ihn herum, und bevor er einen kurzen Abschnitt zu Ende gelesen, hat er zwanzig,
fünfzig, auch wohl hundert und mehr Zuhörer. Zuweilen aber ereignet es sich,
daß alle Leute Eile zu haben scheinen; denn niemand bleibt stehen. Der Mis¬
sionär aber läßt sich dadurch nicht stören. Er beginnt den Schriftabfchnitt oder
Tractat aufs Neue vorzutragen, und er kann mit ziemlicher Gewißheit darauf
rechnen, daß jetzt wenigstens einige vor ihm Halt machen." Diesen predigt er
dann. "Und siehe, während er zu den Heiden von dem Sündenfall und Sünden¬
elend des Menschen spricht, von seiner Schuld und Hilflosigkeit, von der Thor¬
heit des Götzendienstes, von der Ohnmacht der Götter, uns von der Sünde
zu befreien, indem sie selbst Knechte der Sünde waren und die Strafe dafür
büßten, und wenn er dann an ihre Erlösungsbedürftigkcit anknüpft und ihnen
den Rathschluß Gottes zu unsrer Seligkeit kund thut" -- man sieht, lauter
Dogmatik, nicht ein Wort von dem. was das Nächste zu sein scheint, von den
ethischen Wahrheiten des Christenthums -- "wächst die Zahl der Zuhörer
immer mehr."

Wohlgenährte Brahmanen und arme dürre Tagelöhner sind unter den
Neugierigen. Kaufleute treten herzu, um zu vernehmen, was der "Patri" zu
sagen hat. Fakire, schmutzig, halbnackt, den Leib mit Kuhmistasche beschmiert,
auf der Stirn heilige Zeichen von rother, weißer oder gelber Farbe, stolze
Muhammedaner, "in deren Gesichtszügen Jsmaels Gesinnung ausgedrückt ist",
Bettler und Vagabunden, "die immer Zeit genug haben", Kinder, die manch¬
mal durch ihr Plaudern stören, nicht selten auch vornehme Eingeborne, auf
Pferden. Kameelen oder Elephanten reitend oder im Wagen sitzend, bilden
weitere Elemente der bunten Versammlung. Vielen sieht man auf den ersten
Blick an, daß von ihnen nicht viel zu hoffen ist. Der Eine ist ein schlauer


seinen Vortragen auf wenig besuchte Straßen und Mätze. Endlich „löste der
Herr das Band unsrer Zunge/' erzählt unser Berichterstatter, „und gab uns
Muth und Freudigkeit, auch vor großen Volksversammlungen von Hindus und
Muhammedanern ein Zeugniß von Christo abzulegen." Das aber geschah nach
folgender Methode.

„Der Missionär geht früh am Morgen zur Stadt und stellt sich auf einen
besuchten Platz, gewöhnlich auf einen Bcizar hin, oder er begiebt sich nach einer
belebten Straße, wo er immer Leute antrifft, die des Morgens baden oder
opfern gehen. Wo möglich wählt er sich eine Straßenecke oder eine kleine An¬
höhe, oder er betritt auch eine offene Veranda, damit er die Zuhörer über¬
sehen und von allen recht verstanden werden kann. Darauf nimmt er ein
Neues Testament oder einen Psalm oder einen passenden Tractat in der Sprache
der Eingebornen und fängt an, daraus vorzulesen, als hätte er schon eine Ver¬
sammlung vor sich. Kaum hat er damit begonnen, so bleibt von den Vorbei¬
gehenden der eine und der andre stehen. Allmälig sammeln sich die Leute um
ihn herum, und bevor er einen kurzen Abschnitt zu Ende gelesen, hat er zwanzig,
fünfzig, auch wohl hundert und mehr Zuhörer. Zuweilen aber ereignet es sich,
daß alle Leute Eile zu haben scheinen; denn niemand bleibt stehen. Der Mis¬
sionär aber läßt sich dadurch nicht stören. Er beginnt den Schriftabfchnitt oder
Tractat aufs Neue vorzutragen, und er kann mit ziemlicher Gewißheit darauf
rechnen, daß jetzt wenigstens einige vor ihm Halt machen." Diesen predigt er
dann. „Und siehe, während er zu den Heiden von dem Sündenfall und Sünden¬
elend des Menschen spricht, von seiner Schuld und Hilflosigkeit, von der Thor¬
heit des Götzendienstes, von der Ohnmacht der Götter, uns von der Sünde
zu befreien, indem sie selbst Knechte der Sünde waren und die Strafe dafür
büßten, und wenn er dann an ihre Erlösungsbedürftigkcit anknüpft und ihnen
den Rathschluß Gottes zu unsrer Seligkeit kund thut" — man sieht, lauter
Dogmatik, nicht ein Wort von dem. was das Nächste zu sein scheint, von den
ethischen Wahrheiten des Christenthums — „wächst die Zahl der Zuhörer
immer mehr."

Wohlgenährte Brahmanen und arme dürre Tagelöhner sind unter den
Neugierigen. Kaufleute treten herzu, um zu vernehmen, was der „Patri" zu
sagen hat. Fakire, schmutzig, halbnackt, den Leib mit Kuhmistasche beschmiert,
auf der Stirn heilige Zeichen von rother, weißer oder gelber Farbe, stolze
Muhammedaner, „in deren Gesichtszügen Jsmaels Gesinnung ausgedrückt ist",
Bettler und Vagabunden, „die immer Zeit genug haben", Kinder, die manch¬
mal durch ihr Plaudern stören, nicht selten auch vornehme Eingeborne, auf
Pferden. Kameelen oder Elephanten reitend oder im Wagen sitzend, bilden
weitere Elemente der bunten Versammlung. Vielen sieht man auf den ersten
Blick an, daß von ihnen nicht viel zu hoffen ist. Der Eine ist ein schlauer


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[0287] seinen Vortragen auf wenig besuchte Straßen und Mätze. Endlich „löste der Herr das Band unsrer Zunge/' erzählt unser Berichterstatter, „und gab uns Muth und Freudigkeit, auch vor großen Volksversammlungen von Hindus und Muhammedanern ein Zeugniß von Christo abzulegen." Das aber geschah nach folgender Methode. „Der Missionär geht früh am Morgen zur Stadt und stellt sich auf einen besuchten Platz, gewöhnlich auf einen Bcizar hin, oder er begiebt sich nach einer belebten Straße, wo er immer Leute antrifft, die des Morgens baden oder opfern gehen. Wo möglich wählt er sich eine Straßenecke oder eine kleine An¬ höhe, oder er betritt auch eine offene Veranda, damit er die Zuhörer über¬ sehen und von allen recht verstanden werden kann. Darauf nimmt er ein Neues Testament oder einen Psalm oder einen passenden Tractat in der Sprache der Eingebornen und fängt an, daraus vorzulesen, als hätte er schon eine Ver¬ sammlung vor sich. Kaum hat er damit begonnen, so bleibt von den Vorbei¬ gehenden der eine und der andre stehen. Allmälig sammeln sich die Leute um ihn herum, und bevor er einen kurzen Abschnitt zu Ende gelesen, hat er zwanzig, fünfzig, auch wohl hundert und mehr Zuhörer. Zuweilen aber ereignet es sich, daß alle Leute Eile zu haben scheinen; denn niemand bleibt stehen. Der Mis¬ sionär aber läßt sich dadurch nicht stören. Er beginnt den Schriftabfchnitt oder Tractat aufs Neue vorzutragen, und er kann mit ziemlicher Gewißheit darauf rechnen, daß jetzt wenigstens einige vor ihm Halt machen." Diesen predigt er dann. „Und siehe, während er zu den Heiden von dem Sündenfall und Sünden¬ elend des Menschen spricht, von seiner Schuld und Hilflosigkeit, von der Thor¬ heit des Götzendienstes, von der Ohnmacht der Götter, uns von der Sünde zu befreien, indem sie selbst Knechte der Sünde waren und die Strafe dafür büßten, und wenn er dann an ihre Erlösungsbedürftigkcit anknüpft und ihnen den Rathschluß Gottes zu unsrer Seligkeit kund thut" — man sieht, lauter Dogmatik, nicht ein Wort von dem. was das Nächste zu sein scheint, von den ethischen Wahrheiten des Christenthums — „wächst die Zahl der Zuhörer immer mehr." Wohlgenährte Brahmanen und arme dürre Tagelöhner sind unter den Neugierigen. Kaufleute treten herzu, um zu vernehmen, was der „Patri" zu sagen hat. Fakire, schmutzig, halbnackt, den Leib mit Kuhmistasche beschmiert, auf der Stirn heilige Zeichen von rother, weißer oder gelber Farbe, stolze Muhammedaner, „in deren Gesichtszügen Jsmaels Gesinnung ausgedrückt ist", Bettler und Vagabunden, „die immer Zeit genug haben", Kinder, die manch¬ mal durch ihr Plaudern stören, nicht selten auch vornehme Eingeborne, auf Pferden. Kameelen oder Elephanten reitend oder im Wagen sitzend, bilden weitere Elemente der bunten Versammlung. Vielen sieht man auf den ersten Blick an, daß von ihnen nicht viel zu hoffen ist. Der Eine ist ein schlauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/287>, abgerufen am 24.08.2024.