Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueberall spricht sich hier der Gedanke durch den lebendigen Vorgang, durch die
handelnden Menschen selbst aus. die in die sinnigsten, den geistigen Inhalt be¬
zeichnendsten Verbindungen mit einander gebracht sind. Auch diese Reliefs
sind, wie die im Thiergarten, ganz dazu gemacht, zu allem Volk zu reden, und
herzlich erfreuend ihren Inhalt ohne Enträthselungsqual seinem Verständniß
einleuchtend zu erschließen. Ueber diesen, ganz realistisch behandelten Bildwerken,
die durch einen wirklichen Einzelvorgang einen ganzen allgemeinen Zustand
symbolistren, sind die vier größern Seitenflächen des eigentlichen Postament¬
körpers mit mehr rein allegorischen Reliefs geschmückt, welche die Verbindung
der Industrie mit Kunst, Wissenschaft, Handel zum Gegenstand haben. Aber
auch hier hat Drake die geläufigen, hergebrachten, traditionellen Allegorie-
gestaltcn durchaus verschmäht und sich wiederum seine ganz aparte Form ge¬
bildet. In der Figur der Industrie oder besser der Arbeit hat er da zum
ersten Mal einen neuen Typus geschaffen und hingestellt, einen Typus der
volkskräftigen Tüchtigkeit, robusten Gesundheit, des klugen Ernstes, der sicheren
Freudigkeit, der in seiner eigenartigen Schönheit und Bedeutsamkeit keinem der
altgeheiligten, deren sich die Kunst seit Jahrtausenden bediente, nachsteht.

Zwei gewaltige Werke monumentalen Charakters nahmen Drakes Thätig¬
keit während der ersten Jahre unsers Jahrzehnts vorzugsweise in Anspruch:
die Statue Melanchthons und das Reiterstandbild des regierende" Königs von
Preußen, jenes für Wittenberg und gleichzeitig für des Reformators Vater¬
stadt, letzteres für die kölner Eisenbahnbrücke über den Rhein. Die feine Ver¬
geistigung des massigen Materials einer Kolossalstatue ist auch durch Rietschel
nicht weiter getrieben, die tiefe und zarte seelische Wirkung in einer solchen
Porträtgestalt auch von diesem Meister nicht vollständiger und eindringender
erreicht, als es hier geschehn ist in dem Bilde des "sänftiglichen" Meister
Philippus. Ein solches Werk ist wirklich eine Errungenschaft, die wir vor
jeder frühern Zeit voraus haben. Ueber der Herausarbeitung aber seines
innersten und eigensten geistigen Wesens ist die monumentale Wucht nicht ver¬
loren gegangen, sondern der lange vielfältige, weitärmlige, pelzverbrämte Ma-
gistertalar des sechszehnten Jahrhunderts, der ohne gewaltsamen Zwang hier
so schön die Bewegung der Gestalt und Glieder markirt. ist aufs geschickteste
benutzt, der ganzen Erscheinung eine prächtige Fülle und Breite zu geben.

Das Königsreiterstandbild, das den großen Friedrich Rauchs noch um drei
Fuß an Höhe überbietet (natürlich nur die Reiterstatue selbst), ist von Drake
mit einer kaum erhörten trotzigen Kühnheit in so kolossalen Maßstab direct
aus Gips modellirt. ein Unternehmen, das den Künstler freilich während der
riesigen Arbeit zuweilen hart an den Zweifel der Möglichkeit ihrer Durchfüh¬
rung bringen mochte. Aber dieselbe zähe Energie hat endlich doch über die
widerstrebende Materie triumphirt, und das ungeheure Bildwerk steht seit längerer


Ueberall spricht sich hier der Gedanke durch den lebendigen Vorgang, durch die
handelnden Menschen selbst aus. die in die sinnigsten, den geistigen Inhalt be¬
zeichnendsten Verbindungen mit einander gebracht sind. Auch diese Reliefs
sind, wie die im Thiergarten, ganz dazu gemacht, zu allem Volk zu reden, und
herzlich erfreuend ihren Inhalt ohne Enträthselungsqual seinem Verständniß
einleuchtend zu erschließen. Ueber diesen, ganz realistisch behandelten Bildwerken,
die durch einen wirklichen Einzelvorgang einen ganzen allgemeinen Zustand
symbolistren, sind die vier größern Seitenflächen des eigentlichen Postament¬
körpers mit mehr rein allegorischen Reliefs geschmückt, welche die Verbindung
der Industrie mit Kunst, Wissenschaft, Handel zum Gegenstand haben. Aber
auch hier hat Drake die geläufigen, hergebrachten, traditionellen Allegorie-
gestaltcn durchaus verschmäht und sich wiederum seine ganz aparte Form ge¬
bildet. In der Figur der Industrie oder besser der Arbeit hat er da zum
ersten Mal einen neuen Typus geschaffen und hingestellt, einen Typus der
volkskräftigen Tüchtigkeit, robusten Gesundheit, des klugen Ernstes, der sicheren
Freudigkeit, der in seiner eigenartigen Schönheit und Bedeutsamkeit keinem der
altgeheiligten, deren sich die Kunst seit Jahrtausenden bediente, nachsteht.

Zwei gewaltige Werke monumentalen Charakters nahmen Drakes Thätig¬
keit während der ersten Jahre unsers Jahrzehnts vorzugsweise in Anspruch:
die Statue Melanchthons und das Reiterstandbild des regierende» Königs von
Preußen, jenes für Wittenberg und gleichzeitig für des Reformators Vater¬
stadt, letzteres für die kölner Eisenbahnbrücke über den Rhein. Die feine Ver¬
geistigung des massigen Materials einer Kolossalstatue ist auch durch Rietschel
nicht weiter getrieben, die tiefe und zarte seelische Wirkung in einer solchen
Porträtgestalt auch von diesem Meister nicht vollständiger und eindringender
erreicht, als es hier geschehn ist in dem Bilde des „sänftiglichen" Meister
Philippus. Ein solches Werk ist wirklich eine Errungenschaft, die wir vor
jeder frühern Zeit voraus haben. Ueber der Herausarbeitung aber seines
innersten und eigensten geistigen Wesens ist die monumentale Wucht nicht ver¬
loren gegangen, sondern der lange vielfältige, weitärmlige, pelzverbrämte Ma-
gistertalar des sechszehnten Jahrhunderts, der ohne gewaltsamen Zwang hier
so schön die Bewegung der Gestalt und Glieder markirt. ist aufs geschickteste
benutzt, der ganzen Erscheinung eine prächtige Fülle und Breite zu geben.

Das Königsreiterstandbild, das den großen Friedrich Rauchs noch um drei
Fuß an Höhe überbietet (natürlich nur die Reiterstatue selbst), ist von Drake
mit einer kaum erhörten trotzigen Kühnheit in so kolossalen Maßstab direct
aus Gips modellirt. ein Unternehmen, das den Künstler freilich während der
riesigen Arbeit zuweilen hart an den Zweifel der Möglichkeit ihrer Durchfüh¬
rung bringen mochte. Aber dieselbe zähe Energie hat endlich doch über die
widerstrebende Materie triumphirt, und das ungeheure Bildwerk steht seit längerer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284725"/>
          <p xml:id="ID_878" prev="#ID_877"> Ueberall spricht sich hier der Gedanke durch den lebendigen Vorgang, durch die<lb/>
handelnden Menschen selbst aus. die in die sinnigsten, den geistigen Inhalt be¬<lb/>
zeichnendsten Verbindungen mit einander gebracht sind. Auch diese Reliefs<lb/>
sind, wie die im Thiergarten, ganz dazu gemacht, zu allem Volk zu reden, und<lb/>
herzlich erfreuend ihren Inhalt ohne Enträthselungsqual seinem Verständniß<lb/>
einleuchtend zu erschließen. Ueber diesen, ganz realistisch behandelten Bildwerken,<lb/>
die durch einen wirklichen Einzelvorgang einen ganzen allgemeinen Zustand<lb/>
symbolistren, sind die vier größern Seitenflächen des eigentlichen Postament¬<lb/>
körpers mit mehr rein allegorischen Reliefs geschmückt, welche die Verbindung<lb/>
der Industrie mit Kunst, Wissenschaft, Handel zum Gegenstand haben. Aber<lb/>
auch hier hat Drake die geläufigen, hergebrachten, traditionellen Allegorie-<lb/>
gestaltcn durchaus verschmäht und sich wiederum seine ganz aparte Form ge¬<lb/>
bildet. In der Figur der Industrie oder besser der Arbeit hat er da zum<lb/>
ersten Mal einen neuen Typus geschaffen und hingestellt, einen Typus der<lb/>
volkskräftigen Tüchtigkeit, robusten Gesundheit, des klugen Ernstes, der sicheren<lb/>
Freudigkeit, der in seiner eigenartigen Schönheit und Bedeutsamkeit keinem der<lb/>
altgeheiligten, deren sich die Kunst seit Jahrtausenden bediente, nachsteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_879"> Zwei gewaltige Werke monumentalen Charakters nahmen Drakes Thätig¬<lb/>
keit während der ersten Jahre unsers Jahrzehnts vorzugsweise in Anspruch:<lb/>
die Statue Melanchthons und das Reiterstandbild des regierende» Königs von<lb/>
Preußen, jenes für Wittenberg und gleichzeitig für des Reformators Vater¬<lb/>
stadt, letzteres für die kölner Eisenbahnbrücke über den Rhein. Die feine Ver¬<lb/>
geistigung des massigen Materials einer Kolossalstatue ist auch durch Rietschel<lb/>
nicht weiter getrieben, die tiefe und zarte seelische Wirkung in einer solchen<lb/>
Porträtgestalt auch von diesem Meister nicht vollständiger und eindringender<lb/>
erreicht, als es hier geschehn ist in dem Bilde des &#x201E;sänftiglichen" Meister<lb/>
Philippus. Ein solches Werk ist wirklich eine Errungenschaft, die wir vor<lb/>
jeder frühern Zeit voraus haben. Ueber der Herausarbeitung aber seines<lb/>
innersten und eigensten geistigen Wesens ist die monumentale Wucht nicht ver¬<lb/>
loren gegangen, sondern der lange vielfältige, weitärmlige, pelzverbrämte Ma-<lb/>
gistertalar des sechszehnten Jahrhunderts, der ohne gewaltsamen Zwang hier<lb/>
so schön die Bewegung der Gestalt und Glieder markirt. ist aufs geschickteste<lb/>
benutzt, der ganzen Erscheinung eine prächtige Fülle und Breite zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_880" next="#ID_881"> Das Königsreiterstandbild, das den großen Friedrich Rauchs noch um drei<lb/>
Fuß an Höhe überbietet (natürlich nur die Reiterstatue selbst), ist von Drake<lb/>
mit einer kaum erhörten trotzigen Kühnheit in so kolossalen Maßstab direct<lb/>
aus Gips modellirt. ein Unternehmen, das den Künstler freilich während der<lb/>
riesigen Arbeit zuweilen hart an den Zweifel der Möglichkeit ihrer Durchfüh¬<lb/>
rung bringen mochte. Aber dieselbe zähe Energie hat endlich doch über die<lb/>
widerstrebende Materie triumphirt, und das ungeheure Bildwerk steht seit längerer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0255] Ueberall spricht sich hier der Gedanke durch den lebendigen Vorgang, durch die handelnden Menschen selbst aus. die in die sinnigsten, den geistigen Inhalt be¬ zeichnendsten Verbindungen mit einander gebracht sind. Auch diese Reliefs sind, wie die im Thiergarten, ganz dazu gemacht, zu allem Volk zu reden, und herzlich erfreuend ihren Inhalt ohne Enträthselungsqual seinem Verständniß einleuchtend zu erschließen. Ueber diesen, ganz realistisch behandelten Bildwerken, die durch einen wirklichen Einzelvorgang einen ganzen allgemeinen Zustand symbolistren, sind die vier größern Seitenflächen des eigentlichen Postament¬ körpers mit mehr rein allegorischen Reliefs geschmückt, welche die Verbindung der Industrie mit Kunst, Wissenschaft, Handel zum Gegenstand haben. Aber auch hier hat Drake die geläufigen, hergebrachten, traditionellen Allegorie- gestaltcn durchaus verschmäht und sich wiederum seine ganz aparte Form ge¬ bildet. In der Figur der Industrie oder besser der Arbeit hat er da zum ersten Mal einen neuen Typus geschaffen und hingestellt, einen Typus der volkskräftigen Tüchtigkeit, robusten Gesundheit, des klugen Ernstes, der sicheren Freudigkeit, der in seiner eigenartigen Schönheit und Bedeutsamkeit keinem der altgeheiligten, deren sich die Kunst seit Jahrtausenden bediente, nachsteht. Zwei gewaltige Werke monumentalen Charakters nahmen Drakes Thätig¬ keit während der ersten Jahre unsers Jahrzehnts vorzugsweise in Anspruch: die Statue Melanchthons und das Reiterstandbild des regierende» Königs von Preußen, jenes für Wittenberg und gleichzeitig für des Reformators Vater¬ stadt, letzteres für die kölner Eisenbahnbrücke über den Rhein. Die feine Ver¬ geistigung des massigen Materials einer Kolossalstatue ist auch durch Rietschel nicht weiter getrieben, die tiefe und zarte seelische Wirkung in einer solchen Porträtgestalt auch von diesem Meister nicht vollständiger und eindringender erreicht, als es hier geschehn ist in dem Bilde des „sänftiglichen" Meister Philippus. Ein solches Werk ist wirklich eine Errungenschaft, die wir vor jeder frühern Zeit voraus haben. Ueber der Herausarbeitung aber seines innersten und eigensten geistigen Wesens ist die monumentale Wucht nicht ver¬ loren gegangen, sondern der lange vielfältige, weitärmlige, pelzverbrämte Ma- gistertalar des sechszehnten Jahrhunderts, der ohne gewaltsamen Zwang hier so schön die Bewegung der Gestalt und Glieder markirt. ist aufs geschickteste benutzt, der ganzen Erscheinung eine prächtige Fülle und Breite zu geben. Das Königsreiterstandbild, das den großen Friedrich Rauchs noch um drei Fuß an Höhe überbietet (natürlich nur die Reiterstatue selbst), ist von Drake mit einer kaum erhörten trotzigen Kühnheit in so kolossalen Maßstab direct aus Gips modellirt. ein Unternehmen, das den Künstler freilich während der riesigen Arbeit zuweilen hart an den Zweifel der Möglichkeit ihrer Durchfüh¬ rung bringen mochte. Aber dieselbe zähe Energie hat endlich doch über die widerstrebende Materie triumphirt, und das ungeheure Bildwerk steht seit längerer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/255
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/255>, abgerufen am 22.07.2024.