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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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diese Kinder verschiedenen Alters gehören in Formen und Tracht so sehr einem
idealen glückseligen Geschlecht an, daß die Nymphe der Quelle mitten unter
ihnen, welche aus ihrer Urne die Cascade über die Steinblöcke fallen läßt, nicht
befremdet, nicht als ein anders geartetes Wesen aus der Einheit des Ganzen
herausfällt. Aber dieses ideale Geschlecht -- und das ist der große Schritt vor¬
wärts, den Drake in dieser Schöpfung gethan -- ist nicht aus der Erinnerung
an die Antike erzeugt, sondern aus liebevoller Beobachtung und seiner Erkennt¬
niß der immer jungen, immer erneuten Natur und Wirklichkeit. Daher geschieht
es, daß diese lieblichen Gestalten uns trotz ihrer reinen Schöne, trotz ihrer theil¬
weisen Nacktheit doch wieder gar nicht wie die einer entlegenen Welt gegen¬
überstehen, daß sie allem Volk so verständlich, so vertraut sind, wie es die
Nachbildungen classischer Muster, die uns einen abstracten Inhalt in antikisiren-
den Formen verkörpern möchten, nie und nimmer zu werden vermögen. So
ist unter allen öffentlich aufgestellten Monumentalwerken moderner Plastik dies
bewundernswürdige Werk wohl das geworden, das dem Empfinden einer
großen Bevölkerung in all ihren Schichten das liebste und wertheste ist.
Man muß beobachten, wie dasselbe von all den Unzähligen, welche, im
Thiergarten spazierend, davor stehen bleiben, betrachtet wird, wie Alter
und Kindheit, wie der gemeine Soldat, der einfachste Bürger so gut wie
Künstler und Kenner, jeder in seiner Art seine innige Freude und Erquickung
dran hat: da oben der "gute König, wie er leibte und lebte", und hier tiefer
diese reizenden Gebilde, in welchen das gewöhnlichste Thun und Spiel, das die
Umstehenden zum Theil noch eben selbst geübt unter dieser Bäume erquickendem
Schatten, am grünen Uferrasen dieser Gewässer, vor ihnen erhöht, veredelt,
verklärt erscheint, ohne von seiner Wahrheit und Natürlichkeit etwas abgegeben
und geopfert zu haben. Und das alles in dem edlen weißen Marmor, der so
frisch, klar und leuchtend inmitten seiner grünen und blühenden Umgebung da¬
steht, so kunstreich, so sorglich vollendet ausgeführt! Welche wahrhaft sittliche,
veredelnde, Leben und Empfinden verschönerte und weihende Wirkung auch
heut noch so gut wie in hellenischer Welt und Zeit von einem Werk plastischer
Kunst ausgehn kann, wenn sein" Urheber es eben verstand, nicht etwa nur
dem schwächlichem oder rohern Geschmack seiner Zeit und seines Volks sich
schmeichelnd anzubequemen, sondern sich in den Kreis des allgemeinen
Denkens, Fühlens und Anschauens hineinversenkend, diesem selbst den lau¬
tersten kunstschönsten Ausdruck zu suchen und zu geben -- davon kann uns
nichts leichter und gründlicher die tröstliche Ueberzeugung verschaffen, als eine
Sonntagnachmittagsstunde im Sommer in der Nähe dieses Königsdenkmals
zugebracht.

Der wundervolle Relieffries desselben, so sehr er für diesen speciellen Platz,
für diese besondre Bestimmung vorzugsweise geeignet, ausschließlich dafür ge-


diese Kinder verschiedenen Alters gehören in Formen und Tracht so sehr einem
idealen glückseligen Geschlecht an, daß die Nymphe der Quelle mitten unter
ihnen, welche aus ihrer Urne die Cascade über die Steinblöcke fallen läßt, nicht
befremdet, nicht als ein anders geartetes Wesen aus der Einheit des Ganzen
herausfällt. Aber dieses ideale Geschlecht — und das ist der große Schritt vor¬
wärts, den Drake in dieser Schöpfung gethan — ist nicht aus der Erinnerung
an die Antike erzeugt, sondern aus liebevoller Beobachtung und seiner Erkennt¬
niß der immer jungen, immer erneuten Natur und Wirklichkeit. Daher geschieht
es, daß diese lieblichen Gestalten uns trotz ihrer reinen Schöne, trotz ihrer theil¬
weisen Nacktheit doch wieder gar nicht wie die einer entlegenen Welt gegen¬
überstehen, daß sie allem Volk so verständlich, so vertraut sind, wie es die
Nachbildungen classischer Muster, die uns einen abstracten Inhalt in antikisiren-
den Formen verkörpern möchten, nie und nimmer zu werden vermögen. So
ist unter allen öffentlich aufgestellten Monumentalwerken moderner Plastik dies
bewundernswürdige Werk wohl das geworden, das dem Empfinden einer
großen Bevölkerung in all ihren Schichten das liebste und wertheste ist.
Man muß beobachten, wie dasselbe von all den Unzähligen, welche, im
Thiergarten spazierend, davor stehen bleiben, betrachtet wird, wie Alter
und Kindheit, wie der gemeine Soldat, der einfachste Bürger so gut wie
Künstler und Kenner, jeder in seiner Art seine innige Freude und Erquickung
dran hat: da oben der „gute König, wie er leibte und lebte", und hier tiefer
diese reizenden Gebilde, in welchen das gewöhnlichste Thun und Spiel, das die
Umstehenden zum Theil noch eben selbst geübt unter dieser Bäume erquickendem
Schatten, am grünen Uferrasen dieser Gewässer, vor ihnen erhöht, veredelt,
verklärt erscheint, ohne von seiner Wahrheit und Natürlichkeit etwas abgegeben
und geopfert zu haben. Und das alles in dem edlen weißen Marmor, der so
frisch, klar und leuchtend inmitten seiner grünen und blühenden Umgebung da¬
steht, so kunstreich, so sorglich vollendet ausgeführt! Welche wahrhaft sittliche,
veredelnde, Leben und Empfinden verschönerte und weihende Wirkung auch
heut noch so gut wie in hellenischer Welt und Zeit von einem Werk plastischer
Kunst ausgehn kann, wenn sein» Urheber es eben verstand, nicht etwa nur
dem schwächlichem oder rohern Geschmack seiner Zeit und seines Volks sich
schmeichelnd anzubequemen, sondern sich in den Kreis des allgemeinen
Denkens, Fühlens und Anschauens hineinversenkend, diesem selbst den lau¬
tersten kunstschönsten Ausdruck zu suchen und zu geben — davon kann uns
nichts leichter und gründlicher die tröstliche Ueberzeugung verschaffen, als eine
Sonntagnachmittagsstunde im Sommer in der Nähe dieses Königsdenkmals
zugebracht.

Der wundervolle Relieffries desselben, so sehr er für diesen speciellen Platz,
für diese besondre Bestimmung vorzugsweise geeignet, ausschließlich dafür ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/250>, abgerufen am 26.06.2024.