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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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dacht und componirt erscheint, ist doch auch wieder seinem Inhalt und seiner
Form nach für Werke verwandter Bestimmung, Aufstellung und Umgebung wie
geschaffen. So hat Drake ihn denn auch noch mehrfach benutzt: bei einem
bald darnach modellirten Denkmal desselben Monarchen in öffentlichen Garten¬
anlagen zu Stettin, im Ganzen eine Wiederholung des Thiergartenmonuments
mit dem freilich wesentlichen Unterschiede, daß die Gestalt des Königs dort mit
einem hermelinbesctzten Herrschermantel bekleidet werden mußte, ferner bei
der prächtigen großen Vase, nun am Eingang in den Park von Sanssouci
ausgestellt,an deren wunderschönen ornamentalen Blattwerk, welches den untern
Theil ihrer Bauchung bedeckt. Drake sich als ein gleich außerordentlicher Meister
der Ornamentik erwies.

Ziemlich gleichzeitig mit der Marmorarbeit am berliner Königsdenkmal
führte er eine in ihrer Art wieder ganz abliegende künstlerische Aufgabe in
ganz origineller Weise durch. Die Schloßkirche zu Wittenberg sollte nach Fried¬
rich Wilhelm des Vierten Anordnung mit neuen broncenen Thüren versehen
werden, welche in eherner Reliesschrist die berühmten Thesen zeigen sollten,
wie sie Luther zur Eröffnung seines weltgeschichtlichen Kampfes ebendort an
die alten Pfortenflügel geheftet hatte. Diese Schriftsätze sind von feinen
gothischen Umrahmungen eingefaßt, welche oberhalb in reich und zierlich sti-
lisirten Spitzbogen abschließen. Hier, als Krönungen des Ganzen, galt es. eine
Reihe von lobsingenden und musicirenden kleinen Knabenfigürchen aus Säulen-
capitälchen und Consolen zu postiren. Drake erfand und modellirte dieselben.
Ich entsinne mich noch sehr wohl des Eindrucks dieser Gestalten, als sie auf der
Kunstausstellung von 1848 im Gipsmodell erschienen. Ihre Schlichtheit und
rührende Naivetät ist unbeschreiblich, von jener directen Gemüthswirkung, welche
Werke der Plastik so selten zu üben geeignet sind. Es sind sammt und sonders
Weder antike Genien, noch christliche Englein; vielmehr ganz simple wirkliche
Knäbchen in einer Art Jdealcostüm d. h. sehr einfachen Röcken oder halb um¬
gelegten Mänteln, welche viele Körpertheile nackt lassen. Sie singen und spielen
auf ihren ganz wirklichen Instrumenten mit einer ernsthaften herzinnigen Liebe
und frommen ehrlichen Andacht; sie stehn dabei, die Mehrzahl einzeln, einige
zu Gruppen von dreien vereinigt, so gänzlich unbewußt natürlich und doch
wie in der Kirche, von ehrfürchtiger Scheu etwas befangen und in der Haltung
fast wider Willen bedingt, daß man, man weiß nicht wie, von einer tiefen
wohlthuenden Rührung überheblicher und erfaßt wird bei dem Anblick dieser
reinen, aus dem Paradies der Naivetät noch unVertriebnen Kindernatur. Dabei
aber, -- und das hebt solche Gestalten Drakes so hoch über alle derartigen
Gebilde nazarenischer Kunst, -- ist Gesichts- und Körperbildung, Ausdruck der
Köpfchen wie der Bewegung nicht nur so allgemein schön und lieblich, sondern
immer individuell, bei jedem Einzelnen verschieden und persönlich geartet. Zur


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dacht und componirt erscheint, ist doch auch wieder seinem Inhalt und seiner
Form nach für Werke verwandter Bestimmung, Aufstellung und Umgebung wie
geschaffen. So hat Drake ihn denn auch noch mehrfach benutzt: bei einem
bald darnach modellirten Denkmal desselben Monarchen in öffentlichen Garten¬
anlagen zu Stettin, im Ganzen eine Wiederholung des Thiergartenmonuments
mit dem freilich wesentlichen Unterschiede, daß die Gestalt des Königs dort mit
einem hermelinbesctzten Herrschermantel bekleidet werden mußte, ferner bei
der prächtigen großen Vase, nun am Eingang in den Park von Sanssouci
ausgestellt,an deren wunderschönen ornamentalen Blattwerk, welches den untern
Theil ihrer Bauchung bedeckt. Drake sich als ein gleich außerordentlicher Meister
der Ornamentik erwies.

Ziemlich gleichzeitig mit der Marmorarbeit am berliner Königsdenkmal
führte er eine in ihrer Art wieder ganz abliegende künstlerische Aufgabe in
ganz origineller Weise durch. Die Schloßkirche zu Wittenberg sollte nach Fried¬
rich Wilhelm des Vierten Anordnung mit neuen broncenen Thüren versehen
werden, welche in eherner Reliesschrist die berühmten Thesen zeigen sollten,
wie sie Luther zur Eröffnung seines weltgeschichtlichen Kampfes ebendort an
die alten Pfortenflügel geheftet hatte. Diese Schriftsätze sind von feinen
gothischen Umrahmungen eingefaßt, welche oberhalb in reich und zierlich sti-
lisirten Spitzbogen abschließen. Hier, als Krönungen des Ganzen, galt es. eine
Reihe von lobsingenden und musicirenden kleinen Knabenfigürchen aus Säulen-
capitälchen und Consolen zu postiren. Drake erfand und modellirte dieselben.
Ich entsinne mich noch sehr wohl des Eindrucks dieser Gestalten, als sie auf der
Kunstausstellung von 1848 im Gipsmodell erschienen. Ihre Schlichtheit und
rührende Naivetät ist unbeschreiblich, von jener directen Gemüthswirkung, welche
Werke der Plastik so selten zu üben geeignet sind. Es sind sammt und sonders
Weder antike Genien, noch christliche Englein; vielmehr ganz simple wirkliche
Knäbchen in einer Art Jdealcostüm d. h. sehr einfachen Röcken oder halb um¬
gelegten Mänteln, welche viele Körpertheile nackt lassen. Sie singen und spielen
auf ihren ganz wirklichen Instrumenten mit einer ernsthaften herzinnigen Liebe
und frommen ehrlichen Andacht; sie stehn dabei, die Mehrzahl einzeln, einige
zu Gruppen von dreien vereinigt, so gänzlich unbewußt natürlich und doch
wie in der Kirche, von ehrfürchtiger Scheu etwas befangen und in der Haltung
fast wider Willen bedingt, daß man, man weiß nicht wie, von einer tiefen
wohlthuenden Rührung überheblicher und erfaßt wird bei dem Anblick dieser
reinen, aus dem Paradies der Naivetät noch unVertriebnen Kindernatur. Dabei
aber, — und das hebt solche Gestalten Drakes so hoch über alle derartigen
Gebilde nazarenischer Kunst, — ist Gesichts- und Körperbildung, Ausdruck der
Köpfchen wie der Bewegung nicht nur so allgemein schön und lieblich, sondern
immer individuell, bei jedem Einzelnen verschieden und persönlich geartet. Zur


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[0251] dacht und componirt erscheint, ist doch auch wieder seinem Inhalt und seiner Form nach für Werke verwandter Bestimmung, Aufstellung und Umgebung wie geschaffen. So hat Drake ihn denn auch noch mehrfach benutzt: bei einem bald darnach modellirten Denkmal desselben Monarchen in öffentlichen Garten¬ anlagen zu Stettin, im Ganzen eine Wiederholung des Thiergartenmonuments mit dem freilich wesentlichen Unterschiede, daß die Gestalt des Königs dort mit einem hermelinbesctzten Herrschermantel bekleidet werden mußte, ferner bei der prächtigen großen Vase, nun am Eingang in den Park von Sanssouci ausgestellt,an deren wunderschönen ornamentalen Blattwerk, welches den untern Theil ihrer Bauchung bedeckt. Drake sich als ein gleich außerordentlicher Meister der Ornamentik erwies. Ziemlich gleichzeitig mit der Marmorarbeit am berliner Königsdenkmal führte er eine in ihrer Art wieder ganz abliegende künstlerische Aufgabe in ganz origineller Weise durch. Die Schloßkirche zu Wittenberg sollte nach Fried¬ rich Wilhelm des Vierten Anordnung mit neuen broncenen Thüren versehen werden, welche in eherner Reliesschrist die berühmten Thesen zeigen sollten, wie sie Luther zur Eröffnung seines weltgeschichtlichen Kampfes ebendort an die alten Pfortenflügel geheftet hatte. Diese Schriftsätze sind von feinen gothischen Umrahmungen eingefaßt, welche oberhalb in reich und zierlich sti- lisirten Spitzbogen abschließen. Hier, als Krönungen des Ganzen, galt es. eine Reihe von lobsingenden und musicirenden kleinen Knabenfigürchen aus Säulen- capitälchen und Consolen zu postiren. Drake erfand und modellirte dieselben. Ich entsinne mich noch sehr wohl des Eindrucks dieser Gestalten, als sie auf der Kunstausstellung von 1848 im Gipsmodell erschienen. Ihre Schlichtheit und rührende Naivetät ist unbeschreiblich, von jener directen Gemüthswirkung, welche Werke der Plastik so selten zu üben geeignet sind. Es sind sammt und sonders Weder antike Genien, noch christliche Englein; vielmehr ganz simple wirkliche Knäbchen in einer Art Jdealcostüm d. h. sehr einfachen Röcken oder halb um¬ gelegten Mänteln, welche viele Körpertheile nackt lassen. Sie singen und spielen auf ihren ganz wirklichen Instrumenten mit einer ernsthaften herzinnigen Liebe und frommen ehrlichen Andacht; sie stehn dabei, die Mehrzahl einzeln, einige zu Gruppen von dreien vereinigt, so gänzlich unbewußt natürlich und doch wie in der Kirche, von ehrfürchtiger Scheu etwas befangen und in der Haltung fast wider Willen bedingt, daß man, man weiß nicht wie, von einer tiefen wohlthuenden Rührung überheblicher und erfaßt wird bei dem Anblick dieser reinen, aus dem Paradies der Naivetät noch unVertriebnen Kindernatur. Dabei aber, — und das hebt solche Gestalten Drakes so hoch über alle derartigen Gebilde nazarenischer Kunst, — ist Gesichts- und Körperbildung, Ausdruck der Köpfchen wie der Bewegung nicht nur so allgemein schön und lieblich, sondern immer individuell, bei jedem Einzelnen verschieden und persönlich geartet. Zur 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/251>, abgerufen am 28.09.2024.