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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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außer dem an seines Baders Drehbank, genossen. Jedenfalls bestätigen die
endlichen Resultate dieser Art von Bildungsschule glänzend unsre Meinung von
derjenigen, welche die für einen großen Künstler geeignetste und fruchtbrin¬
gendste ist. Das mechanische Genie des Vaters war auf Drake noch in ver¬
stärktem 'Maß übergegangen. Der treffende Blick und die erfinderische Kraft
für das praktisch Nichtige und Beste, die er bereits in seinem zartesten Alter
bewies, setzte jenen, wie seine Auftraggeber oft genug in Erstaunen. So schien
über seinen wahren Lebensberuf kein Zweifel möglich. Er kam mit etwa fünf¬
zehn Jahren in die Werkstatt des Mechanikers Breithaupt in Kassel, nicht ohne
daß dem zarten, kleinen, noch knabenhaften Jüngling, welchem niemand sein
wirkliches Können angemerkt hätte, die Annahme sehr erschwert, nicht daß
dann freilich sein Triumph nur um so größer gewesen wäre, als seine Leistun¬
gen den trügerischen Anschein aufs vollständigste widerlegten. Aber mitten in
der angestrengten Arbeit des Metalldrehers und Mechanikers entfaltete sich bei
ihm mehr und mehr die Lust zum künstlerischen Bilden und Gestalten. Elfen¬
beinschnitzereien, sprechend ähnliche kleine Büsten und Statuetten bekannter Per-
sönlichkeiten von der Hand des jungen Arbeiters lenkten die Aufmerksamkeit
localer Kunstautoritäten und Kunstfreunde auf ihn. Ich glaube, es war der
kasseler Hofbildhauer Ruht, der ihm zuerst das zündende Wort in die Seele
warf: "Sie müßten zu Rauch nach Berlin". Und es kam dahin, er gelangte
an das Ziel seiner sehnsüchtigen Träume, nach Berlin, mit einem ersparten Ver¬
mögen von ungefähr dreißig Thalern ausgerüstet. Von ehrfurchtsvollen Schauern
erfüllt stand er in der Werkstatt seines berühmten Landsmanns zwischen jenen
Statuen und Monumenten, von denen der Ruhm ihm so viel Wunder erzählt
hatte. Rauch mochte den praktisch gründlich geschulten und geübten Jüngling,
der sich künstlerisch zudem noch durch die höchst frappante, charaktervoll auf¬
gefaßte kleine Büste eines gemeinschaftlichen Bekannten aus der gemeinsamen
Heimath ihm aufs beste empfahl, recht gern als Lehrling in seine Werkstatt
aufnehmen; nur knüpfte er diese Aufnahme, wie bei allen seinen Schülern, an
eine Bedingung: drei Jahre lang müsse er sich aus eignen Mitteln erhalten
können. Wenn jemals, so hat hier der Zweck die angewandten Mittel gehei¬
ligt und die vorhandenen "Mittel" verhundertfacht. Im Bewußtsein des frei¬
lich bereits etwas geschmälerten Besitzes seiner dreißig Thaler versicherte Drake
den Meister seiner zweifellosen Subsistenzfähigkeit und wurde als Schüler auf,
genommen. Rührend und humoristisch zugleich in hohem Grade wirkt die Ge¬
schichte der sinnreichen Veranstaltungen des Schülers, seinem Capital die nöthige
elastische Dehnbarkeit zu verleihen, die es für drei Jahre ausreichen machen
sollte, der verzweifelten Versuche, bei angestrengter Arbeit in der Werkstatt mit
sechs Pfennigen täglich existiren zu lernen und dem entsprechend nicht nur seine
Nahrungs-, sondern auch seine Wohnungs- und Nachtquartierverhältnisse zu


außer dem an seines Baders Drehbank, genossen. Jedenfalls bestätigen die
endlichen Resultate dieser Art von Bildungsschule glänzend unsre Meinung von
derjenigen, welche die für einen großen Künstler geeignetste und fruchtbrin¬
gendste ist. Das mechanische Genie des Vaters war auf Drake noch in ver¬
stärktem 'Maß übergegangen. Der treffende Blick und die erfinderische Kraft
für das praktisch Nichtige und Beste, die er bereits in seinem zartesten Alter
bewies, setzte jenen, wie seine Auftraggeber oft genug in Erstaunen. So schien
über seinen wahren Lebensberuf kein Zweifel möglich. Er kam mit etwa fünf¬
zehn Jahren in die Werkstatt des Mechanikers Breithaupt in Kassel, nicht ohne
daß dem zarten, kleinen, noch knabenhaften Jüngling, welchem niemand sein
wirkliches Können angemerkt hätte, die Annahme sehr erschwert, nicht daß
dann freilich sein Triumph nur um so größer gewesen wäre, als seine Leistun¬
gen den trügerischen Anschein aufs vollständigste widerlegten. Aber mitten in
der angestrengten Arbeit des Metalldrehers und Mechanikers entfaltete sich bei
ihm mehr und mehr die Lust zum künstlerischen Bilden und Gestalten. Elfen¬
beinschnitzereien, sprechend ähnliche kleine Büsten und Statuetten bekannter Per-
sönlichkeiten von der Hand des jungen Arbeiters lenkten die Aufmerksamkeit
localer Kunstautoritäten und Kunstfreunde auf ihn. Ich glaube, es war der
kasseler Hofbildhauer Ruht, der ihm zuerst das zündende Wort in die Seele
warf: „Sie müßten zu Rauch nach Berlin". Und es kam dahin, er gelangte
an das Ziel seiner sehnsüchtigen Träume, nach Berlin, mit einem ersparten Ver¬
mögen von ungefähr dreißig Thalern ausgerüstet. Von ehrfurchtsvollen Schauern
erfüllt stand er in der Werkstatt seines berühmten Landsmanns zwischen jenen
Statuen und Monumenten, von denen der Ruhm ihm so viel Wunder erzählt
hatte. Rauch mochte den praktisch gründlich geschulten und geübten Jüngling,
der sich künstlerisch zudem noch durch die höchst frappante, charaktervoll auf¬
gefaßte kleine Büste eines gemeinschaftlichen Bekannten aus der gemeinsamen
Heimath ihm aufs beste empfahl, recht gern als Lehrling in seine Werkstatt
aufnehmen; nur knüpfte er diese Aufnahme, wie bei allen seinen Schülern, an
eine Bedingung: drei Jahre lang müsse er sich aus eignen Mitteln erhalten
können. Wenn jemals, so hat hier der Zweck die angewandten Mittel gehei¬
ligt und die vorhandenen „Mittel" verhundertfacht. Im Bewußtsein des frei¬
lich bereits etwas geschmälerten Besitzes seiner dreißig Thaler versicherte Drake
den Meister seiner zweifellosen Subsistenzfähigkeit und wurde als Schüler auf,
genommen. Rührend und humoristisch zugleich in hohem Grade wirkt die Ge¬
schichte der sinnreichen Veranstaltungen des Schülers, seinem Capital die nöthige
elastische Dehnbarkeit zu verleihen, die es für drei Jahre ausreichen machen
sollte, der verzweifelten Versuche, bei angestrengter Arbeit in der Werkstatt mit
sechs Pfennigen täglich existiren zu lernen und dem entsprechend nicht nur seine
Nahrungs-, sondern auch seine Wohnungs- und Nachtquartierverhältnisse zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/246>, abgerufen am 22.07.2024.