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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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können. Durch schweigende Zustimmung retteten die Stände wenigstens noch
einen ansehnlichen Rest davon, überhoben sich der Widerwärtigkeit, ihre An¬
sichten über diesen Gegenstand der Kritik Preis zu geben und reservirten sich
für eine Rückkehr zu dem früheren weiteren Umfange des Prügelrechts zu einer
gelegenen Stunde die volle Freiheit der Entschließung.




Die berliner Bildhauerschule.
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Unter der älteren Generation der rauchschen Schule übertrifft an Liebens¬
würdigkeit, Vielseitigkeit und zugleich innerster kernhafter Gesundheit der künst¬
lerischen Natur keiner der Genossen Friedrich Drake. Seine Jugend- und
Entwicklungsgeschichte klingt wie eine Dichtung, alle Poesie des Elends, des
Genies und der Arbeit wird darin lebendig; auch die abenteuerlichste, welche
von manchem großen Künstler zu erzählen war, ist nicht so reich wie diese an
tief rührenden und innig ergreifenden Episoden, an heroischen Thaten im lan¬
gen Kampf mit dem erdrückenden Jammer, mit kümmerlicher Noth und Armuth,
welche die Kindheit und Jugend dieses Meisters belasteten. Da wir es hier
nur mit seinem eigentlichen Kunstschaffen zu thun haben, werden für diese
Vorgeschichte desselben wenige Daten genügen. Dies "Jugendleben" erwartet
noch seinen Biographen. Der einfache nüchterne Erzähler könnte zum Dichter
daran werden. Drake ist 1805 in Pyrmont geboren, Sohn eines Drechslers,
den sein außerordentliches und erfindungsreiches Genie in der Mechanik und Ma-
schinenconstruction nicht vor der allerbittersten Lebensnoth bewahren konnte,
wie leicht er dieselbe auch an seiner Drehbank arbeitend, oder neue Construc-
tionen und Instrumente ersinnend, vergessen mochte. Eine zweite Heirath und
in deren Folge ein überreicher Kindersegen verengten den einzigen und gemein¬
samen Wohnungs- und Arbeitsraum der Familie und steigerten ihre Dürftigkeit
und ihre Entbehrungen aufs Aeußerste. Der stille, zugleich träumerische und prak¬
tisch höchst anstellige Knabe, des Vaters Liebling und Mitarbeiter, seit er seine kind¬
lichen Händchen gebrauchen konnte, hat diesen herben Kelch auf die Hefe leeren
müssen. Von den "Freuden der Kindheit" im gewöhnlichen Sinne hat er nie
etwas kennen gelernt und ebenso wenig kaum je den nothdürftigsten Unterricht


können. Durch schweigende Zustimmung retteten die Stände wenigstens noch
einen ansehnlichen Rest davon, überhoben sich der Widerwärtigkeit, ihre An¬
sichten über diesen Gegenstand der Kritik Preis zu geben und reservirten sich
für eine Rückkehr zu dem früheren weiteren Umfange des Prügelrechts zu einer
gelegenen Stunde die volle Freiheit der Entschließung.




Die berliner Bildhauerschule.
i»jS Di!^' S^'.N ) ^!.,^ 55

Unter der älteren Generation der rauchschen Schule übertrifft an Liebens¬
würdigkeit, Vielseitigkeit und zugleich innerster kernhafter Gesundheit der künst¬
lerischen Natur keiner der Genossen Friedrich Drake. Seine Jugend- und
Entwicklungsgeschichte klingt wie eine Dichtung, alle Poesie des Elends, des
Genies und der Arbeit wird darin lebendig; auch die abenteuerlichste, welche
von manchem großen Künstler zu erzählen war, ist nicht so reich wie diese an
tief rührenden und innig ergreifenden Episoden, an heroischen Thaten im lan¬
gen Kampf mit dem erdrückenden Jammer, mit kümmerlicher Noth und Armuth,
welche die Kindheit und Jugend dieses Meisters belasteten. Da wir es hier
nur mit seinem eigentlichen Kunstschaffen zu thun haben, werden für diese
Vorgeschichte desselben wenige Daten genügen. Dies „Jugendleben" erwartet
noch seinen Biographen. Der einfache nüchterne Erzähler könnte zum Dichter
daran werden. Drake ist 1805 in Pyrmont geboren, Sohn eines Drechslers,
den sein außerordentliches und erfindungsreiches Genie in der Mechanik und Ma-
schinenconstruction nicht vor der allerbittersten Lebensnoth bewahren konnte,
wie leicht er dieselbe auch an seiner Drehbank arbeitend, oder neue Construc-
tionen und Instrumente ersinnend, vergessen mochte. Eine zweite Heirath und
in deren Folge ein überreicher Kindersegen verengten den einzigen und gemein¬
samen Wohnungs- und Arbeitsraum der Familie und steigerten ihre Dürftigkeit
und ihre Entbehrungen aufs Aeußerste. Der stille, zugleich träumerische und prak¬
tisch höchst anstellige Knabe, des Vaters Liebling und Mitarbeiter, seit er seine kind¬
lichen Händchen gebrauchen konnte, hat diesen herben Kelch auf die Hefe leeren
müssen. Von den „Freuden der Kindheit" im gewöhnlichen Sinne hat er nie
etwas kennen gelernt und ebenso wenig kaum je den nothdürftigsten Unterricht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/245>, abgerufen am 26.06.2024.