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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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selten des Gesehentwurfs nach einmaliger Verlesung nicht genau zu übersehen
und mit dem Inhalte des Rescripts zu vergleichen im Stande war, leicht zu
irrthümlichen Voraussetzungen Veranlassung geben konnte. Das Gesetz hält
außerdem die körperliche Züchtigung als Strafmittel in den Corrections" und
Strafanstalten fest, was das Rescript zu motiviren unterlassen hat, und das-
selbe ändert auch an der Länge und Dicke der "Röhrchen" nichts.

Nach der neuen, zum Weihnachtsfeste 1866 publicirten Gesetzgebung ist
demnach die Prügelstrafe in Mecklenburg noch in folgenden Fällen anwendbar.

I. In polizeilichen Untersuchungen:

1) Zur Bestrafung des gewerbmäßigen Bettelns und der mit Unfug oder
öffentlichem Aergerniß verbundenen Trunkenheit, Rohheit -- ein seinem Begriffe
nach sehr unbestimmtes Vergehen, welches dem in der früheren Gesetzgebung
enthaltenen Vergehen der "Völlerei" substituirt worden ist -- und Liederlichkeit
bei solchen Individuen, welche wegen der genannten Vergehen bereits wieder¬
holt bestraft worden sind, wenn deren Persönlichkeit die Annahme begründet,
daß andere Strafmittel ihre Wirkung verfehlen würden.

2) Zur Bestrafung kleiner, polizeilich strafbarer Diebstähle. Solcher polizei¬
lichen Bestrafung unterliegen einfache, zum ersten Male begangene Entwendungen
bis zum Werthe von 8 Thlr. Wer öfter oder mehr als S Thlr. stiehlt, ent¬
geht dadurch also der Prügelstrafe! Die Ortspolizeibchörde kann für den ein¬
fachen Diebstahl, wohin auch der Funddiebstahl unter Umständen gehört, eine
körperliche Züchtigung bis zu fünfundzwanzig Streichen verhängen.
Auf den ritterschaftlichen Gütern kann daher der Gutsherr selbst, mit Zuziehung
eines Actuars, diese Strafe decretiren. auch in Fällen, wo derselbe als Be¬
schädigter betheiligt ist. Bei der Feststellung des Thatsächlichen folgt er den
Spuren, welche sein mehr oder weniger entwickelter Spürsinn ihm nachweist.

II. Zur Aufrechthaltung der Disciplin in den Gefängnissen und Straf¬
anstalten, in den Arbeits- und Armenhäusern und in allen ähnlichen Anstalten.
Die Reglements, meistens ohne Mitwirkung der Stände erlassen und abgeändert,
bedrohen z. B. in einzelnen Gefängnissen alles hörbare Sprechen mit körper¬
licher Züchtigung bis zu fünfundzwanzig Hieben.

Mit der neuen Gesetzgebung ist demnach das Ende der im Jahre 1852
wieder eingetretenen Prügelaera noch keineswegs erreicht, vielmehr noch in gar
vielen Fällen den Behörden der Stock noch zur Verfügung geblieben. Sicherlich
wäre es der mecklenburgischen Stände würdiger gewesen, der Frage offen und
ernstlich ins Auge zu sehen und eine bewußte principielle Stellung zu ihr ein¬
zunehmen, als so laut- und willenlos einer fremden Ueberzeugung sich anzu¬
schließen und sich von einer die Halbheit repräsentirenden Vorlage ins Schlepptau
nehmen zu lassen. Aber die Discussion konnte weitergehende Vorschläge bringen,
infolge welcher das Prügelrecht leicht noch größeren Schaden hätte nehmen


selten des Gesehentwurfs nach einmaliger Verlesung nicht genau zu übersehen
und mit dem Inhalte des Rescripts zu vergleichen im Stande war, leicht zu
irrthümlichen Voraussetzungen Veranlassung geben konnte. Das Gesetz hält
außerdem die körperliche Züchtigung als Strafmittel in den Corrections» und
Strafanstalten fest, was das Rescript zu motiviren unterlassen hat, und das-
selbe ändert auch an der Länge und Dicke der „Röhrchen" nichts.

Nach der neuen, zum Weihnachtsfeste 1866 publicirten Gesetzgebung ist
demnach die Prügelstrafe in Mecklenburg noch in folgenden Fällen anwendbar.

I. In polizeilichen Untersuchungen:

1) Zur Bestrafung des gewerbmäßigen Bettelns und der mit Unfug oder
öffentlichem Aergerniß verbundenen Trunkenheit, Rohheit — ein seinem Begriffe
nach sehr unbestimmtes Vergehen, welches dem in der früheren Gesetzgebung
enthaltenen Vergehen der „Völlerei" substituirt worden ist — und Liederlichkeit
bei solchen Individuen, welche wegen der genannten Vergehen bereits wieder¬
holt bestraft worden sind, wenn deren Persönlichkeit die Annahme begründet,
daß andere Strafmittel ihre Wirkung verfehlen würden.

2) Zur Bestrafung kleiner, polizeilich strafbarer Diebstähle. Solcher polizei¬
lichen Bestrafung unterliegen einfache, zum ersten Male begangene Entwendungen
bis zum Werthe von 8 Thlr. Wer öfter oder mehr als S Thlr. stiehlt, ent¬
geht dadurch also der Prügelstrafe! Die Ortspolizeibchörde kann für den ein¬
fachen Diebstahl, wohin auch der Funddiebstahl unter Umständen gehört, eine
körperliche Züchtigung bis zu fünfundzwanzig Streichen verhängen.
Auf den ritterschaftlichen Gütern kann daher der Gutsherr selbst, mit Zuziehung
eines Actuars, diese Strafe decretiren. auch in Fällen, wo derselbe als Be¬
schädigter betheiligt ist. Bei der Feststellung des Thatsächlichen folgt er den
Spuren, welche sein mehr oder weniger entwickelter Spürsinn ihm nachweist.

II. Zur Aufrechthaltung der Disciplin in den Gefängnissen und Straf¬
anstalten, in den Arbeits- und Armenhäusern und in allen ähnlichen Anstalten.
Die Reglements, meistens ohne Mitwirkung der Stände erlassen und abgeändert,
bedrohen z. B. in einzelnen Gefängnissen alles hörbare Sprechen mit körper¬
licher Züchtigung bis zu fünfundzwanzig Hieben.

Mit der neuen Gesetzgebung ist demnach das Ende der im Jahre 1852
wieder eingetretenen Prügelaera noch keineswegs erreicht, vielmehr noch in gar
vielen Fällen den Behörden der Stock noch zur Verfügung geblieben. Sicherlich
wäre es der mecklenburgischen Stände würdiger gewesen, der Frage offen und
ernstlich ins Auge zu sehen und eine bewußte principielle Stellung zu ihr ein¬
zunehmen, als so laut- und willenlos einer fremden Ueberzeugung sich anzu¬
schließen und sich von einer die Halbheit repräsentirenden Vorlage ins Schlepptau
nehmen zu lassen. Aber die Discussion konnte weitergehende Vorschläge bringen,
infolge welcher das Prügelrecht leicht noch größeren Schaden hätte nehmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/244>, abgerufen am 26.06.2024.