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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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lich auch ohne weitere Prüfung, lediglich nach dem Eindruck der einmaligen
Vorlesung.

Das großherzogliche Rescript, welches die Vorlage einführte, enthielt im
Eingange die Mittheilung, daß das Bedürfniß einer Wiederherstellung der
körperlichen Züchtigung im Jahre 1852 hauptsächlich in den Nachwirkungen
der voraufgegangenen aufgeregten Zeit begründet gewesen sei, und daß dieselbe
darnach schon an sich nur einen provisorischen Charakter gehabt habe. "Seitdem"
-- also seit 1862 und 1853 -- "haben sich die Verhältnisse derart geändert,
daß solches Bedürfniß nicht mehr als bestehend anerkannt werden kann." Zugleich
sei die Gesetzgebung in wichtigen, hierbei in Betracht kommenden Punkten eine
andere geworden. Es wird an die inzwischen eingetretene Erleichterung des
Jndicienbeweises erinnert, welche die körperliche Züchtigung bei Untersuchungen
als Strafmittel für Lügen u. s. w. nicht mehr als nothwendig erscheinen lasse,
da an die Stelle positiver Beweisregeln die richterliche Ueberzeugung getreten
sei, serner an die Einführung der Zwangsarbeit als Strafe der Forstfrevler.
Aus diesen Gründen, "so wie in Mitberücksichtigung der Gesetzgebung anderer
Staaten", in denen die körperliche Züchtigung als Strafmittel abgeschafft wurde,
sei die Wiederaufhebung der Verordnung von 1852 bereits "vor längerer Zeit"
in Erwägung gezogen worden. Die zum Bericht aufgeforderten Gerichte und
Polizeibehörden hätten erklärt, daß von der körperlichen Züchtigung als Straf¬
mittel nur "äußerst selten" Gebrauch gemacht sei -- wodurch anscheinend die
Behauptung, daß dieselbe in dem Zeitraum von 1862 bis 1865 unentbehr-
liches Bedürfniß gewesen sei, nicht grade eine Bestätigung empfängt. Hier¬
nach, fährt das Rescript fort, erschien es unbedenklich, die körperliche Züchtigung
als gerichtliches Strafmittel gänzlich aufzugeben, als polizeiliches Strafmittel
zwar im Uebrigen gleichfalls, jedoch mit Ausnahme des gewerbmäßigen Bettelns.
der polizeilich strafbaren Diebstähle, der mit Unfug oder öffentlichem Aergerniß
verbundenen Trunkenheit, Rohheit oder Liederlichkeit, gegen solche Personen,
die schon wiederholt wegen solcher Vergehen bestraft und völlig herabgesunken
sind. Für diese Fälle also besteht nach Ansicht der Regierung das Bedürfniß
der Prügelstrafe noch fort.

Der beigefügte, von den Ständen ohne Prüfung und Discussion ange¬
nommene, auch sogleich nach Schluß des Landtags publicirte Gesetzentwurf
steht mit dieser Aufstellung der Ausnahmefälle insofern nicht im Einklange, als
er die vorangegangene wiederholte Bestrafung bei den polizeilich strafbaren
Diebstählen nicht zur Voraussetzung der Anwendbarkeit der Prügelstrafe macht
und auch nicht machen kann, weil Diebstähle Rückfälliger überhaupt nicht der
Polizeilicher, sondern der gerichtlichen Competenz unterliegen. Man muß hieraus
auf eine gewisse Flüchtigkeit in der Redaction des Rescripts schließen, welche
um so mehr zu bedauern ist, als sie in einer Versammlung, welche die Einzel"


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lich auch ohne weitere Prüfung, lediglich nach dem Eindruck der einmaligen
Vorlesung.

Das großherzogliche Rescript, welches die Vorlage einführte, enthielt im
Eingange die Mittheilung, daß das Bedürfniß einer Wiederherstellung der
körperlichen Züchtigung im Jahre 1852 hauptsächlich in den Nachwirkungen
der voraufgegangenen aufgeregten Zeit begründet gewesen sei, und daß dieselbe
darnach schon an sich nur einen provisorischen Charakter gehabt habe. „Seitdem"
— also seit 1862 und 1853 — „haben sich die Verhältnisse derart geändert,
daß solches Bedürfniß nicht mehr als bestehend anerkannt werden kann." Zugleich
sei die Gesetzgebung in wichtigen, hierbei in Betracht kommenden Punkten eine
andere geworden. Es wird an die inzwischen eingetretene Erleichterung des
Jndicienbeweises erinnert, welche die körperliche Züchtigung bei Untersuchungen
als Strafmittel für Lügen u. s. w. nicht mehr als nothwendig erscheinen lasse,
da an die Stelle positiver Beweisregeln die richterliche Ueberzeugung getreten
sei, serner an die Einführung der Zwangsarbeit als Strafe der Forstfrevler.
Aus diesen Gründen, „so wie in Mitberücksichtigung der Gesetzgebung anderer
Staaten", in denen die körperliche Züchtigung als Strafmittel abgeschafft wurde,
sei die Wiederaufhebung der Verordnung von 1852 bereits „vor längerer Zeit"
in Erwägung gezogen worden. Die zum Bericht aufgeforderten Gerichte und
Polizeibehörden hätten erklärt, daß von der körperlichen Züchtigung als Straf¬
mittel nur „äußerst selten" Gebrauch gemacht sei — wodurch anscheinend die
Behauptung, daß dieselbe in dem Zeitraum von 1862 bis 1865 unentbehr-
liches Bedürfniß gewesen sei, nicht grade eine Bestätigung empfängt. Hier¬
nach, fährt das Rescript fort, erschien es unbedenklich, die körperliche Züchtigung
als gerichtliches Strafmittel gänzlich aufzugeben, als polizeiliches Strafmittel
zwar im Uebrigen gleichfalls, jedoch mit Ausnahme des gewerbmäßigen Bettelns.
der polizeilich strafbaren Diebstähle, der mit Unfug oder öffentlichem Aergerniß
verbundenen Trunkenheit, Rohheit oder Liederlichkeit, gegen solche Personen,
die schon wiederholt wegen solcher Vergehen bestraft und völlig herabgesunken
sind. Für diese Fälle also besteht nach Ansicht der Regierung das Bedürfniß
der Prügelstrafe noch fort.

Der beigefügte, von den Ständen ohne Prüfung und Discussion ange¬
nommene, auch sogleich nach Schluß des Landtags publicirte Gesetzentwurf
steht mit dieser Aufstellung der Ausnahmefälle insofern nicht im Einklange, als
er die vorangegangene wiederholte Bestrafung bei den polizeilich strafbaren
Diebstählen nicht zur Voraussetzung der Anwendbarkeit der Prügelstrafe macht
und auch nicht machen kann, weil Diebstähle Rückfälliger überhaupt nicht der
Polizeilicher, sondern der gerichtlichen Competenz unterliegen. Man muß hieraus
auf eine gewisse Flüchtigkeit in der Redaction des Rescripts schließen, welche
um so mehr zu bedauern ist, als sie in einer Versammlung, welche die Einzel«


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[0243] lich auch ohne weitere Prüfung, lediglich nach dem Eindruck der einmaligen Vorlesung. Das großherzogliche Rescript, welches die Vorlage einführte, enthielt im Eingange die Mittheilung, daß das Bedürfniß einer Wiederherstellung der körperlichen Züchtigung im Jahre 1852 hauptsächlich in den Nachwirkungen der voraufgegangenen aufgeregten Zeit begründet gewesen sei, und daß dieselbe darnach schon an sich nur einen provisorischen Charakter gehabt habe. „Seitdem" — also seit 1862 und 1853 — „haben sich die Verhältnisse derart geändert, daß solches Bedürfniß nicht mehr als bestehend anerkannt werden kann." Zugleich sei die Gesetzgebung in wichtigen, hierbei in Betracht kommenden Punkten eine andere geworden. Es wird an die inzwischen eingetretene Erleichterung des Jndicienbeweises erinnert, welche die körperliche Züchtigung bei Untersuchungen als Strafmittel für Lügen u. s. w. nicht mehr als nothwendig erscheinen lasse, da an die Stelle positiver Beweisregeln die richterliche Ueberzeugung getreten sei, serner an die Einführung der Zwangsarbeit als Strafe der Forstfrevler. Aus diesen Gründen, „so wie in Mitberücksichtigung der Gesetzgebung anderer Staaten", in denen die körperliche Züchtigung als Strafmittel abgeschafft wurde, sei die Wiederaufhebung der Verordnung von 1852 bereits „vor längerer Zeit" in Erwägung gezogen worden. Die zum Bericht aufgeforderten Gerichte und Polizeibehörden hätten erklärt, daß von der körperlichen Züchtigung als Straf¬ mittel nur „äußerst selten" Gebrauch gemacht sei — wodurch anscheinend die Behauptung, daß dieselbe in dem Zeitraum von 1862 bis 1865 unentbehr- liches Bedürfniß gewesen sei, nicht grade eine Bestätigung empfängt. Hier¬ nach, fährt das Rescript fort, erschien es unbedenklich, die körperliche Züchtigung als gerichtliches Strafmittel gänzlich aufzugeben, als polizeiliches Strafmittel zwar im Uebrigen gleichfalls, jedoch mit Ausnahme des gewerbmäßigen Bettelns. der polizeilich strafbaren Diebstähle, der mit Unfug oder öffentlichem Aergerniß verbundenen Trunkenheit, Rohheit oder Liederlichkeit, gegen solche Personen, die schon wiederholt wegen solcher Vergehen bestraft und völlig herabgesunken sind. Für diese Fälle also besteht nach Ansicht der Regierung das Bedürfniß der Prügelstrafe noch fort. Der beigefügte, von den Ständen ohne Prüfung und Discussion ange¬ nommene, auch sogleich nach Schluß des Landtags publicirte Gesetzentwurf steht mit dieser Aufstellung der Ausnahmefälle insofern nicht im Einklange, als er die vorangegangene wiederholte Bestrafung bei den polizeilich strafbaren Diebstählen nicht zur Voraussetzung der Anwendbarkeit der Prügelstrafe macht und auch nicht machen kann, weil Diebstähle Rückfälliger überhaupt nicht der Polizeilicher, sondern der gerichtlichen Competenz unterliegen. Man muß hieraus auf eine gewisse Flüchtigkeit in der Redaction des Rescripts schließen, welche um so mehr zu bedauern ist, als sie in einer Versammlung, welche die Einzel« 29-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/243>, abgerufen am 22.07.2024.