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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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kennen." Da diese "Streiche" ausdrücklich als Strafe der Dienstvergehen aufgeführt
und mit den Geld- und Gefängnißstrafen in einer Reihe zur Auswahl verstellt
wurden, so war damit den Gutsherren das Recht ertheilt, gegen ihre Gutsleute die
Strafe der körperlichen Züchtigung wegen irgendeines Vergehens im Dienst
zu decretiren. Ein Sturm der Entrüstung ging, angesichts dieser Thatsache,
durch die ganze deutsche Presse und noch über die deutschen Grenzen hinaus.
Die Vertheidiger des Gesetzes versuchten denselben dadurch zu beschwichtigen,
daß sie der limitirenden Clausel: "so weit nach den Verordnungen von 1852
und 1853 körperliche Züchtigung statthaft ist", welche nur den Sinn haben
kann, daß bei der Strafzumessung gewisse in den genaunnten Verordnungen
aufgestellte Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Prügelstrafe (z. B. hin¬
sichtlich des Alters, des Gesundheitszustandes u. s. w. der zu strafenden Person)
beobachtet werden sollten, die Deutung gaben, daß damit nur eine Strafe für
etwaige concurrirende Vergehen gemeint sei, welche durch die Verordnungen
von 1852 und 1863 mit der Strafe der körperlichen Züchtigung bedroht werden.
Die Deutung ist gezwungen genug. Aber auch wenn sie richtig wäre, würde
es noch immer eine für den gegenwärtigen Culturstand ganz abnorme Erscheinung
sein, daß einem Gutsherrn das Recht zugestanden wird, über Dienstvergehen
seiner Gutstagelöhner und ihrer Frauen und Kinder, auch in eigener Sache,
polizeilich zu erkennen und sofern damit ein anderweitiges, der Strafe der
körperlichen Züchtigung unterliegendes Vergehen, z. B. Völlerei, concurrirt,
25 Hiebe zu decretiren.

Dem allgemeinen Verwerfungsurtheil gegenüber vermochte die Regierung
das Gesetz nicht aufrecht zu erhalten. Sie sah sich genöthigt, mit einem Gesetz¬
entwurf vor den Landtag zu treten, welcher eine wesentliche Beschränkung der
körperlichen Züchtigung bezweckte. Zu einer vollständigen Abschaffung konnte
sie sich noch nicht erheben, da es ihr fast unmöglich zu sein scheint, irgendeine
Sache principiell zu behandeln. In der Landtagssitzung vom 12. December
ward ein großherzogliches Rescript nebst einem Gesetzentwurf in Betreff der
körperlichen Züchtigung vorgelegt. Die Vorlage geschah mit der Erkärung, daß
der Großherzog auf den proponirten Gesetzentwurf einen besonderen Werth
lege, und daß daher die Landtagscommissarien dessen Annahme angelegentlich
befürworteten. Hierauf erhob sich der Vorsitzende Landrath und beantragte, daß
die Versammlung dem Gesetzentwurf ohne Discussion zustimmen möge.
Er selbst aber glaubte noch zur Empfehlung desselben bemerken zu dürfen, daß
dadurch die in Frage stehende Strafart so weit beschränkt werde, daß gewiß
jeder sich damit einverstanden erklären könne, und hob dann auch noch seiner¬
seits das Gewicht hervor, welches die Versammlung auf den von dem Gro߬
herzog geäußerten besonderen Wunsch zu legen verpflichtet sei. Die Annahme
des Gesetzentwurfes erfolgte denn auch wirklich ohne weitere Discussion, frei-


kennen." Da diese „Streiche" ausdrücklich als Strafe der Dienstvergehen aufgeführt
und mit den Geld- und Gefängnißstrafen in einer Reihe zur Auswahl verstellt
wurden, so war damit den Gutsherren das Recht ertheilt, gegen ihre Gutsleute die
Strafe der körperlichen Züchtigung wegen irgendeines Vergehens im Dienst
zu decretiren. Ein Sturm der Entrüstung ging, angesichts dieser Thatsache,
durch die ganze deutsche Presse und noch über die deutschen Grenzen hinaus.
Die Vertheidiger des Gesetzes versuchten denselben dadurch zu beschwichtigen,
daß sie der limitirenden Clausel: „so weit nach den Verordnungen von 1852
und 1853 körperliche Züchtigung statthaft ist", welche nur den Sinn haben
kann, daß bei der Strafzumessung gewisse in den genaunnten Verordnungen
aufgestellte Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Prügelstrafe (z. B. hin¬
sichtlich des Alters, des Gesundheitszustandes u. s. w. der zu strafenden Person)
beobachtet werden sollten, die Deutung gaben, daß damit nur eine Strafe für
etwaige concurrirende Vergehen gemeint sei, welche durch die Verordnungen
von 1852 und 1863 mit der Strafe der körperlichen Züchtigung bedroht werden.
Die Deutung ist gezwungen genug. Aber auch wenn sie richtig wäre, würde
es noch immer eine für den gegenwärtigen Culturstand ganz abnorme Erscheinung
sein, daß einem Gutsherrn das Recht zugestanden wird, über Dienstvergehen
seiner Gutstagelöhner und ihrer Frauen und Kinder, auch in eigener Sache,
polizeilich zu erkennen und sofern damit ein anderweitiges, der Strafe der
körperlichen Züchtigung unterliegendes Vergehen, z. B. Völlerei, concurrirt,
25 Hiebe zu decretiren.

Dem allgemeinen Verwerfungsurtheil gegenüber vermochte die Regierung
das Gesetz nicht aufrecht zu erhalten. Sie sah sich genöthigt, mit einem Gesetz¬
entwurf vor den Landtag zu treten, welcher eine wesentliche Beschränkung der
körperlichen Züchtigung bezweckte. Zu einer vollständigen Abschaffung konnte
sie sich noch nicht erheben, da es ihr fast unmöglich zu sein scheint, irgendeine
Sache principiell zu behandeln. In der Landtagssitzung vom 12. December
ward ein großherzogliches Rescript nebst einem Gesetzentwurf in Betreff der
körperlichen Züchtigung vorgelegt. Die Vorlage geschah mit der Erkärung, daß
der Großherzog auf den proponirten Gesetzentwurf einen besonderen Werth
lege, und daß daher die Landtagscommissarien dessen Annahme angelegentlich
befürworteten. Hierauf erhob sich der Vorsitzende Landrath und beantragte, daß
die Versammlung dem Gesetzentwurf ohne Discussion zustimmen möge.
Er selbst aber glaubte noch zur Empfehlung desselben bemerken zu dürfen, daß
dadurch die in Frage stehende Strafart so weit beschränkt werde, daß gewiß
jeder sich damit einverstanden erklären könne, und hob dann auch noch seiner¬
seits das Gewicht hervor, welches die Versammlung auf den von dem Gro߬
herzog geäußerten besonderen Wunsch zu legen verpflichtet sei. Die Annahme
des Gesetzentwurfes erfolgte denn auch wirklich ohne weitere Discussion, frei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/242>, abgerufen am 26.06.2024.