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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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schwebende Ziel durch so kleine, complicirte und im bureaukratischen Reformstil
gehaltene Mittel erreichen zu können, ohne das Princip der freien Veräußer-
lichkeit des Grund und Bodens zu adoptiren. Auch fehlte es dem Gesetzent¬
wurf selbst innerhalb der von ihm festgehaltenen Schranken an einer umsichtigen
Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse, und namentliche ist
ihm als ein wesentlicher Mangel zuzurechnen, daß er die Patrimonialge-
richtsbarkeit und die Armenversorgungspflicht des Gutsherrn ganz außerhalb
des Bereiches seiner Reformen gelassen hatte. Freilich kann an diesen guts-
herrlichen Rechten und Pflichten, deren Umgestaltung die Voraussetzung jeder
Veränderung der agrarischen Verhältnisse des Landes bildet, nicht wohl gerührt
werden, ohne daß dabei die gesammten politischen Rechte der Gutsherren und
damit die Landesverfassung selbst in den Kreis der Umgestaltung gezogen wird.
Jedenfalls aber durfte der Gesetzentwurf die von dieser Seite seiner Durch-
führung entgegenstehenden Schwierigkeiten nicht ignoriren. Entweder ist es
bloße Flüchtigkeit, welche diese nothwendige Erweiterung seiner Grenzen über¬
sah, oder die Regierung hat sich selbst oder den Ständen über die Konsequen¬
zen noch nicht Rede stehen und die weitere Entwickelung der Zukunft überlassen
wollen. Sicher ist. daß die Mängel und Lücken des Gesetzentwurfes so groß
waren, daß er selbst unter denjenigen, welche mit demselben im Princip einver¬
standen waren, keine Befürwortung fand. Die große Mehrzahl der Landstände
aber wollte überhaupt von der proponirten Neuerung nichts wissen und war
der Meinung, daß dieselbe höchst überflüssig sei.

Mit Ausnahme einer einzigen Stimme beantragte der zur Prüfung der
Vorlage eingesetzte Ausschuß die Ablehnung derselben, hauptsächlich weil ein Be¬
dürfniß der Förderung solcher Errichtung von Erbzinsstellen nicht nachzuweisen
sei. Zugleich nahm er Veranlassung, eine Verwahrung zu beantragen gegen
die in der Vorlage sich kundgebende Auffassung, als ob das Verhältniß zwischen
den Gutsherren und ihren Tagelöhnern im Allgemeinen nicht mehr das des
gegenseitigen Vertrauens sei. Ausnahmsweise möge das Verhältniß', wie der
Ausschuß meinte, wohl hier und da vielleicht nicht das wünschenswerte sein,
im Allgemeinen aber dürfe dies nicht behauptet werden und es sei nicht
wohlgethan, durch Schilderung etwaiger hier und da vorhandener Mängel
in d en allerdunkelsten Farb en das noch bestehende Zutrauen zu erschüttern.

Das einzige Mitglied des Ausschusses, welches das Bedürfniß der head^
sichtigten Gesetzgebung anerkannte, war der Bürgermeister Wilbrandt zu Teterow^
"Hat sich zwar früher." bemerkte derselbe in seinem Sepäratvotum. "ein der¬
artiges Bedürfniß weniger geltend gemacht, so hat doch neuerdings die Aus-'
Wanderung so betrübende und besorgliche Dimensionen angenommen, daß die
Nothwendigkeit, einer weiteren Steigerung dieses Uebermaßes entgegenzuwirken!
schon jetzt allgemeiner empfunden wird, und der Wunsch rege geworden' ist.'


schwebende Ziel durch so kleine, complicirte und im bureaukratischen Reformstil
gehaltene Mittel erreichen zu können, ohne das Princip der freien Veräußer-
lichkeit des Grund und Bodens zu adoptiren. Auch fehlte es dem Gesetzent¬
wurf selbst innerhalb der von ihm festgehaltenen Schranken an einer umsichtigen
Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse, und namentliche ist
ihm als ein wesentlicher Mangel zuzurechnen, daß er die Patrimonialge-
richtsbarkeit und die Armenversorgungspflicht des Gutsherrn ganz außerhalb
des Bereiches seiner Reformen gelassen hatte. Freilich kann an diesen guts-
herrlichen Rechten und Pflichten, deren Umgestaltung die Voraussetzung jeder
Veränderung der agrarischen Verhältnisse des Landes bildet, nicht wohl gerührt
werden, ohne daß dabei die gesammten politischen Rechte der Gutsherren und
damit die Landesverfassung selbst in den Kreis der Umgestaltung gezogen wird.
Jedenfalls aber durfte der Gesetzentwurf die von dieser Seite seiner Durch-
führung entgegenstehenden Schwierigkeiten nicht ignoriren. Entweder ist es
bloße Flüchtigkeit, welche diese nothwendige Erweiterung seiner Grenzen über¬
sah, oder die Regierung hat sich selbst oder den Ständen über die Konsequen¬
zen noch nicht Rede stehen und die weitere Entwickelung der Zukunft überlassen
wollen. Sicher ist. daß die Mängel und Lücken des Gesetzentwurfes so groß
waren, daß er selbst unter denjenigen, welche mit demselben im Princip einver¬
standen waren, keine Befürwortung fand. Die große Mehrzahl der Landstände
aber wollte überhaupt von der proponirten Neuerung nichts wissen und war
der Meinung, daß dieselbe höchst überflüssig sei.

Mit Ausnahme einer einzigen Stimme beantragte der zur Prüfung der
Vorlage eingesetzte Ausschuß die Ablehnung derselben, hauptsächlich weil ein Be¬
dürfniß der Förderung solcher Errichtung von Erbzinsstellen nicht nachzuweisen
sei. Zugleich nahm er Veranlassung, eine Verwahrung zu beantragen gegen
die in der Vorlage sich kundgebende Auffassung, als ob das Verhältniß zwischen
den Gutsherren und ihren Tagelöhnern im Allgemeinen nicht mehr das des
gegenseitigen Vertrauens sei. Ausnahmsweise möge das Verhältniß', wie der
Ausschuß meinte, wohl hier und da vielleicht nicht das wünschenswerte sein,
im Allgemeinen aber dürfe dies nicht behauptet werden und es sei nicht
wohlgethan, durch Schilderung etwaiger hier und da vorhandener Mängel
in d en allerdunkelsten Farb en das noch bestehende Zutrauen zu erschüttern.

Das einzige Mitglied des Ausschusses, welches das Bedürfniß der head^
sichtigten Gesetzgebung anerkannte, war der Bürgermeister Wilbrandt zu Teterow^
„Hat sich zwar früher." bemerkte derselbe in seinem Sepäratvotum. „ein der¬
artiges Bedürfniß weniger geltend gemacht, so hat doch neuerdings die Aus-'
Wanderung so betrübende und besorgliche Dimensionen angenommen, daß die
Nothwendigkeit, einer weiteren Steigerung dieses Uebermaßes entgegenzuwirken!
schon jetzt allgemeiner empfunden wird, und der Wunsch rege geworden' ist.'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/238>, abgerufen am 26.06.2024.