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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Allgemeinen mit der Vorlage einverstanden. Nur die Stelle 1. Mos. 3. 16
("Und zum Weibe sprach er: ich will >ir viel Schmerzen schaffen, wenn du
schwanger wirst, du sollst mit Schmerzen Kinder gebären" u. s. w.). welche in
dem Trauungsformular schon früher von Vielen anstößig befunden, aber auch
in der revidirten Gestalt desselben beibehalten war, wurde wiederum beanstan¬
det. Doch begnügte die Landtagsversammlung sich diesmal, die dringende
Bitte an den Großherzog zu richten, daß diese anstößige Stelle weggelassen
werden möge, ohne daraus eine Bedingung der Zustimmung zu machen.

Die Vorlage, auf welche die Regierung das meiste Gewicht legte, was sie
auch dadurch ausdrückte, daß fre derselben die solenne Form einer landesherr¬
lichen Landtagsproposition gegeben hatte, war ein Gesetzentwurf, welcher be¬
zweckte, die der Begründung von Erbzinsstellen in den ritterschaft¬
lichen Gütern bisher aus den creditorischen, agnatischen und Fideicommiß-
verhältnissen entgegengetretenen Schwierigkeiten zu beseitigen und dadurch dem
zunehmenden Mangel an ländlichen Arbeitern und dessen nächster Ursache, der
Auswanderung, entgegenzuwirken. Nach diesem Gesetzentwurf sollte es dem
Gutsbesitzer gestattet sein, so viele Häuslereien, als ihm beliebe, auf seinem Gute
zu errichten, wenn dieselben nur so eingerichtet würden, daß der Capitalwerth
des Gutes dadurch nicht wesentlich verändert werde. Für die Errichtung größe¬
rer Erbzinsstellen sollte das bisherige Erforderniß des lehnsherrlichen und des
agnatischen Consenses wegfallen, ausgenommen wenn das Lehengut zum Heim¬
fall steht. Kein nachstehender Gläubiger darf der Errichtung von Erbzinsstellen
widersprechen, wenn der Besitzer mit dem dadurch erlangten Capitalbetrage vor¬
aufgehende Posten im Hypothekenbuche tilgt. Die Besitzer, welche von der
ihnen durch dieses Gesetz gewährten größeren Freiheit Gebrauch machen wollen,
haben von der beabsichtigten Veränderung vor deren Ausführung beim Mini¬
sterium des Innern Anzeige zu machen. Wenn sie darauf antragen, soll von
dem Ministerium zur Regulirung der Verhältnisse ein Commissarius ernannt
werden. Alle Contracte wegen Errichtung von Erbzinsstellen bedürfen der lan¬
desherrlichen Bestätigung.

Die Regierung wies in den Motiven darauf hin, daß schon bei Aufhebung
der Leibeigenschaft im Jahre 1820 die Wichtigkeit der Begründung kleinerer
Grundbesitzungen anerkannt worden sei. Das zur Förderung derselben erlassene
Gesetz habe aber diesem Zwecke nicht entsprochen; eine Begründung kleinen Grund¬
besitzes habe entweder gar nicht oder doch nur in sehr geringem Umfange statt¬
gefunden, was -- mit euphemistischen Ausdrucke -- als ein "die Wohlfahrt
des Landes tief berührendes Resultat" bezeichnet wird.

Die Regierung war vollkommen auf dem richtigen Wege, wenn sie in der
Unbeweglichkeit des großen Grundbesitzes eines der Haupthindernisse der Wohl¬
fahrt des Landes erkannte; aber sie irrte sich, wenn sie glaubte, das ihr vor-


Allgemeinen mit der Vorlage einverstanden. Nur die Stelle 1. Mos. 3. 16
(„Und zum Weibe sprach er: ich will >ir viel Schmerzen schaffen, wenn du
schwanger wirst, du sollst mit Schmerzen Kinder gebären" u. s. w.). welche in
dem Trauungsformular schon früher von Vielen anstößig befunden, aber auch
in der revidirten Gestalt desselben beibehalten war, wurde wiederum beanstan¬
det. Doch begnügte die Landtagsversammlung sich diesmal, die dringende
Bitte an den Großherzog zu richten, daß diese anstößige Stelle weggelassen
werden möge, ohne daraus eine Bedingung der Zustimmung zu machen.

Die Vorlage, auf welche die Regierung das meiste Gewicht legte, was sie
auch dadurch ausdrückte, daß fre derselben die solenne Form einer landesherr¬
lichen Landtagsproposition gegeben hatte, war ein Gesetzentwurf, welcher be¬
zweckte, die der Begründung von Erbzinsstellen in den ritterschaft¬
lichen Gütern bisher aus den creditorischen, agnatischen und Fideicommiß-
verhältnissen entgegengetretenen Schwierigkeiten zu beseitigen und dadurch dem
zunehmenden Mangel an ländlichen Arbeitern und dessen nächster Ursache, der
Auswanderung, entgegenzuwirken. Nach diesem Gesetzentwurf sollte es dem
Gutsbesitzer gestattet sein, so viele Häuslereien, als ihm beliebe, auf seinem Gute
zu errichten, wenn dieselben nur so eingerichtet würden, daß der Capitalwerth
des Gutes dadurch nicht wesentlich verändert werde. Für die Errichtung größe¬
rer Erbzinsstellen sollte das bisherige Erforderniß des lehnsherrlichen und des
agnatischen Consenses wegfallen, ausgenommen wenn das Lehengut zum Heim¬
fall steht. Kein nachstehender Gläubiger darf der Errichtung von Erbzinsstellen
widersprechen, wenn der Besitzer mit dem dadurch erlangten Capitalbetrage vor¬
aufgehende Posten im Hypothekenbuche tilgt. Die Besitzer, welche von der
ihnen durch dieses Gesetz gewährten größeren Freiheit Gebrauch machen wollen,
haben von der beabsichtigten Veränderung vor deren Ausführung beim Mini¬
sterium des Innern Anzeige zu machen. Wenn sie darauf antragen, soll von
dem Ministerium zur Regulirung der Verhältnisse ein Commissarius ernannt
werden. Alle Contracte wegen Errichtung von Erbzinsstellen bedürfen der lan¬
desherrlichen Bestätigung.

Die Regierung wies in den Motiven darauf hin, daß schon bei Aufhebung
der Leibeigenschaft im Jahre 1820 die Wichtigkeit der Begründung kleinerer
Grundbesitzungen anerkannt worden sei. Das zur Förderung derselben erlassene
Gesetz habe aber diesem Zwecke nicht entsprochen; eine Begründung kleinen Grund¬
besitzes habe entweder gar nicht oder doch nur in sehr geringem Umfange statt¬
gefunden, was — mit euphemistischen Ausdrucke — als ein „die Wohlfahrt
des Landes tief berührendes Resultat" bezeichnet wird.

Die Regierung war vollkommen auf dem richtigen Wege, wenn sie in der
Unbeweglichkeit des großen Grundbesitzes eines der Haupthindernisse der Wohl¬
fahrt des Landes erkannte; aber sie irrte sich, wenn sie glaubte, das ihr vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/237>, abgerufen am 22.07.2024.