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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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mung; nur dem Arbeiter gegenüber wolle man ihn nicht gelten lassen. Jeder¬
mann dürfe Sonntags auf dem Felde spazieren reiten und fahren, auch Thiere
tödten mit weithin schallenden Schüssen; aber dem Tagelöhner solle selbst die
geräuschlose Bearbeitung seines Kartoffelfeldes verwehrt sein. Wolle man den
Arbeitgeber zwingen, die Leute weder direct noch indirect zur Sonntagsarbeit
zu nöthigen, so könne man mit solchem Zweck nur einverstanden sein; den Ar¬
beiter selbst aber solle man nicht hindern zu thun was er wolle, sobald er nur
Andere dadurch nicht störe. "Man wird mit den Verboten die Leute am Vor¬
mittage nicht in die Kirche, wohl aber am Nachmittage in den Krug treiben."
Sodann wenden die Unterzeichner dieser Erklärung sich zu einer Kritik der Pe¬
tition der Geistlichen, welcher es an Schärfe nicht fehlt. "Die Leute kirchlich
zu machen, ist hauptsächlich und vor allem Sache der Geistlichkeit; es ist Sache
der Predigt nicht allein, sondern der Seelsorge, der Seelsorge im Einzelnen.
Sollten wohl alle die Herren Geistlichen, die, wie es den Anschein hat, eine
Massendemonstration gegen die Ritterschaft gemacht haben, die dabei unsere
ländlichen Arbeiter mit großem Unrecht der Rohheit und geistigen Stumpfheit
zeihen, sollten wohl alle diese Herren Pastoren jedem einzelnen ihrer unkirch¬
lichen Beichtkinder so eifrig nachgegangen sein, wie es der Herr gebietet und
Wie der Herr selbst den Seinen nachgeht? Ist es nicht ein Armuthszeugniß,
welches diese Geistlichen sich ausstellen, wenn sie, weil sie mit Gottes Wort
und ihrer Seelsorge die Kirche nicht zu füllen wissen, nun den weltlichen Arm
aufrufen, daß er ihnen mit Verboten zu Hilfe komme? Wahrlich, diese Ver¬
bote sind nur noch einen halben Schritt entfernt von dem polizeilichen Befehl,
bei Strafe in die Kirche zu gehen." Die Erklärung schließt mit der Versiche¬
rung, daß die Unterzeichner einen Antrag auf Erweiterung der bestehenden Zu¬
geständnisse der Sonntagsarbeit stellen würden, wenn sie nicht von dessen Er¬
folglosigkeit überzeugt wären.

Eine zweite Fraktion, unter Führung des Landraths v. Oertzen, huldigte
einer ganz entgegengesetzten Ansicht und erklärte sich mit dem von der Regie-
rung intendirten Verbot jeder Sonntagsarbeit vollkommen einverstanden, wollte
aber die Ausgleichung der Verständigung zwischen Gutsherren und Tagelöhnern
überlassen wissen. Für eventuelle Differenzen zwischen beiden über die den
Tagelöhnern zu ihren eigenen wirthschaftlichen Arbeiten einzuräumende Arbeits¬
zeit solle die Schlichtung durch eine Schiedskommission eintreten. Im Uebrigen
waren sie der Ansicht, daß der Verfall des kirchlichen Lebens nicht in der den
Tagelöhnern vom Gesetz gestatteten Sonntagsarbeit, sondern in dem herrschen¬
den Materialismus der Zeit und dem vorzugsweise den sogenannten gebildeten
Ständen eigenen Unglauben wurzeln. So lange letztere sich nicht scheueten.
ihren weltlichen Geschäften am Sonntage nachzugehen, und darin durch öffent¬
liche Einrichtungen, durch Posten und Eisenbahnzüge in eclatanter Weise unter-


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mung; nur dem Arbeiter gegenüber wolle man ihn nicht gelten lassen. Jeder¬
mann dürfe Sonntags auf dem Felde spazieren reiten und fahren, auch Thiere
tödten mit weithin schallenden Schüssen; aber dem Tagelöhner solle selbst die
geräuschlose Bearbeitung seines Kartoffelfeldes verwehrt sein. Wolle man den
Arbeitgeber zwingen, die Leute weder direct noch indirect zur Sonntagsarbeit
zu nöthigen, so könne man mit solchem Zweck nur einverstanden sein; den Ar¬
beiter selbst aber solle man nicht hindern zu thun was er wolle, sobald er nur
Andere dadurch nicht störe. „Man wird mit den Verboten die Leute am Vor¬
mittage nicht in die Kirche, wohl aber am Nachmittage in den Krug treiben."
Sodann wenden die Unterzeichner dieser Erklärung sich zu einer Kritik der Pe¬
tition der Geistlichen, welcher es an Schärfe nicht fehlt. „Die Leute kirchlich
zu machen, ist hauptsächlich und vor allem Sache der Geistlichkeit; es ist Sache
der Predigt nicht allein, sondern der Seelsorge, der Seelsorge im Einzelnen.
Sollten wohl alle die Herren Geistlichen, die, wie es den Anschein hat, eine
Massendemonstration gegen die Ritterschaft gemacht haben, die dabei unsere
ländlichen Arbeiter mit großem Unrecht der Rohheit und geistigen Stumpfheit
zeihen, sollten wohl alle diese Herren Pastoren jedem einzelnen ihrer unkirch¬
lichen Beichtkinder so eifrig nachgegangen sein, wie es der Herr gebietet und
Wie der Herr selbst den Seinen nachgeht? Ist es nicht ein Armuthszeugniß,
welches diese Geistlichen sich ausstellen, wenn sie, weil sie mit Gottes Wort
und ihrer Seelsorge die Kirche nicht zu füllen wissen, nun den weltlichen Arm
aufrufen, daß er ihnen mit Verboten zu Hilfe komme? Wahrlich, diese Ver¬
bote sind nur noch einen halben Schritt entfernt von dem polizeilichen Befehl,
bei Strafe in die Kirche zu gehen." Die Erklärung schließt mit der Versiche¬
rung, daß die Unterzeichner einen Antrag auf Erweiterung der bestehenden Zu¬
geständnisse der Sonntagsarbeit stellen würden, wenn sie nicht von dessen Er¬
folglosigkeit überzeugt wären.

Eine zweite Fraktion, unter Führung des Landraths v. Oertzen, huldigte
einer ganz entgegengesetzten Ansicht und erklärte sich mit dem von der Regie-
rung intendirten Verbot jeder Sonntagsarbeit vollkommen einverstanden, wollte
aber die Ausgleichung der Verständigung zwischen Gutsherren und Tagelöhnern
überlassen wissen. Für eventuelle Differenzen zwischen beiden über die den
Tagelöhnern zu ihren eigenen wirthschaftlichen Arbeiten einzuräumende Arbeits¬
zeit solle die Schlichtung durch eine Schiedskommission eintreten. Im Uebrigen
waren sie der Ansicht, daß der Verfall des kirchlichen Lebens nicht in der den
Tagelöhnern vom Gesetz gestatteten Sonntagsarbeit, sondern in dem herrschen¬
den Materialismus der Zeit und dem vorzugsweise den sogenannten gebildeten
Ständen eigenen Unglauben wurzeln. So lange letztere sich nicht scheueten.
ihren weltlichen Geschäften am Sonntage nachzugehen, und darin durch öffent¬
liche Einrichtungen, durch Posten und Eisenbahnzüge in eclatanter Weise unter-


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[0235] mung; nur dem Arbeiter gegenüber wolle man ihn nicht gelten lassen. Jeder¬ mann dürfe Sonntags auf dem Felde spazieren reiten und fahren, auch Thiere tödten mit weithin schallenden Schüssen; aber dem Tagelöhner solle selbst die geräuschlose Bearbeitung seines Kartoffelfeldes verwehrt sein. Wolle man den Arbeitgeber zwingen, die Leute weder direct noch indirect zur Sonntagsarbeit zu nöthigen, so könne man mit solchem Zweck nur einverstanden sein; den Ar¬ beiter selbst aber solle man nicht hindern zu thun was er wolle, sobald er nur Andere dadurch nicht störe. „Man wird mit den Verboten die Leute am Vor¬ mittage nicht in die Kirche, wohl aber am Nachmittage in den Krug treiben." Sodann wenden die Unterzeichner dieser Erklärung sich zu einer Kritik der Pe¬ tition der Geistlichen, welcher es an Schärfe nicht fehlt. „Die Leute kirchlich zu machen, ist hauptsächlich und vor allem Sache der Geistlichkeit; es ist Sache der Predigt nicht allein, sondern der Seelsorge, der Seelsorge im Einzelnen. Sollten wohl alle die Herren Geistlichen, die, wie es den Anschein hat, eine Massendemonstration gegen die Ritterschaft gemacht haben, die dabei unsere ländlichen Arbeiter mit großem Unrecht der Rohheit und geistigen Stumpfheit zeihen, sollten wohl alle diese Herren Pastoren jedem einzelnen ihrer unkirch¬ lichen Beichtkinder so eifrig nachgegangen sein, wie es der Herr gebietet und Wie der Herr selbst den Seinen nachgeht? Ist es nicht ein Armuthszeugniß, welches diese Geistlichen sich ausstellen, wenn sie, weil sie mit Gottes Wort und ihrer Seelsorge die Kirche nicht zu füllen wissen, nun den weltlichen Arm aufrufen, daß er ihnen mit Verboten zu Hilfe komme? Wahrlich, diese Ver¬ bote sind nur noch einen halben Schritt entfernt von dem polizeilichen Befehl, bei Strafe in die Kirche zu gehen." Die Erklärung schließt mit der Versiche¬ rung, daß die Unterzeichner einen Antrag auf Erweiterung der bestehenden Zu¬ geständnisse der Sonntagsarbeit stellen würden, wenn sie nicht von dessen Er¬ folglosigkeit überzeugt wären. Eine zweite Fraktion, unter Führung des Landraths v. Oertzen, huldigte einer ganz entgegengesetzten Ansicht und erklärte sich mit dem von der Regie- rung intendirten Verbot jeder Sonntagsarbeit vollkommen einverstanden, wollte aber die Ausgleichung der Verständigung zwischen Gutsherren und Tagelöhnern überlassen wissen. Für eventuelle Differenzen zwischen beiden über die den Tagelöhnern zu ihren eigenen wirthschaftlichen Arbeiten einzuräumende Arbeits¬ zeit solle die Schlichtung durch eine Schiedskommission eintreten. Im Uebrigen waren sie der Ansicht, daß der Verfall des kirchlichen Lebens nicht in der den Tagelöhnern vom Gesetz gestatteten Sonntagsarbeit, sondern in dem herrschen¬ den Materialismus der Zeit und dem vorzugsweise den sogenannten gebildeten Ständen eigenen Unglauben wurzeln. So lange letztere sich nicht scheueten. ihren weltlichen Geschäften am Sonntage nachzugehen, und darin durch öffent¬ liche Einrichtungen, durch Posten und Eisenbahnzüge in eclatanter Weise unter- 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/235>, abgerufen am 22.12.2024.