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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Die Colonien Portugals bringen ihm nichts ein. Seit dem Verlust Bra¬
siliens hat es keine Hoffnung, größer und mächtiger zu werden. Der Volks¬
geist empfindet diese Schwäche, es ist etwas Mattes, Gedrochnes in der Thätig¬
keit sowohl der Regierung als der einzelnen Politiker, was jedermann auffällt.
Der englische Einfluß ist so mächtig, daß die Portugiesen in ihrer politischen
Einncktung durchaus dem Beispiele Englands gefolgt sind, obwohl kaum ein
größerer Unterschied zu finden ist als der zwischen Jberiern und Angelsachsen.
In Portugal wie in England giebt es Majorate mit Vorrechten, dort wie hier
eine erbliche Pairskammer. Die Gedanken an Reformen brechen sich langsam
Bahn, von einer genialen Thatkraft, wie sie einst Pombal entwickelte, hat man
an den portugiesischen Staatsmännern seit Jahrzehnten keine Spur zu ent¬
decken vermocht. Mit dem Aufschwung Spaniens zu verhältnißmäßigem Wohl¬
stand verglichen ist die Entwickelung Portugals in materiellen Dingen schlaff
und langsam zu nennen, und dies ist nicht blos auf die oben angeführten
Charaktereigenschaften des Volks zurückzuführen. Die geographische Lage er¬
schwert den Verkehr zu Lande mit dem übrigen Europa und weist auf bloße
Ausbeutung von Colonien hin. Nun hat man aber seine werthvollsten Colonien
eingebüßt, und seitdem schlief ein guter Theil der Unternehmungslust des Volkes
ein. Wenn die Portugiesen jetzt Spanien siegreich aus seinem Verfall hervor¬
gehen, sich mit Eisenbahnen durchziehen, eine stattliche Flotte herstellen, in Afrika
gegen den maurischen Erbfeind stolze Siegesschlachten schlagen und aus seinen
Colonien beträchtliche Einkünfte gewinnen sehen, so ist es begreiflich, wenn die
Patrioten unter ihnen sich betrüben, daß Portugal dies nicht vermag, sondern
am Gängelbande Englands ein rühmloses und verhältnißmäßig ärmliches Dasein
fristet, und wenn infolge dessen ihnen der Gedanke einer Union mit dem kräf¬
tigen Nachbarvolke wenigstens nicht mehr widerwärtig erscheint. Die Zeit wird
jenes Gefühl der Ohnmacht und den Wunsch, sie durch einen Anschluß an
Spanien zu heben, ohne Zweifel verstärken. Jetzt nennen Viele die Einheit
beider Länder noch einen utopistischen Traum. Aber das Gesetz der Entwicke¬
lung, nach welchem zunächst die Glieder eines und desselben Volks, dann aber
auch verwandte Völker sich über Antipathien hinweg die Hände reichen, sich
verständigen und vereinigen, findet einen mächtigen Bundesgenossen in den
Eisenbahnen, welche überall den Geist des zahlreicheren und energischeren
Stammes über den schwächeren und so auch den spanischen Geist in Portugal
ausbreiten. Schon jetzt sind die Verbindungen zwischen beiden Völkern verviel¬
fältigt, bald werden sie so eingerichtet sein, daß alle moralischen und materiellen
Schwierigkeiten vor ihnen weichen werden. Dabei wird der Gewinn für die
Portugiesen noch größer sein, als für die Spanier und Lissabon dem Hasen
Cadiz manche werthvolle Vortheile entziehen.

Es ist, wie gezeigt, zwar nicht wahrscheinlich, daß schon in der nächsten


Die Colonien Portugals bringen ihm nichts ein. Seit dem Verlust Bra¬
siliens hat es keine Hoffnung, größer und mächtiger zu werden. Der Volks¬
geist empfindet diese Schwäche, es ist etwas Mattes, Gedrochnes in der Thätig¬
keit sowohl der Regierung als der einzelnen Politiker, was jedermann auffällt.
Der englische Einfluß ist so mächtig, daß die Portugiesen in ihrer politischen
Einncktung durchaus dem Beispiele Englands gefolgt sind, obwohl kaum ein
größerer Unterschied zu finden ist als der zwischen Jberiern und Angelsachsen.
In Portugal wie in England giebt es Majorate mit Vorrechten, dort wie hier
eine erbliche Pairskammer. Die Gedanken an Reformen brechen sich langsam
Bahn, von einer genialen Thatkraft, wie sie einst Pombal entwickelte, hat man
an den portugiesischen Staatsmännern seit Jahrzehnten keine Spur zu ent¬
decken vermocht. Mit dem Aufschwung Spaniens zu verhältnißmäßigem Wohl¬
stand verglichen ist die Entwickelung Portugals in materiellen Dingen schlaff
und langsam zu nennen, und dies ist nicht blos auf die oben angeführten
Charaktereigenschaften des Volks zurückzuführen. Die geographische Lage er¬
schwert den Verkehr zu Lande mit dem übrigen Europa und weist auf bloße
Ausbeutung von Colonien hin. Nun hat man aber seine werthvollsten Colonien
eingebüßt, und seitdem schlief ein guter Theil der Unternehmungslust des Volkes
ein. Wenn die Portugiesen jetzt Spanien siegreich aus seinem Verfall hervor¬
gehen, sich mit Eisenbahnen durchziehen, eine stattliche Flotte herstellen, in Afrika
gegen den maurischen Erbfeind stolze Siegesschlachten schlagen und aus seinen
Colonien beträchtliche Einkünfte gewinnen sehen, so ist es begreiflich, wenn die
Patrioten unter ihnen sich betrüben, daß Portugal dies nicht vermag, sondern
am Gängelbande Englands ein rühmloses und verhältnißmäßig ärmliches Dasein
fristet, und wenn infolge dessen ihnen der Gedanke einer Union mit dem kräf¬
tigen Nachbarvolke wenigstens nicht mehr widerwärtig erscheint. Die Zeit wird
jenes Gefühl der Ohnmacht und den Wunsch, sie durch einen Anschluß an
Spanien zu heben, ohne Zweifel verstärken. Jetzt nennen Viele die Einheit
beider Länder noch einen utopistischen Traum. Aber das Gesetz der Entwicke¬
lung, nach welchem zunächst die Glieder eines und desselben Volks, dann aber
auch verwandte Völker sich über Antipathien hinweg die Hände reichen, sich
verständigen und vereinigen, findet einen mächtigen Bundesgenossen in den
Eisenbahnen, welche überall den Geist des zahlreicheren und energischeren
Stammes über den schwächeren und so auch den spanischen Geist in Portugal
ausbreiten. Schon jetzt sind die Verbindungen zwischen beiden Völkern verviel¬
fältigt, bald werden sie so eingerichtet sein, daß alle moralischen und materiellen
Schwierigkeiten vor ihnen weichen werden. Dabei wird der Gewinn für die
Portugiesen noch größer sein, als für die Spanier und Lissabon dem Hasen
Cadiz manche werthvolle Vortheile entziehen.

Es ist, wie gezeigt, zwar nicht wahrscheinlich, daß schon in der nächsten


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[0230] Die Colonien Portugals bringen ihm nichts ein. Seit dem Verlust Bra¬ siliens hat es keine Hoffnung, größer und mächtiger zu werden. Der Volks¬ geist empfindet diese Schwäche, es ist etwas Mattes, Gedrochnes in der Thätig¬ keit sowohl der Regierung als der einzelnen Politiker, was jedermann auffällt. Der englische Einfluß ist so mächtig, daß die Portugiesen in ihrer politischen Einncktung durchaus dem Beispiele Englands gefolgt sind, obwohl kaum ein größerer Unterschied zu finden ist als der zwischen Jberiern und Angelsachsen. In Portugal wie in England giebt es Majorate mit Vorrechten, dort wie hier eine erbliche Pairskammer. Die Gedanken an Reformen brechen sich langsam Bahn, von einer genialen Thatkraft, wie sie einst Pombal entwickelte, hat man an den portugiesischen Staatsmännern seit Jahrzehnten keine Spur zu ent¬ decken vermocht. Mit dem Aufschwung Spaniens zu verhältnißmäßigem Wohl¬ stand verglichen ist die Entwickelung Portugals in materiellen Dingen schlaff und langsam zu nennen, und dies ist nicht blos auf die oben angeführten Charaktereigenschaften des Volks zurückzuführen. Die geographische Lage er¬ schwert den Verkehr zu Lande mit dem übrigen Europa und weist auf bloße Ausbeutung von Colonien hin. Nun hat man aber seine werthvollsten Colonien eingebüßt, und seitdem schlief ein guter Theil der Unternehmungslust des Volkes ein. Wenn die Portugiesen jetzt Spanien siegreich aus seinem Verfall hervor¬ gehen, sich mit Eisenbahnen durchziehen, eine stattliche Flotte herstellen, in Afrika gegen den maurischen Erbfeind stolze Siegesschlachten schlagen und aus seinen Colonien beträchtliche Einkünfte gewinnen sehen, so ist es begreiflich, wenn die Patrioten unter ihnen sich betrüben, daß Portugal dies nicht vermag, sondern am Gängelbande Englands ein rühmloses und verhältnißmäßig ärmliches Dasein fristet, und wenn infolge dessen ihnen der Gedanke einer Union mit dem kräf¬ tigen Nachbarvolke wenigstens nicht mehr widerwärtig erscheint. Die Zeit wird jenes Gefühl der Ohnmacht und den Wunsch, sie durch einen Anschluß an Spanien zu heben, ohne Zweifel verstärken. Jetzt nennen Viele die Einheit beider Länder noch einen utopistischen Traum. Aber das Gesetz der Entwicke¬ lung, nach welchem zunächst die Glieder eines und desselben Volks, dann aber auch verwandte Völker sich über Antipathien hinweg die Hände reichen, sich verständigen und vereinigen, findet einen mächtigen Bundesgenossen in den Eisenbahnen, welche überall den Geist des zahlreicheren und energischeren Stammes über den schwächeren und so auch den spanischen Geist in Portugal ausbreiten. Schon jetzt sind die Verbindungen zwischen beiden Völkern verviel¬ fältigt, bald werden sie so eingerichtet sein, daß alle moralischen und materiellen Schwierigkeiten vor ihnen weichen werden. Dabei wird der Gewinn für die Portugiesen noch größer sein, als für die Spanier und Lissabon dem Hasen Cadiz manche werthvolle Vortheile entziehen. Es ist, wie gezeigt, zwar nicht wahrscheinlich, daß schon in der nächsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/230>, abgerufen am 26.06.2024.