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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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vollen Sinne konstitutionelle Könige sein werden, ein Umstand, der die Mittel¬
partei noch mehr in der Luft schweben läßt. Endlich sahen wir, daß die Pro-
gressisten, die spanische Fortschrittspartei, sich allmälig aufgelöst haben, und daß
seit 1848 die radicale, republikanische und socialistische Demokratie fortwährend,
vorzüglich in den großen Städten, mehr Boden gewonnen hat, ein Vorgang,
vor dem ein Theil der Moderados sich den Absolutisten. ein Theil der Pro"
gressisten sich den Moderados zugewendet hat, während die größere Hälfte der
Progressisten jetzt in die Reihen der entschiedenen Demokraten getreten ist.

Die spanischen Parteien lassen sich gegenwärtig in folgende Gruppen zu¬
sammenfassen:

1) Die reinen Monarchisten, welche die Carlisten, die Neukatholiken und
die aufrichtig zu Jsabella der Zweiten haltenden Royalisten in sich begreisen.
Ihr politisches Credo ist: die Souveränetät ist beim König allein.

2) Die monarchisch-konstitutionelle Mittelpartei, zu der wir die alten
Moderados, die Männer von O'Donnells Unione Liberale, die moderirten Pro¬
gressisten und als äußerste Linke der Partei die reinen Progressisten rechnen,
und deren Grundsatz in Betreff ihrer Stellung zum Königthum ist: Die Sou¬
veränetät ist beim König und den Cortes zugleich.

3) Die demokratische Partei, die sich in demokratische Progressisten und in
socialistische Republikaner theilt, und deren politisches Glaubensbekenntniß sich
aus die Meinung gründet: die Souveränetät ist beim Volke.

Jede dieser neun Fractionen zerfällt wieder in verschiedene kleinere Kreise,
die sich aber mehr über Personen als über Principien streiten. Alle Parteien
außer den Demokraten sind bereits am Nuder gewesen und haben nach einander
ihre Ideen in Verfassungen und Gesetzen zu verwirklichen versucht. Alle Mini-
sterien, welche seit 1848 auf einander gefolgt sind -- ihre Zahl ist bedeutend
-- gaben sich für Vertheidiger der von der Demokratie bedrohten Gesellschaft
aus, alle nach einander rühmten sich mehr oder minder laut, die Gesellschaft
gerettet zu haben, und nichtsdestoweniger trat jedes neue Ministerium immer
wieder mit dem Versprechen auf, sie wieder retten zu wollen.

Wir haben bisher der iberischen Partei nicht gedacht, und da dieselbe jetzt
häufig erwähnt wird, wollen wir zum Schluß ein Wort über D sagen.

Die jetzige Lage der spanischen Bourbonen ist in manchen Beziehungen
noch bedenklicher als die der neapolitanischen im Jahr vor Garibaldis Zug nach
Marsala. Franz der Zweite vertrat ein Princip, er war König von Gottes
Gnaden ohne legitimen Nebenbuhler. Jsabella die Zweite dagegen hat mehre
Nebenbuhler, und ein beträchtlicher Theil der Royalisten, die ihre Partei ver¬
stärken, thut dies lediglich aus Accommodation an die Umstände. Sie halten
die Nachkommen des Don Carlos für ihre legitimen Fürsten, und sie Haffen
Jsabella, wie wenig liberal sie zu allen Zeiten auch war, als Bundesgenossin


vollen Sinne konstitutionelle Könige sein werden, ein Umstand, der die Mittel¬
partei noch mehr in der Luft schweben läßt. Endlich sahen wir, daß die Pro-
gressisten, die spanische Fortschrittspartei, sich allmälig aufgelöst haben, und daß
seit 1848 die radicale, republikanische und socialistische Demokratie fortwährend,
vorzüglich in den großen Städten, mehr Boden gewonnen hat, ein Vorgang,
vor dem ein Theil der Moderados sich den Absolutisten. ein Theil der Pro«
gressisten sich den Moderados zugewendet hat, während die größere Hälfte der
Progressisten jetzt in die Reihen der entschiedenen Demokraten getreten ist.

Die spanischen Parteien lassen sich gegenwärtig in folgende Gruppen zu¬
sammenfassen:

1) Die reinen Monarchisten, welche die Carlisten, die Neukatholiken und
die aufrichtig zu Jsabella der Zweiten haltenden Royalisten in sich begreisen.
Ihr politisches Credo ist: die Souveränetät ist beim König allein.

2) Die monarchisch-konstitutionelle Mittelpartei, zu der wir die alten
Moderados, die Männer von O'Donnells Unione Liberale, die moderirten Pro¬
gressisten und als äußerste Linke der Partei die reinen Progressisten rechnen,
und deren Grundsatz in Betreff ihrer Stellung zum Königthum ist: Die Sou¬
veränetät ist beim König und den Cortes zugleich.

3) Die demokratische Partei, die sich in demokratische Progressisten und in
socialistische Republikaner theilt, und deren politisches Glaubensbekenntniß sich
aus die Meinung gründet: die Souveränetät ist beim Volke.

Jede dieser neun Fractionen zerfällt wieder in verschiedene kleinere Kreise,
die sich aber mehr über Personen als über Principien streiten. Alle Parteien
außer den Demokraten sind bereits am Nuder gewesen und haben nach einander
ihre Ideen in Verfassungen und Gesetzen zu verwirklichen versucht. Alle Mini-
sterien, welche seit 1848 auf einander gefolgt sind — ihre Zahl ist bedeutend
— gaben sich für Vertheidiger der von der Demokratie bedrohten Gesellschaft
aus, alle nach einander rühmten sich mehr oder minder laut, die Gesellschaft
gerettet zu haben, und nichtsdestoweniger trat jedes neue Ministerium immer
wieder mit dem Versprechen auf, sie wieder retten zu wollen.

Wir haben bisher der iberischen Partei nicht gedacht, und da dieselbe jetzt
häufig erwähnt wird, wollen wir zum Schluß ein Wort über D sagen.

Die jetzige Lage der spanischen Bourbonen ist in manchen Beziehungen
noch bedenklicher als die der neapolitanischen im Jahr vor Garibaldis Zug nach
Marsala. Franz der Zweite vertrat ein Princip, er war König von Gottes
Gnaden ohne legitimen Nebenbuhler. Jsabella die Zweite dagegen hat mehre
Nebenbuhler, und ein beträchtlicher Theil der Royalisten, die ihre Partei ver¬
stärken, thut dies lediglich aus Accommodation an die Umstände. Sie halten
die Nachkommen des Don Carlos für ihre legitimen Fürsten, und sie Haffen
Jsabella, wie wenig liberal sie zu allen Zeiten auch war, als Bundesgenossin


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[0226] vollen Sinne konstitutionelle Könige sein werden, ein Umstand, der die Mittel¬ partei noch mehr in der Luft schweben läßt. Endlich sahen wir, daß die Pro- gressisten, die spanische Fortschrittspartei, sich allmälig aufgelöst haben, und daß seit 1848 die radicale, republikanische und socialistische Demokratie fortwährend, vorzüglich in den großen Städten, mehr Boden gewonnen hat, ein Vorgang, vor dem ein Theil der Moderados sich den Absolutisten. ein Theil der Pro« gressisten sich den Moderados zugewendet hat, während die größere Hälfte der Progressisten jetzt in die Reihen der entschiedenen Demokraten getreten ist. Die spanischen Parteien lassen sich gegenwärtig in folgende Gruppen zu¬ sammenfassen: 1) Die reinen Monarchisten, welche die Carlisten, die Neukatholiken und die aufrichtig zu Jsabella der Zweiten haltenden Royalisten in sich begreisen. Ihr politisches Credo ist: die Souveränetät ist beim König allein. 2) Die monarchisch-konstitutionelle Mittelpartei, zu der wir die alten Moderados, die Männer von O'Donnells Unione Liberale, die moderirten Pro¬ gressisten und als äußerste Linke der Partei die reinen Progressisten rechnen, und deren Grundsatz in Betreff ihrer Stellung zum Königthum ist: Die Sou¬ veränetät ist beim König und den Cortes zugleich. 3) Die demokratische Partei, die sich in demokratische Progressisten und in socialistische Republikaner theilt, und deren politisches Glaubensbekenntniß sich aus die Meinung gründet: die Souveränetät ist beim Volke. Jede dieser neun Fractionen zerfällt wieder in verschiedene kleinere Kreise, die sich aber mehr über Personen als über Principien streiten. Alle Parteien außer den Demokraten sind bereits am Nuder gewesen und haben nach einander ihre Ideen in Verfassungen und Gesetzen zu verwirklichen versucht. Alle Mini- sterien, welche seit 1848 auf einander gefolgt sind — ihre Zahl ist bedeutend — gaben sich für Vertheidiger der von der Demokratie bedrohten Gesellschaft aus, alle nach einander rühmten sich mehr oder minder laut, die Gesellschaft gerettet zu haben, und nichtsdestoweniger trat jedes neue Ministerium immer wieder mit dem Versprechen auf, sie wieder retten zu wollen. Wir haben bisher der iberischen Partei nicht gedacht, und da dieselbe jetzt häufig erwähnt wird, wollen wir zum Schluß ein Wort über D sagen. Die jetzige Lage der spanischen Bourbonen ist in manchen Beziehungen noch bedenklicher als die der neapolitanischen im Jahr vor Garibaldis Zug nach Marsala. Franz der Zweite vertrat ein Princip, er war König von Gottes Gnaden ohne legitimen Nebenbuhler. Jsabella die Zweite dagegen hat mehre Nebenbuhler, und ein beträchtlicher Theil der Royalisten, die ihre Partei ver¬ stärken, thut dies lediglich aus Accommodation an die Umstände. Sie halten die Nachkommen des Don Carlos für ihre legitimen Fürsten, und sie Haffen Jsabella, wie wenig liberal sie zu allen Zeiten auch war, als Bundesgenossin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/226>, abgerufen am 26.06.2024.