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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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ein mehr oder minder offner Kampf zwischen den Altgläubigen und den Ra¬
tionalisten statt, die Unabsetzbarkeit der Professoren giebt ihnen einen gewissen
Grad von Unabhängigkeit, und es kommt nicht selten vor, daß dieselben Bücher
und Journalaufsätze schreiben, welche sehr radicale Grundsätze vertheidigen.

In einem andalusischen Orte, so erzählt Garrido, fragte vor einigen Jahren
bei einer öffentlichen Prüfung der Religionslehrer einen Schüler, in wie viel
Tagen Gott die Welt geschaffen habe. Statt die Antwort des Katechismus zu
geben: in sieben Tagen, sagte das Kind: "es giebt verschiedene Theorien über
die Bildung der Erde; sie hat große Umgestaltungen erfahren, ehe sie aus dem
glühenden Zustande in denjenigen überging, welcher sie befähigte, Pflanzen und
Thiere hervorzubringen." Der Religionslehrer tadelte den Schüler und nannte
ihn einen Ketzer. Der Lehrer der Naturgeschichte dagegen übernahm seine Ver¬
theidigung, und da unglücklicherweise kein Professor der eklektischen Philosophie
zugegen war, der den Beweis hätte liefern können, daß beide Parteien Recht
hätten, so blieb es dem Knaben ein Räthsel, wie das, was in der Naturgeschichte
wahr ist, in der Neligionskunde eine abscheuliche Ketzerei sein sollte.

Im Primärunterricht ist der erwähnte Kampf gleichfalls zu bemerken; denn
die Lehrer und Lehrerinnen, welche in den Normalschulen gebildet werden, ver¬
lassen dieselben mit einem ganz andern Geiste, als der ist, welcher in den reli¬
giösen Corporationen herrscht. In den Schulen der Nonnen, welche einen
großen Theil des Mädchenunterrichts in den Händen haben, thut man nicht
viel mehr als Gebete und Glaubenssätze einüben, wogegen man in den welt¬
lichen seine Zeit ganz anders anwendet. Die daraus folgende Unwissenheit
eines beträchtlichen Theils des weiblichen Geschlechts im Verhältniß zu der
besseren Erziehung des männlichen erklärt den Einfluß, den der Klerus noch
immer auf jenes ausübt.

Der Unterricht in den Priesterseminaren ist sehr mittelmäßig, aber er ist
hier für alle frei, ja die Zöglinge erhalten noch überdies Nahrung und Kleidung
auf Kosten der Bisthümer, und so erklärt sichs, daß sich vorzüglich die ärmere
Classe nach diesen Instituten drängt, und daß man unter den Würdenträgern
der Kirche nur selten Namen vvinehmen Klanges trifft. Auch zu den Militär¬
schulen ist seit Jahren schon kein großer Zudrang aus den höheren Ständen,
und selbst die Mittelclasse sendet ihre Söhne in der Regel lieber in ein poly¬
technisches Institut als auf die Marine- oder Artillerieakademie.

Wie die Schulen sich in den letzten Jahren beträchtlich gehoben haben, so
auch die gewerbliche Thätigkeit des Landes, vorzüglich seit man 1858 ver¬
schiedene Kohlenlager entdeckt hat, und seit Eisenbahnen die Versendung der
Waaren erleichtern. Der Ackerbau wird fast überall noch in der Weise wie vor
hundert Jahren betrieben, aber in der Industrie hat das Land in wenigen
Decennien außerordentliche Fortschritte gemacht, vor allem in Catalonien. Die


ein mehr oder minder offner Kampf zwischen den Altgläubigen und den Ra¬
tionalisten statt, die Unabsetzbarkeit der Professoren giebt ihnen einen gewissen
Grad von Unabhängigkeit, und es kommt nicht selten vor, daß dieselben Bücher
und Journalaufsätze schreiben, welche sehr radicale Grundsätze vertheidigen.

In einem andalusischen Orte, so erzählt Garrido, fragte vor einigen Jahren
bei einer öffentlichen Prüfung der Religionslehrer einen Schüler, in wie viel
Tagen Gott die Welt geschaffen habe. Statt die Antwort des Katechismus zu
geben: in sieben Tagen, sagte das Kind: „es giebt verschiedene Theorien über
die Bildung der Erde; sie hat große Umgestaltungen erfahren, ehe sie aus dem
glühenden Zustande in denjenigen überging, welcher sie befähigte, Pflanzen und
Thiere hervorzubringen." Der Religionslehrer tadelte den Schüler und nannte
ihn einen Ketzer. Der Lehrer der Naturgeschichte dagegen übernahm seine Ver¬
theidigung, und da unglücklicherweise kein Professor der eklektischen Philosophie
zugegen war, der den Beweis hätte liefern können, daß beide Parteien Recht
hätten, so blieb es dem Knaben ein Räthsel, wie das, was in der Naturgeschichte
wahr ist, in der Neligionskunde eine abscheuliche Ketzerei sein sollte.

Im Primärunterricht ist der erwähnte Kampf gleichfalls zu bemerken; denn
die Lehrer und Lehrerinnen, welche in den Normalschulen gebildet werden, ver¬
lassen dieselben mit einem ganz andern Geiste, als der ist, welcher in den reli¬
giösen Corporationen herrscht. In den Schulen der Nonnen, welche einen
großen Theil des Mädchenunterrichts in den Händen haben, thut man nicht
viel mehr als Gebete und Glaubenssätze einüben, wogegen man in den welt¬
lichen seine Zeit ganz anders anwendet. Die daraus folgende Unwissenheit
eines beträchtlichen Theils des weiblichen Geschlechts im Verhältniß zu der
besseren Erziehung des männlichen erklärt den Einfluß, den der Klerus noch
immer auf jenes ausübt.

Der Unterricht in den Priesterseminaren ist sehr mittelmäßig, aber er ist
hier für alle frei, ja die Zöglinge erhalten noch überdies Nahrung und Kleidung
auf Kosten der Bisthümer, und so erklärt sichs, daß sich vorzüglich die ärmere
Classe nach diesen Instituten drängt, und daß man unter den Würdenträgern
der Kirche nur selten Namen vvinehmen Klanges trifft. Auch zu den Militär¬
schulen ist seit Jahren schon kein großer Zudrang aus den höheren Ständen,
und selbst die Mittelclasse sendet ihre Söhne in der Regel lieber in ein poly¬
technisches Institut als auf die Marine- oder Artillerieakademie.

Wie die Schulen sich in den letzten Jahren beträchtlich gehoben haben, so
auch die gewerbliche Thätigkeit des Landes, vorzüglich seit man 1858 ver¬
schiedene Kohlenlager entdeckt hat, und seit Eisenbahnen die Versendung der
Waaren erleichtern. Der Ackerbau wird fast überall noch in der Weise wie vor
hundert Jahren betrieben, aber in der Industrie hat das Land in wenigen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/221>, abgerufen am 26.06.2024.