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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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melden dasselbe. Die große Masse der Arbeiter in den Städten betrachtet Kirche
und Geistlichkeit mit Widerwillen. Von ihnen und dem mittleren Bürgerstand
besucht höchstens ein Zehntel Messe und Beichtstuhl, und auch diese führt we¬
niger das religiöse Bedürfniß, als der äußere Pomp des Cultus, die Musik,
die Blumen, die Seide, das Gold und Geschmeide, womit die Statuen ge¬
schmückt sind, und der Wunsch, Leute zu sehen und gesehen zu werden, dahin.

Wenn die Religionsfreiheit in den Cortes von 1854 unterlag, so geschah
es, weil die Versammlung gegen alle Religion gleichgiltig, nicht weil sie für
den Katholicismus begeistert war. Man empfand eben nicht das Bedürfniß,
einer andern Confession im Lande Spielraum zu schaffen. DW hätte es des
Interesses für eine andere Form des Glaubens bedurft, und dieses Interesse
fehlte hier durchaus.

Noch giebt es in Spanien eine beträchtliche Anzahl Nonnenklöster. Die
Mönchskloster dagegen sind schon geraume Zeit ausgehoben. Merkwürdig ist,
wie die Bevölkerung Spaniens sich in demselben Verhältniß vermehrt hat, in
welchem die Geistlichkeit abnahm. Eine Tabelle, aus zwei von Garrido mit¬
getheilten zusammengestellt, mag dies zeigen:



Die bei 1859 aufgeführten 41 Mönchskloster sind überdies eigentlich keine
solchen, sondern Vereinigungen von Priestern, zum Theil heimlichen Jesuiten, die
ungefähr wie Mönche zusammenleben und sich für die Heidenmission vorbereiten.
Der Mönchskutte haben sie entsagt, und aus guten Gründen. Im Juli 1860 fand
in Madrid die neue Einweihung der Kirche des heiligen Franciscus statt, die dem
Concordat gemäß wiederhergestellt worden war. Die Priester, früher Mönche in
dem Franziskanerkloster, zu dem die Kirche gehört hatte, jetzt säcularisirt, wollten
die Königin, die der Feierlichkeit beizuwohnen versprochen, angenehm überraschen,
indem sie sie in Mönchstracht empfingen, einem Anzüge, den sie bis dahin nie¬
mals gesehen hatte, da die Mönche abgeschafft worden waren, als sie noch in
der Wiege lag. "Ich weiß nicht," sagt unsre Quelle, "ob ihr der Aufzug zu-
gesagt hat, aber das Volk aus den benachbarten Straßen rannte bei der Kunde
Von der Wiederauferstehung seiner Feinde nach der Kirche, schrie: ^Nieder mit


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melden dasselbe. Die große Masse der Arbeiter in den Städten betrachtet Kirche
und Geistlichkeit mit Widerwillen. Von ihnen und dem mittleren Bürgerstand
besucht höchstens ein Zehntel Messe und Beichtstuhl, und auch diese führt we¬
niger das religiöse Bedürfniß, als der äußere Pomp des Cultus, die Musik,
die Blumen, die Seide, das Gold und Geschmeide, womit die Statuen ge¬
schmückt sind, und der Wunsch, Leute zu sehen und gesehen zu werden, dahin.

Wenn die Religionsfreiheit in den Cortes von 1854 unterlag, so geschah
es, weil die Versammlung gegen alle Religion gleichgiltig, nicht weil sie für
den Katholicismus begeistert war. Man empfand eben nicht das Bedürfniß,
einer andern Confession im Lande Spielraum zu schaffen. DW hätte es des
Interesses für eine andere Form des Glaubens bedurft, und dieses Interesse
fehlte hier durchaus.

Noch giebt es in Spanien eine beträchtliche Anzahl Nonnenklöster. Die
Mönchskloster dagegen sind schon geraume Zeit ausgehoben. Merkwürdig ist,
wie die Bevölkerung Spaniens sich in demselben Verhältniß vermehrt hat, in
welchem die Geistlichkeit abnahm. Eine Tabelle, aus zwei von Garrido mit¬
getheilten zusammengestellt, mag dies zeigen:



Die bei 1859 aufgeführten 41 Mönchskloster sind überdies eigentlich keine
solchen, sondern Vereinigungen von Priestern, zum Theil heimlichen Jesuiten, die
ungefähr wie Mönche zusammenleben und sich für die Heidenmission vorbereiten.
Der Mönchskutte haben sie entsagt, und aus guten Gründen. Im Juli 1860 fand
in Madrid die neue Einweihung der Kirche des heiligen Franciscus statt, die dem
Concordat gemäß wiederhergestellt worden war. Die Priester, früher Mönche in
dem Franziskanerkloster, zu dem die Kirche gehört hatte, jetzt säcularisirt, wollten
die Königin, die der Feierlichkeit beizuwohnen versprochen, angenehm überraschen,
indem sie sie in Mönchstracht empfingen, einem Anzüge, den sie bis dahin nie¬
mals gesehen hatte, da die Mönche abgeschafft worden waren, als sie noch in
der Wiege lag. „Ich weiß nicht," sagt unsre Quelle, „ob ihr der Aufzug zu-
gesagt hat, aber das Volk aus den benachbarten Straßen rannte bei der Kunde
Von der Wiederauferstehung seiner Feinde nach der Kirche, schrie: ^Nieder mit


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[0219] melden dasselbe. Die große Masse der Arbeiter in den Städten betrachtet Kirche und Geistlichkeit mit Widerwillen. Von ihnen und dem mittleren Bürgerstand besucht höchstens ein Zehntel Messe und Beichtstuhl, und auch diese führt we¬ niger das religiöse Bedürfniß, als der äußere Pomp des Cultus, die Musik, die Blumen, die Seide, das Gold und Geschmeide, womit die Statuen ge¬ schmückt sind, und der Wunsch, Leute zu sehen und gesehen zu werden, dahin. Wenn die Religionsfreiheit in den Cortes von 1854 unterlag, so geschah es, weil die Versammlung gegen alle Religion gleichgiltig, nicht weil sie für den Katholicismus begeistert war. Man empfand eben nicht das Bedürfniß, einer andern Confession im Lande Spielraum zu schaffen. DW hätte es des Interesses für eine andere Form des Glaubens bedurft, und dieses Interesse fehlte hier durchaus. Noch giebt es in Spanien eine beträchtliche Anzahl Nonnenklöster. Die Mönchskloster dagegen sind schon geraume Zeit ausgehoben. Merkwürdig ist, wie die Bevölkerung Spaniens sich in demselben Verhältniß vermehrt hat, in welchem die Geistlichkeit abnahm. Eine Tabelle, aus zwei von Garrido mit¬ getheilten zusammengestellt, mag dies zeigen: Mönchs¬ kloster. Geistlichkeit aller Classen. Bevölkerung. Orden. Mönche. Jahre. 7.500.000 1690 90.000 168.000 40 9.000 149.800 9.300.000 1768 60,000 40 9.000 10.500.000 46,000 134.600 1800 37 2.280 2.280 11.660.000 118.000 33.500 1820 37 13.500.000 90.000 1835 1.940 31.279 27 s8,000 16.000,000 1859 8 41 719 Die bei 1859 aufgeführten 41 Mönchskloster sind überdies eigentlich keine solchen, sondern Vereinigungen von Priestern, zum Theil heimlichen Jesuiten, die ungefähr wie Mönche zusammenleben und sich für die Heidenmission vorbereiten. Der Mönchskutte haben sie entsagt, und aus guten Gründen. Im Juli 1860 fand in Madrid die neue Einweihung der Kirche des heiligen Franciscus statt, die dem Concordat gemäß wiederhergestellt worden war. Die Priester, früher Mönche in dem Franziskanerkloster, zu dem die Kirche gehört hatte, jetzt säcularisirt, wollten die Königin, die der Feierlichkeit beizuwohnen versprochen, angenehm überraschen, indem sie sie in Mönchstracht empfingen, einem Anzüge, den sie bis dahin nie¬ mals gesehen hatte, da die Mönche abgeschafft worden waren, als sie noch in der Wiege lag. „Ich weiß nicht," sagt unsre Quelle, „ob ihr der Aufzug zu- gesagt hat, aber das Volk aus den benachbarten Straßen rannte bei der Kunde Von der Wiederauferstehung seiner Feinde nach der Kirche, schrie: ^Nieder mit 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/219>, abgerufen am 26.06.2024.