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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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staurationswelle schlug bis über, die Reformen Karls des Dritten zurück, nicht
blos die Klöster, auch die Jesuiten lebten wieder auf. Einkerkerungen und Ver¬
bannungen der verdientesten Patrioten waren an der Tagesordnung. Daneben
stupide Gleichgiltigkeit der neuen Negierung gegen das materielle Wohl des
Landes, vollständiger Mangel an staatsmännischem Geist in der Hofsphäre,
klägliche Mißerfolge in der auswärtigen Politik, stete Ebbe im Staatsschatz
trotz neuer Steuern und Anleihen, rasch sich steigernder allgemeiner wirthschaft,
licher Verfall.

Endlich ermannen sich die Liberalen und werfen in dem großen Aufstand
vom Frühjahr 1820. wo das Heer unter Riego und Quiroga zum ersten Mal
die Spitze der Bewegung bildet, in wenigen Wochen das ihnen auferlegte
Joch ab. Die Verfassung von ,1812 wird ausgerufen und vom König be¬
schworen, die Inquisition wieder beseitigt, die Presse wieder für frei erklärt.
Die Cortes treten zusammen und beschließen eine Anzahl nützlicher Maßregeln.
Aufhebung eines Theils der Klöster, Aufhebung der Majorate, Decentralisirung
der Verwaltung, Selbstregierung der Gemeinden. Aber wieder führt die Schwäche
der Mittelpartei zu Ueberstürzung. Vergebens versucht sie die Verfassung von
1812, für welche die Majorität der Spanier entfernt noch nicht reif, und welcher
das Ausland mit Einschluß des von den Tones regierten England entschieden
feind ist, in conservativen Sinn zu ändern. Die Moderad os unterliegen,
die Exaltados behalten die Oberhand, die servilen erheben die Fahne
des apostolischen Königs, für welche der Klerus namentlich das Landvolk be¬
geistert, gegen jedwede Reform. Die ..Glaubensarmee" der apostolischen Junta
wird von bete regulären Truppen nach Frankreich hinausgetrieben. Aber sie
kommt mit Hunderttausend Franzosen wieder, schlägt die unter sich uneinigen
Liberalen, und von Neuem legt ein bigotter und grausamer Despotismus seine
Hand auf das Land.

Hinrichtungen der Liberalen, Annullirung aller Reformen, ein unglücklicher
Versuch, die abgefallnen Colonien in Amerika wieder zu erobern, Finanznoth,
Elend und allgemeiner Rückgang, daneben kirchliche Prunkfeste, Mönche und
Klöster überall, Räuberbanden, mit denen die Schwäche der Regierung cavitu-
Urt, die gesammte Bevölkerung an den Grenzen in Schmuggler verwandelt,
die Universitäten als verhaßte Heerde der Bildung geschlossen, dafür eine Schule
für Stierfechter gestiftet, das Heer durch eine Reorganisation unzufrieden ge¬
wacht, die Flotte als vorwiegend des Liberalismus verdächtig karg oder gar
nicht besoldet -- das ungefähr waren die Charakterzüge der letzten zehn Re¬
gierungsjahre Ferdinands des Siebenten. Dennoch that er den Ultraroyalisten
nicht genug, und dies wurde der Anfang zur Besserung. Don Carlos, der
Bruder des Königs, das Haupt der Apostolischen, sollte als König alle Wünsche
der Partei erfüllen. Der Aufstand, der ihn auf den Thron heben sollte, alß-
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staurationswelle schlug bis über, die Reformen Karls des Dritten zurück, nicht
blos die Klöster, auch die Jesuiten lebten wieder auf. Einkerkerungen und Ver¬
bannungen der verdientesten Patrioten waren an der Tagesordnung. Daneben
stupide Gleichgiltigkeit der neuen Negierung gegen das materielle Wohl des
Landes, vollständiger Mangel an staatsmännischem Geist in der Hofsphäre,
klägliche Mißerfolge in der auswärtigen Politik, stete Ebbe im Staatsschatz
trotz neuer Steuern und Anleihen, rasch sich steigernder allgemeiner wirthschaft,
licher Verfall.

Endlich ermannen sich die Liberalen und werfen in dem großen Aufstand
vom Frühjahr 1820. wo das Heer unter Riego und Quiroga zum ersten Mal
die Spitze der Bewegung bildet, in wenigen Wochen das ihnen auferlegte
Joch ab. Die Verfassung von ,1812 wird ausgerufen und vom König be¬
schworen, die Inquisition wieder beseitigt, die Presse wieder für frei erklärt.
Die Cortes treten zusammen und beschließen eine Anzahl nützlicher Maßregeln.
Aufhebung eines Theils der Klöster, Aufhebung der Majorate, Decentralisirung
der Verwaltung, Selbstregierung der Gemeinden. Aber wieder führt die Schwäche
der Mittelpartei zu Ueberstürzung. Vergebens versucht sie die Verfassung von
1812, für welche die Majorität der Spanier entfernt noch nicht reif, und welcher
das Ausland mit Einschluß des von den Tones regierten England entschieden
feind ist, in conservativen Sinn zu ändern. Die Moderad os unterliegen,
die Exaltados behalten die Oberhand, die servilen erheben die Fahne
des apostolischen Königs, für welche der Klerus namentlich das Landvolk be¬
geistert, gegen jedwede Reform. Die ..Glaubensarmee" der apostolischen Junta
wird von bete regulären Truppen nach Frankreich hinausgetrieben. Aber sie
kommt mit Hunderttausend Franzosen wieder, schlägt die unter sich uneinigen
Liberalen, und von Neuem legt ein bigotter und grausamer Despotismus seine
Hand auf das Land.

Hinrichtungen der Liberalen, Annullirung aller Reformen, ein unglücklicher
Versuch, die abgefallnen Colonien in Amerika wieder zu erobern, Finanznoth,
Elend und allgemeiner Rückgang, daneben kirchliche Prunkfeste, Mönche und
Klöster überall, Räuberbanden, mit denen die Schwäche der Regierung cavitu-
Urt, die gesammte Bevölkerung an den Grenzen in Schmuggler verwandelt,
die Universitäten als verhaßte Heerde der Bildung geschlossen, dafür eine Schule
für Stierfechter gestiftet, das Heer durch eine Reorganisation unzufrieden ge¬
wacht, die Flotte als vorwiegend des Liberalismus verdächtig karg oder gar
nicht besoldet — das ungefähr waren die Charakterzüge der letzten zehn Re¬
gierungsjahre Ferdinands des Siebenten. Dennoch that er den Ultraroyalisten
nicht genug, und dies wurde der Anfang zur Besserung. Don Carlos, der
Bruder des Königs, das Haupt der Apostolischen, sollte als König alle Wünsche
der Partei erfüllen. Der Aufstand, der ihn auf den Thron heben sollte, alß-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/193>, abgerufen am 29.06.2024.