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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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schien ihnen die Mäßigung, welche dieselben empfahlen, nur der Weg zur Her¬
stellung des Despotismus und andrerseits nur rücksichtslose Fesselung der könig¬
lichen Gewalt die rechte Methode zur Befestigung der verfassungsmäßigen Mon¬
archie zu sein.

Der Grundgedanke der Radicalen, die auf der Löweninsel die Verfassung
von 1812 formulirten. war eine Erinnerung an die berühmte Krönungsformel
der Aragonier: "Wir, von denen jeder ebenso viel ist als du, und die wir
zusammen mehr sind als du, wir machen dich zum König. Wenn du unsre
Gesetze und Privilegien ansteht, werden wir dir gehorchen, wo nicht, nicht", und
an das Manifest, in welchem die Communeros Castiliens Karl dem Fünften
die Bedingungen stellten, unter denen sie seine Oberherrlichkeit anerkennen
wollten. Das spanische Volk ist sein eigner Herr, sagte die Verfassung, es
giebt sich die Gesetze, die es für gut erachtet zum Schutze der Freiheit und des
Wohlergehens eines Jeden. Der König ist unverantwortlich, aber er,kann sich
weder verheirathen noch das Land verlassen ohne Genehmigung der Cortes.
Diese haben das Recht, über die Thronfolge zu bestimmen, den König im Fall
der Unfähigkeit abzusetzen und die Erziehung vorzuschreiben, die dem Kronprinzen
gegeben werden soll. Der König ernennt die Minister, erklärt Krieg und schließt
Frieden, kann denselben aber ohne vorhergegangene Billigung der Volksvertreter
nicht ratificiren. Er darf ohne Zustimmung der Cortes keine Abgaben erheben.
Nur zweimal darf er den Beschlüssen derselben sein Veto entgegensetzen, er kann
die Cortes auflösen, aber sie versammeln sich von Rechts wegen alle Jahre an
dem Tage, der in der Verfassung festgesetzt ist, und in der Zwischenzeit wacht
ein von ihnen ernannter Ausschuß über die Beobachtung der Gesetze. Die Mi¬
nister sind verantwortlich. Es giebt nur Eine Kammer. Jeder Spanier von
21 Jahren ist Wähler, jeder von 25 Jahren wählbar. Wer im Jahre 1830
nicht lesen und schreiben kann, verliert sein Wählerrecht. Die Inquisition ist
abgeschafft, die Presse frei.

Das Decret über die Abschaffung der Inquisition ließ die servilen die
Maske abwerfen. Mit Macht wühlten sie unter dem gemeinen Volk gegen die
Maßregel und die Urheber derselben und nicht ohne Erfolg. Aber die nun
zusammentretender ersten ordentlichen Cortes trugen doch anfangs den Cha¬
rakter der früheren Versammlung. Erst nach ihrer Ueberstedelung nach Madrid
gewannen die Gegner die Oberhand auf eine Weile. Sie bewiesen sich aber
durchaus unfähig, ihre Stellung zu behaupten, und begannen bereits wieder
zu unterliegen, als im März 1814 in dem legitimen König eine Macht in das
Land zurückkam, durch deren Abwesenheit allein die Werke der außerordent¬
lichen Cortes möglich gewesen waren. Ferdinand der Siebente hob die
Verfassung ohne Weiteres auf, und die wildeste Reaction, der finsterste Despo¬
tismus begann zu regieren. Die Inquisition wurde wieder hergestellt, die Ne-


schien ihnen die Mäßigung, welche dieselben empfahlen, nur der Weg zur Her¬
stellung des Despotismus und andrerseits nur rücksichtslose Fesselung der könig¬
lichen Gewalt die rechte Methode zur Befestigung der verfassungsmäßigen Mon¬
archie zu sein.

Der Grundgedanke der Radicalen, die auf der Löweninsel die Verfassung
von 1812 formulirten. war eine Erinnerung an die berühmte Krönungsformel
der Aragonier: „Wir, von denen jeder ebenso viel ist als du, und die wir
zusammen mehr sind als du, wir machen dich zum König. Wenn du unsre
Gesetze und Privilegien ansteht, werden wir dir gehorchen, wo nicht, nicht", und
an das Manifest, in welchem die Communeros Castiliens Karl dem Fünften
die Bedingungen stellten, unter denen sie seine Oberherrlichkeit anerkennen
wollten. Das spanische Volk ist sein eigner Herr, sagte die Verfassung, es
giebt sich die Gesetze, die es für gut erachtet zum Schutze der Freiheit und des
Wohlergehens eines Jeden. Der König ist unverantwortlich, aber er,kann sich
weder verheirathen noch das Land verlassen ohne Genehmigung der Cortes.
Diese haben das Recht, über die Thronfolge zu bestimmen, den König im Fall
der Unfähigkeit abzusetzen und die Erziehung vorzuschreiben, die dem Kronprinzen
gegeben werden soll. Der König ernennt die Minister, erklärt Krieg und schließt
Frieden, kann denselben aber ohne vorhergegangene Billigung der Volksvertreter
nicht ratificiren. Er darf ohne Zustimmung der Cortes keine Abgaben erheben.
Nur zweimal darf er den Beschlüssen derselben sein Veto entgegensetzen, er kann
die Cortes auflösen, aber sie versammeln sich von Rechts wegen alle Jahre an
dem Tage, der in der Verfassung festgesetzt ist, und in der Zwischenzeit wacht
ein von ihnen ernannter Ausschuß über die Beobachtung der Gesetze. Die Mi¬
nister sind verantwortlich. Es giebt nur Eine Kammer. Jeder Spanier von
21 Jahren ist Wähler, jeder von 25 Jahren wählbar. Wer im Jahre 1830
nicht lesen und schreiben kann, verliert sein Wählerrecht. Die Inquisition ist
abgeschafft, die Presse frei.

Das Decret über die Abschaffung der Inquisition ließ die servilen die
Maske abwerfen. Mit Macht wühlten sie unter dem gemeinen Volk gegen die
Maßregel und die Urheber derselben und nicht ohne Erfolg. Aber die nun
zusammentretender ersten ordentlichen Cortes trugen doch anfangs den Cha¬
rakter der früheren Versammlung. Erst nach ihrer Ueberstedelung nach Madrid
gewannen die Gegner die Oberhand auf eine Weile. Sie bewiesen sich aber
durchaus unfähig, ihre Stellung zu behaupten, und begannen bereits wieder
zu unterliegen, als im März 1814 in dem legitimen König eine Macht in das
Land zurückkam, durch deren Abwesenheit allein die Werke der außerordent¬
lichen Cortes möglich gewesen waren. Ferdinand der Siebente hob die
Verfassung ohne Weiteres auf, und die wildeste Reaction, der finsterste Despo¬
tismus begann zu regieren. Die Inquisition wurde wieder hergestellt, die Ne-


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[0192] schien ihnen die Mäßigung, welche dieselben empfahlen, nur der Weg zur Her¬ stellung des Despotismus und andrerseits nur rücksichtslose Fesselung der könig¬ lichen Gewalt die rechte Methode zur Befestigung der verfassungsmäßigen Mon¬ archie zu sein. Der Grundgedanke der Radicalen, die auf der Löweninsel die Verfassung von 1812 formulirten. war eine Erinnerung an die berühmte Krönungsformel der Aragonier: „Wir, von denen jeder ebenso viel ist als du, und die wir zusammen mehr sind als du, wir machen dich zum König. Wenn du unsre Gesetze und Privilegien ansteht, werden wir dir gehorchen, wo nicht, nicht", und an das Manifest, in welchem die Communeros Castiliens Karl dem Fünften die Bedingungen stellten, unter denen sie seine Oberherrlichkeit anerkennen wollten. Das spanische Volk ist sein eigner Herr, sagte die Verfassung, es giebt sich die Gesetze, die es für gut erachtet zum Schutze der Freiheit und des Wohlergehens eines Jeden. Der König ist unverantwortlich, aber er,kann sich weder verheirathen noch das Land verlassen ohne Genehmigung der Cortes. Diese haben das Recht, über die Thronfolge zu bestimmen, den König im Fall der Unfähigkeit abzusetzen und die Erziehung vorzuschreiben, die dem Kronprinzen gegeben werden soll. Der König ernennt die Minister, erklärt Krieg und schließt Frieden, kann denselben aber ohne vorhergegangene Billigung der Volksvertreter nicht ratificiren. Er darf ohne Zustimmung der Cortes keine Abgaben erheben. Nur zweimal darf er den Beschlüssen derselben sein Veto entgegensetzen, er kann die Cortes auflösen, aber sie versammeln sich von Rechts wegen alle Jahre an dem Tage, der in der Verfassung festgesetzt ist, und in der Zwischenzeit wacht ein von ihnen ernannter Ausschuß über die Beobachtung der Gesetze. Die Mi¬ nister sind verantwortlich. Es giebt nur Eine Kammer. Jeder Spanier von 21 Jahren ist Wähler, jeder von 25 Jahren wählbar. Wer im Jahre 1830 nicht lesen und schreiben kann, verliert sein Wählerrecht. Die Inquisition ist abgeschafft, die Presse frei. Das Decret über die Abschaffung der Inquisition ließ die servilen die Maske abwerfen. Mit Macht wühlten sie unter dem gemeinen Volk gegen die Maßregel und die Urheber derselben und nicht ohne Erfolg. Aber die nun zusammentretender ersten ordentlichen Cortes trugen doch anfangs den Cha¬ rakter der früheren Versammlung. Erst nach ihrer Ueberstedelung nach Madrid gewannen die Gegner die Oberhand auf eine Weile. Sie bewiesen sich aber durchaus unfähig, ihre Stellung zu behaupten, und begannen bereits wieder zu unterliegen, als im März 1814 in dem legitimen König eine Macht in das Land zurückkam, durch deren Abwesenheit allein die Werke der außerordent¬ lichen Cortes möglich gewesen waren. Ferdinand der Siebente hob die Verfassung ohne Weiteres auf, und die wildeste Reaction, der finsterste Despo¬ tismus begann zu regieren. Die Inquisition wurde wieder hergestellt, die Ne-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/192>, abgerufen am 29.06.2024.