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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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zimmern der Minister betteln, die Dienerschaft des Königs lief davon, weil sie
weder bezahlt, noch genährt werden konnte, fehlte es doch mehr als einmal an
Geld sogar für die Hoftafel.

Nur die Kirche gedieh bei diesem unerhörten Rückgang der wirthschaftlichen
Gesundheit Spaniens. Sie war bisher maßgebende Macht im geistigen Leben
der Nation gewesen, jetzt wurde sie dies auch im ökonomischen. Klöster und fromme
Stiftungen hatten die beste Kraft des Nationalvermögens verschlungen, nunmehr
wurden sie umgekehrt Fütterungsanstalten des hungernden Volkes. Hunderttau¬
sende waren Bettler, die das Leben nur von der Suppe fristeten, die ihnen eines
der Klöster ihres Orts vor die Thür reichte, unzählige Familien lebten aus¬
schließlich von den Gaben ihrer geistlichen Verwandten. In manchen Provinzen
gab es mehr Bettelleute, Schmuggler und Diebe als Handwerker, und je höher
die Noth stieg, desto tiefer versanken die Massen in Trägheit und gottesfürchtigen
Aberglauben.

Wunderbar ist, daß unter den beiden Nachfolgern Philipps des Zweiten,
unter denen die Verödung und Verarmung des Landes den eben geschilderten
Gipfel erreichte, die spanische Kunst den herrlichsten Aufschwung nahm. Noch
wunderbarer erscheint, daß unter Philipp dem Vierten die spanische Politik
noch einmal mit Nachdruck in die europäischen Angelegenheiten eingriff. Aber
es war eben nur trügerischer Schein, und um die Mitte des siebzehnten Jahr¬
hunderts brach in wenigen Jahren auch die äußere Machtstellung Spaniens
zusammen. Die einzelnen Provinzen empörten sich, von England fielen ver¬
nichtende Schläge auf die heruntergekommene Seemacht des Landes, Frankreich
griff auf allen Punkten die Besitzungen Spaniens an. Der Vertheidigung fehlte
es nicht blos an Geld, auch an Menschen. Die kriegerische Leidenschaft des
Volkes hatte sich selbst verzehrt. Der Norden stand unter Karl dem Zweiten
den Einfällen der Franzosen wehrlos offen, im Süden zitterte man vor dem
Gedanken, daß die Mauren eine neue Eroberung Spaniens wagen möchten,
ungestraft schälkelen Engländer, Niederländer, ja selbst preußische Kreuzer in
den spanischen Meeren, ebenso straflos Barbaresken an den Küsten der europäi¬
schen und Flibustier an denen der amerikanischen Besitzungen der Könige, in
deren Reich die Sonne nicht unterging. Das einst so gewaltige von üppigster
Lebensfülle strotzende Volk lag da wie ein Leichnam, unvermögend, ferne eigne
Schwäche zu fühlen -- für alle Zeiten ein abschreckendes Beispiel, wie man
nicht regieren und wie man sich nicht regieren lassen soll. Des Spaniers "Stirn
beugte sich", wie ein neuerer spanischer Dichter*) wehmüthig ausruft, "vordem
grausamen Despotismus, und die Welt ehrte ihn nicht mehr: Europa spottete
seiner, und Gott verließ ihn."



") Der Cubaner Placido.
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zimmern der Minister betteln, die Dienerschaft des Königs lief davon, weil sie
weder bezahlt, noch genährt werden konnte, fehlte es doch mehr als einmal an
Geld sogar für die Hoftafel.

Nur die Kirche gedieh bei diesem unerhörten Rückgang der wirthschaftlichen
Gesundheit Spaniens. Sie war bisher maßgebende Macht im geistigen Leben
der Nation gewesen, jetzt wurde sie dies auch im ökonomischen. Klöster und fromme
Stiftungen hatten die beste Kraft des Nationalvermögens verschlungen, nunmehr
wurden sie umgekehrt Fütterungsanstalten des hungernden Volkes. Hunderttau¬
sende waren Bettler, die das Leben nur von der Suppe fristeten, die ihnen eines
der Klöster ihres Orts vor die Thür reichte, unzählige Familien lebten aus¬
schließlich von den Gaben ihrer geistlichen Verwandten. In manchen Provinzen
gab es mehr Bettelleute, Schmuggler und Diebe als Handwerker, und je höher
die Noth stieg, desto tiefer versanken die Massen in Trägheit und gottesfürchtigen
Aberglauben.

Wunderbar ist, daß unter den beiden Nachfolgern Philipps des Zweiten,
unter denen die Verödung und Verarmung des Landes den eben geschilderten
Gipfel erreichte, die spanische Kunst den herrlichsten Aufschwung nahm. Noch
wunderbarer erscheint, daß unter Philipp dem Vierten die spanische Politik
noch einmal mit Nachdruck in die europäischen Angelegenheiten eingriff. Aber
es war eben nur trügerischer Schein, und um die Mitte des siebzehnten Jahr¬
hunderts brach in wenigen Jahren auch die äußere Machtstellung Spaniens
zusammen. Die einzelnen Provinzen empörten sich, von England fielen ver¬
nichtende Schläge auf die heruntergekommene Seemacht des Landes, Frankreich
griff auf allen Punkten die Besitzungen Spaniens an. Der Vertheidigung fehlte
es nicht blos an Geld, auch an Menschen. Die kriegerische Leidenschaft des
Volkes hatte sich selbst verzehrt. Der Norden stand unter Karl dem Zweiten
den Einfällen der Franzosen wehrlos offen, im Süden zitterte man vor dem
Gedanken, daß die Mauren eine neue Eroberung Spaniens wagen möchten,
ungestraft schälkelen Engländer, Niederländer, ja selbst preußische Kreuzer in
den spanischen Meeren, ebenso straflos Barbaresken an den Küsten der europäi¬
schen und Flibustier an denen der amerikanischen Besitzungen der Könige, in
deren Reich die Sonne nicht unterging. Das einst so gewaltige von üppigster
Lebensfülle strotzende Volk lag da wie ein Leichnam, unvermögend, ferne eigne
Schwäche zu fühlen — für alle Zeiten ein abschreckendes Beispiel, wie man
nicht regieren und wie man sich nicht regieren lassen soll. Des Spaniers „Stirn
beugte sich", wie ein neuerer spanischer Dichter*) wehmüthig ausruft, „vordem
grausamen Despotismus, und die Welt ehrte ihn nicht mehr: Europa spottete
seiner, und Gott verließ ihn."



") Der Cubaner Placido.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/185>, abgerufen am 29.06.2024.