Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dahin war man gekommen mit der lediglich auf äußere Machtstellung und
auf Verherrlichung der katholischen Kirche gerichteten Politik des Hauses Habs-
burg, als 1700 in Karl dem Zweiten der letzte spanische Habsburger starb.
Kein Zweifel, wenn ihm ein östreichischer Erzherzog gefolgt wäre, daß dieser,
dem Testament des Königs folgend, das bisherige System fortgesetzt und Volk
und Staat noch tiefer heruntergebracht hätte.

Das Schicksal hatte es anders vor: der Bourbon Philipp der Fünfte
war besser geartet. Er führte ein neues Regierungssystem ein, ähnlich dem¬
jenigen, welches Frankreich unter Richelieu und Colbcrt groß gemacht: unbe¬
schränkte Königsmacht in allen Provinzen, aber zugleich Wiedererweckung von'
Gewerbe und Handel, verständige Besteuerung, Reform der Behörden und Ge¬
setze. Sogar an die Kirche wagte sich die neue Negierung, und hätte sie hier
Erfolg gehabt, so würde eine gründliche Besserung aller Zustände die Folge
gewesen sein; denn nur wenn dem Klerus der ungeheure Reichthum genommen
wurde, den er sich in der Vergangenheit erworben, nur wenn er den Einfluß
verlor, den' er bisher auf Behörden, Schulen und Literatur ausgeübt, nur wenn
man das Volk von dem Drucke des stupidesten Aberglaubens, der grenzen¬
losesten Unwissenheit und des schmachvollsten Müßiggangs befreite, konnten die
begonnenen Reformen wahrhaft fruchtbar werden und der Fortschritt einen sichern
Gang gewinnen. Der Versuch mißlang, einmal weil die Nation in der ihr
anerzognen blinden Devotion nicht begriff, daß ihr eine Wohlthat damit zu
Theil werden, sollte, dann weil der König selbst allmälig erlahmte und unter
dem Einfluß der alten Gewohnheiten und Anschauungen des Palastes so träge
und fast so nachgiebig gegen die Curie und die Inquisition wurde, wie die
Habsburger in ihren schlimmsten Tagen. Dazu kam, daß man auch in die alte
Eroberungspolitik zurückfiel, daß nun Heer und Flotte wieder die gesammte
Einnahme verschlangen, und daß die kaum gewonnene Möglichkeit, die Finanzen
zu ordnen und dem ganzen ökonomischen Leben der Nation auf einen grünen
Zweig zu verhelfen, von Neuem verloren ging. 1724 hatten die Einkünfte
schon wieder 23S Millionen betragen, dreizehn Jahre später betrugen sie nur
noch 211 gegenüber einer Ausgabe von 336 Millionen, von denen Heer und
Flotte 236, der Hof 36 Millionen verzehrten, die eigentliche Verwaltung aber
nur 17^/2 Millionen erhielt. Pflege der Gerechtigkeit, der Sicherheit, der
Bildung, der materiellen Wohlfahrt waren, fast wie früher. Nebensache ge¬
worden; Hauptaufgabe des Staats war. nach Außen eine Rolle zu spielen und
im Innern dem Glänze des Königthums zu dienen.

Nichtsdestoweniger brachte die lange Regierung Philipps des Fünften dem
spanischen Volke eine Reihe wichtiger Anregungen. Gelang es nirgends, con-
sequent eine neue Bahn zu verfolgen, so untergruben doch schon die bloßen
Versuche dazu die Autorität und Festigkeit des Alten. Die dünkelhafte Meinung,


Dahin war man gekommen mit der lediglich auf äußere Machtstellung und
auf Verherrlichung der katholischen Kirche gerichteten Politik des Hauses Habs-
burg, als 1700 in Karl dem Zweiten der letzte spanische Habsburger starb.
Kein Zweifel, wenn ihm ein östreichischer Erzherzog gefolgt wäre, daß dieser,
dem Testament des Königs folgend, das bisherige System fortgesetzt und Volk
und Staat noch tiefer heruntergebracht hätte.

Das Schicksal hatte es anders vor: der Bourbon Philipp der Fünfte
war besser geartet. Er führte ein neues Regierungssystem ein, ähnlich dem¬
jenigen, welches Frankreich unter Richelieu und Colbcrt groß gemacht: unbe¬
schränkte Königsmacht in allen Provinzen, aber zugleich Wiedererweckung von'
Gewerbe und Handel, verständige Besteuerung, Reform der Behörden und Ge¬
setze. Sogar an die Kirche wagte sich die neue Negierung, und hätte sie hier
Erfolg gehabt, so würde eine gründliche Besserung aller Zustände die Folge
gewesen sein; denn nur wenn dem Klerus der ungeheure Reichthum genommen
wurde, den er sich in der Vergangenheit erworben, nur wenn er den Einfluß
verlor, den' er bisher auf Behörden, Schulen und Literatur ausgeübt, nur wenn
man das Volk von dem Drucke des stupidesten Aberglaubens, der grenzen¬
losesten Unwissenheit und des schmachvollsten Müßiggangs befreite, konnten die
begonnenen Reformen wahrhaft fruchtbar werden und der Fortschritt einen sichern
Gang gewinnen. Der Versuch mißlang, einmal weil die Nation in der ihr
anerzognen blinden Devotion nicht begriff, daß ihr eine Wohlthat damit zu
Theil werden, sollte, dann weil der König selbst allmälig erlahmte und unter
dem Einfluß der alten Gewohnheiten und Anschauungen des Palastes so träge
und fast so nachgiebig gegen die Curie und die Inquisition wurde, wie die
Habsburger in ihren schlimmsten Tagen. Dazu kam, daß man auch in die alte
Eroberungspolitik zurückfiel, daß nun Heer und Flotte wieder die gesammte
Einnahme verschlangen, und daß die kaum gewonnene Möglichkeit, die Finanzen
zu ordnen und dem ganzen ökonomischen Leben der Nation auf einen grünen
Zweig zu verhelfen, von Neuem verloren ging. 1724 hatten die Einkünfte
schon wieder 23S Millionen betragen, dreizehn Jahre später betrugen sie nur
noch 211 gegenüber einer Ausgabe von 336 Millionen, von denen Heer und
Flotte 236, der Hof 36 Millionen verzehrten, die eigentliche Verwaltung aber
nur 17^/2 Millionen erhielt. Pflege der Gerechtigkeit, der Sicherheit, der
Bildung, der materiellen Wohlfahrt waren, fast wie früher. Nebensache ge¬
worden; Hauptaufgabe des Staats war. nach Außen eine Rolle zu spielen und
im Innern dem Glänze des Königthums zu dienen.

Nichtsdestoweniger brachte die lange Regierung Philipps des Fünften dem
spanischen Volke eine Reihe wichtiger Anregungen. Gelang es nirgends, con-
sequent eine neue Bahn zu verfolgen, so untergruben doch schon die bloßen
Versuche dazu die Autorität und Festigkeit des Alten. Die dünkelhafte Meinung,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284656"/>
          <p xml:id="ID_625"> Dahin war man gekommen mit der lediglich auf äußere Machtstellung und<lb/>
auf Verherrlichung der katholischen Kirche gerichteten Politik des Hauses Habs-<lb/>
burg, als 1700 in Karl dem Zweiten der letzte spanische Habsburger starb.<lb/>
Kein Zweifel, wenn ihm ein östreichischer Erzherzog gefolgt wäre, daß dieser,<lb/>
dem Testament des Königs folgend, das bisherige System fortgesetzt und Volk<lb/>
und Staat noch tiefer heruntergebracht hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_626"> Das Schicksal hatte es anders vor: der Bourbon Philipp der Fünfte<lb/>
war besser geartet. Er führte ein neues Regierungssystem ein, ähnlich dem¬<lb/>
jenigen, welches Frankreich unter Richelieu und Colbcrt groß gemacht: unbe¬<lb/>
schränkte Königsmacht in allen Provinzen, aber zugleich Wiedererweckung von'<lb/>
Gewerbe und Handel, verständige Besteuerung, Reform der Behörden und Ge¬<lb/>
setze. Sogar an die Kirche wagte sich die neue Negierung, und hätte sie hier<lb/>
Erfolg gehabt, so würde eine gründliche Besserung aller Zustände die Folge<lb/>
gewesen sein; denn nur wenn dem Klerus der ungeheure Reichthum genommen<lb/>
wurde, den er sich in der Vergangenheit erworben, nur wenn er den Einfluß<lb/>
verlor, den' er bisher auf Behörden, Schulen und Literatur ausgeübt, nur wenn<lb/>
man das Volk von dem Drucke des stupidesten Aberglaubens, der grenzen¬<lb/>
losesten Unwissenheit und des schmachvollsten Müßiggangs befreite, konnten die<lb/>
begonnenen Reformen wahrhaft fruchtbar werden und der Fortschritt einen sichern<lb/>
Gang gewinnen. Der Versuch mißlang, einmal weil die Nation in der ihr<lb/>
anerzognen blinden Devotion nicht begriff, daß ihr eine Wohlthat damit zu<lb/>
Theil werden, sollte, dann weil der König selbst allmälig erlahmte und unter<lb/>
dem Einfluß der alten Gewohnheiten und Anschauungen des Palastes so träge<lb/>
und fast so nachgiebig gegen die Curie und die Inquisition wurde, wie die<lb/>
Habsburger in ihren schlimmsten Tagen. Dazu kam, daß man auch in die alte<lb/>
Eroberungspolitik zurückfiel, daß nun Heer und Flotte wieder die gesammte<lb/>
Einnahme verschlangen, und daß die kaum gewonnene Möglichkeit, die Finanzen<lb/>
zu ordnen und dem ganzen ökonomischen Leben der Nation auf einen grünen<lb/>
Zweig zu verhelfen, von Neuem verloren ging. 1724 hatten die Einkünfte<lb/>
schon wieder 23S Millionen betragen, dreizehn Jahre später betrugen sie nur<lb/>
noch 211 gegenüber einer Ausgabe von 336 Millionen, von denen Heer und<lb/>
Flotte 236, der Hof 36 Millionen verzehrten, die eigentliche Verwaltung aber<lb/>
nur 17^/2 Millionen erhielt. Pflege der Gerechtigkeit, der Sicherheit, der<lb/>
Bildung, der materiellen Wohlfahrt waren, fast wie früher. Nebensache ge¬<lb/>
worden; Hauptaufgabe des Staats war. nach Außen eine Rolle zu spielen und<lb/>
im Innern dem Glänze des Königthums zu dienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_627" next="#ID_628"> Nichtsdestoweniger brachte die lange Regierung Philipps des Fünften dem<lb/>
spanischen Volke eine Reihe wichtiger Anregungen. Gelang es nirgends, con-<lb/>
sequent eine neue Bahn zu verfolgen, so untergruben doch schon die bloßen<lb/>
Versuche dazu die Autorität und Festigkeit des Alten. Die dünkelhafte Meinung,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] Dahin war man gekommen mit der lediglich auf äußere Machtstellung und auf Verherrlichung der katholischen Kirche gerichteten Politik des Hauses Habs- burg, als 1700 in Karl dem Zweiten der letzte spanische Habsburger starb. Kein Zweifel, wenn ihm ein östreichischer Erzherzog gefolgt wäre, daß dieser, dem Testament des Königs folgend, das bisherige System fortgesetzt und Volk und Staat noch tiefer heruntergebracht hätte. Das Schicksal hatte es anders vor: der Bourbon Philipp der Fünfte war besser geartet. Er führte ein neues Regierungssystem ein, ähnlich dem¬ jenigen, welches Frankreich unter Richelieu und Colbcrt groß gemacht: unbe¬ schränkte Königsmacht in allen Provinzen, aber zugleich Wiedererweckung von' Gewerbe und Handel, verständige Besteuerung, Reform der Behörden und Ge¬ setze. Sogar an die Kirche wagte sich die neue Negierung, und hätte sie hier Erfolg gehabt, so würde eine gründliche Besserung aller Zustände die Folge gewesen sein; denn nur wenn dem Klerus der ungeheure Reichthum genommen wurde, den er sich in der Vergangenheit erworben, nur wenn er den Einfluß verlor, den' er bisher auf Behörden, Schulen und Literatur ausgeübt, nur wenn man das Volk von dem Drucke des stupidesten Aberglaubens, der grenzen¬ losesten Unwissenheit und des schmachvollsten Müßiggangs befreite, konnten die begonnenen Reformen wahrhaft fruchtbar werden und der Fortschritt einen sichern Gang gewinnen. Der Versuch mißlang, einmal weil die Nation in der ihr anerzognen blinden Devotion nicht begriff, daß ihr eine Wohlthat damit zu Theil werden, sollte, dann weil der König selbst allmälig erlahmte und unter dem Einfluß der alten Gewohnheiten und Anschauungen des Palastes so träge und fast so nachgiebig gegen die Curie und die Inquisition wurde, wie die Habsburger in ihren schlimmsten Tagen. Dazu kam, daß man auch in die alte Eroberungspolitik zurückfiel, daß nun Heer und Flotte wieder die gesammte Einnahme verschlangen, und daß die kaum gewonnene Möglichkeit, die Finanzen zu ordnen und dem ganzen ökonomischen Leben der Nation auf einen grünen Zweig zu verhelfen, von Neuem verloren ging. 1724 hatten die Einkünfte schon wieder 23S Millionen betragen, dreizehn Jahre später betrugen sie nur noch 211 gegenüber einer Ausgabe von 336 Millionen, von denen Heer und Flotte 236, der Hof 36 Millionen verzehrten, die eigentliche Verwaltung aber nur 17^/2 Millionen erhielt. Pflege der Gerechtigkeit, der Sicherheit, der Bildung, der materiellen Wohlfahrt waren, fast wie früher. Nebensache ge¬ worden; Hauptaufgabe des Staats war. nach Außen eine Rolle zu spielen und im Innern dem Glänze des Königthums zu dienen. Nichtsdestoweniger brachte die lange Regierung Philipps des Fünften dem spanischen Volke eine Reihe wichtiger Anregungen. Gelang es nirgends, con- sequent eine neue Bahn zu verfolgen, so untergruben doch schon die bloßen Versuche dazu die Autorität und Festigkeit des Alten. Die dünkelhafte Meinung,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/186>, abgerufen am 29.06.2024.