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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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oder der größere Theil der Landwehr freiwillig zu den Waffen geeilt sei.
Nach der Angabe des Verfassers war die Anzahl der Freiwilligen sogar eine
geringe und je nach den Provinzen verschieden. In Ostpreußen betrug dieselbe
Vio> in den Marken etwa V", in Pommern und Schlesien kaum V--" der ein¬
zustellenden Mannschaften. Der größere Theil mußte daher durch Losung und
Aushebung zusammengebracht werden, welche Maßregel aber nicht selten auf
unerwartete Hindernisse stieß, und wobei es in einzelnen Distncten, namentlich
in Westpreußen, Oberschlesien und Westfalen, sogar zu Widersetzlichkeiten kam.
Aber nicht einmal der bereits Zusammengebrachten war man sicher, indem bei
nächster Gelegenheit ein Theil wieder desertirte. Es mögen hier Zahlen das
Nähere beweisen.

Von 139 Ausgehobenen aus dem Dorfe Lingen in Westfalen stellten sich
nur 13, von denen 12 sogleich wieder davonliefen. Im Paderbornschen brachte
man knapp die Hälfte zusammen und vom 4. westfälischen Landwehrregimcnt
desertirten in den ersten 5 Tagen gegen 100 Mann, auf einem Marsche nach
Wesel aber nicht weniger als 17 Unteroffiziere, 6 Spielleute und 631 Gemeine,
also fast in der Stärke eines ganzen Bataillons. -- Die Mennoniten in Ost-
und Westpreußen waren vom Militärdienst gänzlich befreit und den Juden
war aus wiederholtes Ersuchen gestattet worden, statt der Mannschaften Geld
zu geben.

Eigenthümlich war es mit Besetzung der Führcrstellen. Trotzdem viele
ehemalige Offiziere eingetreten waren, so war doch noch bedeutender Mangel
daran. Mit diesen besetzte man zunächst die Stellen der Regiments- und
Bataillonscommandeure, so wie der Compagnie- und Schwadronschefs. Daher
mangelte es zunächst in der Region der Subalternen. Der Mangel war so
fühlbar, daß in Oberschlesien Stellen zwangsweise besetzt wurden. Nicht
minder fehlte es an gedienten Unteroffizieren. Der Verfasser sagt (S. 186)
unter Anderem: "Bezüglich der Besetzung der Führerstellcn müssen wir hervor¬
heben, daß sich unter 237 höheren und Stabsoffizieren der Landwehr nur 3
bürgerliche' befanden, auch über 90 Procent dieser Gesammtzahl ehemalige
Offiziere waren. Letztere befanden sich ebenfalls noch sehr zahlreich unter den
Capitäns. Durch diese Zahlen wird die Ansicht bekämpft: es hätten Adel
und Armee im Jahr 1806 den Staat zu Grunde gerichtet und das Bürger-
thum ihn durch Kampf im Jahre 1813, dem der Adel fern geblieben, wieder
hergestellt. Es ist ersichtlich, daß grade der Adel für die Landwehr ein fast
ausschließliches Contingent zur Besetzung derjenigen Stellen geliefert hat, von
deren Tüchtigkeit auch die der Landwehrtruppen abhing. -- Sodann zeigt es
sich, daß die Ausbildung der Landwehr überhaupt nur durch die in den Capitcins-
und Majorsstellen vorhandenen ehemaligen Offiziere der Armee von 1806 er¬
möglicht worden ist."


oder der größere Theil der Landwehr freiwillig zu den Waffen geeilt sei.
Nach der Angabe des Verfassers war die Anzahl der Freiwilligen sogar eine
geringe und je nach den Provinzen verschieden. In Ostpreußen betrug dieselbe
Vio> in den Marken etwa V«, in Pommern und Schlesien kaum V--« der ein¬
zustellenden Mannschaften. Der größere Theil mußte daher durch Losung und
Aushebung zusammengebracht werden, welche Maßregel aber nicht selten auf
unerwartete Hindernisse stieß, und wobei es in einzelnen Distncten, namentlich
in Westpreußen, Oberschlesien und Westfalen, sogar zu Widersetzlichkeiten kam.
Aber nicht einmal der bereits Zusammengebrachten war man sicher, indem bei
nächster Gelegenheit ein Theil wieder desertirte. Es mögen hier Zahlen das
Nähere beweisen.

Von 139 Ausgehobenen aus dem Dorfe Lingen in Westfalen stellten sich
nur 13, von denen 12 sogleich wieder davonliefen. Im Paderbornschen brachte
man knapp die Hälfte zusammen und vom 4. westfälischen Landwehrregimcnt
desertirten in den ersten 5 Tagen gegen 100 Mann, auf einem Marsche nach
Wesel aber nicht weniger als 17 Unteroffiziere, 6 Spielleute und 631 Gemeine,
also fast in der Stärke eines ganzen Bataillons. — Die Mennoniten in Ost-
und Westpreußen waren vom Militärdienst gänzlich befreit und den Juden
war aus wiederholtes Ersuchen gestattet worden, statt der Mannschaften Geld
zu geben.

Eigenthümlich war es mit Besetzung der Führcrstellen. Trotzdem viele
ehemalige Offiziere eingetreten waren, so war doch noch bedeutender Mangel
daran. Mit diesen besetzte man zunächst die Stellen der Regiments- und
Bataillonscommandeure, so wie der Compagnie- und Schwadronschefs. Daher
mangelte es zunächst in der Region der Subalternen. Der Mangel war so
fühlbar, daß in Oberschlesien Stellen zwangsweise besetzt wurden. Nicht
minder fehlte es an gedienten Unteroffizieren. Der Verfasser sagt (S. 186)
unter Anderem: „Bezüglich der Besetzung der Führerstellcn müssen wir hervor¬
heben, daß sich unter 237 höheren und Stabsoffizieren der Landwehr nur 3
bürgerliche' befanden, auch über 90 Procent dieser Gesammtzahl ehemalige
Offiziere waren. Letztere befanden sich ebenfalls noch sehr zahlreich unter den
Capitäns. Durch diese Zahlen wird die Ansicht bekämpft: es hätten Adel
und Armee im Jahr 1806 den Staat zu Grunde gerichtet und das Bürger-
thum ihn durch Kampf im Jahre 1813, dem der Adel fern geblieben, wieder
hergestellt. Es ist ersichtlich, daß grade der Adel für die Landwehr ein fast
ausschließliches Contingent zur Besetzung derjenigen Stellen geliefert hat, von
deren Tüchtigkeit auch die der Landwehrtruppen abhing. — Sodann zeigt es
sich, daß die Ausbildung der Landwehr überhaupt nur durch die in den Capitcins-
und Majorsstellen vorhandenen ehemaligen Offiziere der Armee von 1806 er¬
möglicht worden ist."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/171>, abgerufen am 29.06.2024.