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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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nationalen Angelegenheiten, die sich der Bevölkerung bemächtigt hat. Es ist
der natürliche Rückschlag der hochtönenden Phrasen, die vor zwei Jahren im
Schwunge waren, die natürliche Folge des Gangs der Ereignisse, der dieser
Phrasen gespottet hat. Damals wäre jedermann aufgebraust bei dem Gedan¬
ken, daß die würtenbergische Regierung sich von der augustenburgischen Sache
und der sogenannten Bundestagsmehrheit trennen und ins Lager der verha߬
ten Großmächte überlaufen könne. Jetzt ist diese Mehrheit längst zur Minder¬
heit geworden, die Minderheit selbst hat förmlich abdicirt. und Herr v. Varn-
büler durch seine Abstimmung vom 18. November seinen lange vorbereiteten
Uebergang zu den Großmächten vollzogen, -- und kaum hat jemand Notiz da¬
von genommen. Man ist froh, daß man der preußischen Machtsphäre noch
weit entrückt ist, und läßt im Uebrigen die Dinge gehen role sie gehen. Viel¬
fach ist dabei freilich das Aufdämmern einer richtigen Einsicht in die Macht der
kleineren Staaten wirksam, und Hr. von Varnbüler hat diese Saite immer mit
berechneter Bescheidenheit glücklich anzuschlagen gewußt. Aber die fatalistische
Ergebung in das Unvermeidliche ist dabei doch stärker als gewonnene Ueber¬
zeugung im Sinn der wirklichen nationalen Interessen. Der vielbesprochene
Artikel der Allgemeinen Zeitung: Rasche oder schleichende Annexion der Herzog-
thümer, hat wirklich einer in Süddeutschland sehr verbreiteten -- Stimmung
muß man eher sagen, als Ueberzeugung, Ausdruck gegeben. Indem er die
Annexion nicht als ein wünschenswerthes, aber unvermeidliches Ziel darstellte,
indem er offenbar aus einer Stimmung heraus geschrieben war, welche die un¬
angenehm gewordene Sache endlich einmal abschütteln möchte, war er für Süd¬
deutschland ein fast in ähnlicher Weise befreiendes Ereigniß, wie Treitschkes
erstes Hervortreten für die liberale Partei im übrigen Deutschland war: er
hatte offen ausgesprochen, was Viele gedacht, aber klugerweise bei sich gehalten
hatten, bis es unter der schützenden Aegide des augsburger Blatts sich hervor-
wagen konnte.

Ganz ungestraft sollte indessen unsere Regierung mit ihrer Fahnenflucht
am Bundestag doch nicht davonkommen, und zwar waren es die verlassenen
Bundesgenossen selbst, welche ihr eine jener kleinen Schlappen beibrachten, wie
sie das besondere Vergnügen und der Triumph der Erfindungskraft des Herrn
v. Beust sind. Es war eine ziemliche Verlegenheit für Hrn. v. Varnbüler,
als er, nichts ahnend, eines Tages plötzlich aus dem Zeitungsblatt erfuhr, daß
Bayern und Sachsen das Königreich Italien anerkannt hätten. Nicht blos dem
wiener Cabinet galt dieser kleine Streich der Rache, sondern auch der treulos
gewordene Bundesgenosse zu Stuttgart sollte überrascht werden, und wirklich
war für Hrn. v. Varnbüler das Gefühl, in dieser Frage isolirt zu sein, um so
empfindlicher, als er früher einmal in der Kammer mit Nachdruck geäußert
hatte, niemals werde er eine Macht anerkennen, welche die Hand verlangend


nationalen Angelegenheiten, die sich der Bevölkerung bemächtigt hat. Es ist
der natürliche Rückschlag der hochtönenden Phrasen, die vor zwei Jahren im
Schwunge waren, die natürliche Folge des Gangs der Ereignisse, der dieser
Phrasen gespottet hat. Damals wäre jedermann aufgebraust bei dem Gedan¬
ken, daß die würtenbergische Regierung sich von der augustenburgischen Sache
und der sogenannten Bundestagsmehrheit trennen und ins Lager der verha߬
ten Großmächte überlaufen könne. Jetzt ist diese Mehrheit längst zur Minder¬
heit geworden, die Minderheit selbst hat förmlich abdicirt. und Herr v. Varn-
büler durch seine Abstimmung vom 18. November seinen lange vorbereiteten
Uebergang zu den Großmächten vollzogen, — und kaum hat jemand Notiz da¬
von genommen. Man ist froh, daß man der preußischen Machtsphäre noch
weit entrückt ist, und läßt im Uebrigen die Dinge gehen role sie gehen. Viel¬
fach ist dabei freilich das Aufdämmern einer richtigen Einsicht in die Macht der
kleineren Staaten wirksam, und Hr. von Varnbüler hat diese Saite immer mit
berechneter Bescheidenheit glücklich anzuschlagen gewußt. Aber die fatalistische
Ergebung in das Unvermeidliche ist dabei doch stärker als gewonnene Ueber¬
zeugung im Sinn der wirklichen nationalen Interessen. Der vielbesprochene
Artikel der Allgemeinen Zeitung: Rasche oder schleichende Annexion der Herzog-
thümer, hat wirklich einer in Süddeutschland sehr verbreiteten — Stimmung
muß man eher sagen, als Ueberzeugung, Ausdruck gegeben. Indem er die
Annexion nicht als ein wünschenswerthes, aber unvermeidliches Ziel darstellte,
indem er offenbar aus einer Stimmung heraus geschrieben war, welche die un¬
angenehm gewordene Sache endlich einmal abschütteln möchte, war er für Süd¬
deutschland ein fast in ähnlicher Weise befreiendes Ereigniß, wie Treitschkes
erstes Hervortreten für die liberale Partei im übrigen Deutschland war: er
hatte offen ausgesprochen, was Viele gedacht, aber klugerweise bei sich gehalten
hatten, bis es unter der schützenden Aegide des augsburger Blatts sich hervor-
wagen konnte.

Ganz ungestraft sollte indessen unsere Regierung mit ihrer Fahnenflucht
am Bundestag doch nicht davonkommen, und zwar waren es die verlassenen
Bundesgenossen selbst, welche ihr eine jener kleinen Schlappen beibrachten, wie
sie das besondere Vergnügen und der Triumph der Erfindungskraft des Herrn
v. Beust sind. Es war eine ziemliche Verlegenheit für Hrn. v. Varnbüler,
als er, nichts ahnend, eines Tages plötzlich aus dem Zeitungsblatt erfuhr, daß
Bayern und Sachsen das Königreich Italien anerkannt hätten. Nicht blos dem
wiener Cabinet galt dieser kleine Streich der Rache, sondern auch der treulos
gewordene Bundesgenosse zu Stuttgart sollte überrascht werden, und wirklich
war für Hrn. v. Varnbüler das Gefühl, in dieser Frage isolirt zu sein, um so
empfindlicher, als er früher einmal in der Kammer mit Nachdruck geäußert
hatte, niemals werde er eine Macht anerkennen, welche die Hand verlangend


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[0160] nationalen Angelegenheiten, die sich der Bevölkerung bemächtigt hat. Es ist der natürliche Rückschlag der hochtönenden Phrasen, die vor zwei Jahren im Schwunge waren, die natürliche Folge des Gangs der Ereignisse, der dieser Phrasen gespottet hat. Damals wäre jedermann aufgebraust bei dem Gedan¬ ken, daß die würtenbergische Regierung sich von der augustenburgischen Sache und der sogenannten Bundestagsmehrheit trennen und ins Lager der verha߬ ten Großmächte überlaufen könne. Jetzt ist diese Mehrheit längst zur Minder¬ heit geworden, die Minderheit selbst hat förmlich abdicirt. und Herr v. Varn- büler durch seine Abstimmung vom 18. November seinen lange vorbereiteten Uebergang zu den Großmächten vollzogen, — und kaum hat jemand Notiz da¬ von genommen. Man ist froh, daß man der preußischen Machtsphäre noch weit entrückt ist, und läßt im Uebrigen die Dinge gehen role sie gehen. Viel¬ fach ist dabei freilich das Aufdämmern einer richtigen Einsicht in die Macht der kleineren Staaten wirksam, und Hr. von Varnbüler hat diese Saite immer mit berechneter Bescheidenheit glücklich anzuschlagen gewußt. Aber die fatalistische Ergebung in das Unvermeidliche ist dabei doch stärker als gewonnene Ueber¬ zeugung im Sinn der wirklichen nationalen Interessen. Der vielbesprochene Artikel der Allgemeinen Zeitung: Rasche oder schleichende Annexion der Herzog- thümer, hat wirklich einer in Süddeutschland sehr verbreiteten — Stimmung muß man eher sagen, als Ueberzeugung, Ausdruck gegeben. Indem er die Annexion nicht als ein wünschenswerthes, aber unvermeidliches Ziel darstellte, indem er offenbar aus einer Stimmung heraus geschrieben war, welche die un¬ angenehm gewordene Sache endlich einmal abschütteln möchte, war er für Süd¬ deutschland ein fast in ähnlicher Weise befreiendes Ereigniß, wie Treitschkes erstes Hervortreten für die liberale Partei im übrigen Deutschland war: er hatte offen ausgesprochen, was Viele gedacht, aber klugerweise bei sich gehalten hatten, bis es unter der schützenden Aegide des augsburger Blatts sich hervor- wagen konnte. Ganz ungestraft sollte indessen unsere Regierung mit ihrer Fahnenflucht am Bundestag doch nicht davonkommen, und zwar waren es die verlassenen Bundesgenossen selbst, welche ihr eine jener kleinen Schlappen beibrachten, wie sie das besondere Vergnügen und der Triumph der Erfindungskraft des Herrn v. Beust sind. Es war eine ziemliche Verlegenheit für Hrn. v. Varnbüler, als er, nichts ahnend, eines Tages plötzlich aus dem Zeitungsblatt erfuhr, daß Bayern und Sachsen das Königreich Italien anerkannt hätten. Nicht blos dem wiener Cabinet galt dieser kleine Streich der Rache, sondern auch der treulos gewordene Bundesgenosse zu Stuttgart sollte überrascht werden, und wirklich war für Hrn. v. Varnbüler das Gefühl, in dieser Frage isolirt zu sein, um so empfindlicher, als er früher einmal in der Kammer mit Nachdruck geäußert hatte, niemals werde er eine Macht anerkennen, welche die Hand verlangend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/160>, abgerufen am 29.06.2024.