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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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esse sich lange nicht mit den nachbarlichen Vorgängen messen^lcißt. und insbe¬
sondere, daß ihm nicht die mindeste politische Seite abzugewinnen ist. Vor
allem fehlt hier jener Reiz des Romantischen, der dort den jugendlichen Fürsten
umgiebt, der ungebrochenen kühnen Idealität, die sich über das Herkömmliche
hinwegsetzt, von entgegengesetzten Seiten ein größeres Maß von Hoffnungen
und Befürchtungen hervorruft und damit von selbst ein gesteigertes Interesse
in der Bevölkerung, eine wirkliche Parteinahme erweckt. Alles bewegt sich bei
uns ungleich gemessener, nüchterner, in engeren, dem Herkommen möglichst an¬
gepaßten Verhältnissen. Unbekannt ist bei uns jene ideale Energie, die dort
auf dem Gebiet der Kunst kleine Erfolge hervorzaubert, und auch wenn
man ein geschworner Feind der Zukunftsmusik ist, so ist doch verzeihlich der
Neid, mit welchem wir z. B. die Kunde von der Pflege des höheren Dramas
zu Jsar-Athen vernehmen. Der Thalkessel des Nesenbach ist nie eine günstige
Stätte für die Musen gewesen, ein eigener Unstern hat sie hier immer verfolgt,
und grade bei vereinzelten Anläufen zum Besseren hat sich dies jederzeit be¬
währt. Es scheint in unsern Hofkreisen das Bedürfniß wohl gefühlt und guter
Wille vorhanden zu sein, eingerissenen Mißständen und Vernachlässigungen ab¬
zuhelfen, wie denn überhaupt der gute Wille des Königs von keiner Seite in
Zweifel gezogen wird. Aber daß wirklich Eingreifendes geschehe, verhindert
theils der Mangel an nachhaltigem eigenem Interesse, theils, wie es scheint,
die Unzulänglichkeit der Rathgeber. Und weil nun so nichts Bedeutendes, auch
innerhalb der Grenzen, die "dem kleinen Staate gesteckt sind, geschieht, heftet
sich Spott oder Abneigung an das Kleinliche, welches wirtlich zu Tage tritt, an
die Mißgriffe, die vielleicht unbeachtet blieben, wenn sie durch größere Bestre¬
bungen aufgewogen würden. Manches in dieser Richtung hat bekanntlich eine
unwillkommene weite Verbreitung gefunden und die Witzblätter aller Orten
herausgefordert. Leicht ließe sich eine artige Blumenlese zusammenstellen, wenn
nicht grade die Kleinlichkeit der Vorgänge es verböte und zugleich die Galan¬
terie gewisse Pflichten auch wu Publicisten vorschriebe. Aber erklärlich ist es
unter solchen Verhältnissen, wie das Tagesgespräch und die Fama geschäftig
dieser Stoffe sich bemächtigt und von ihnen zehrt. Wo größeren Interessen
nur dürftige Nahrung gegeben ist, macht sich tue Medisance breit, und üppig
blüht wieder wie in früheren Zeiten jene Gesinnung auf, die nach vorn
die tiefsten Bücklinge macht und sich hinterher durch eine heimliche boshafte
Kritik entschädigt. Dankadressen votirt und Kränze windet, und nachher die her¬
ablassenden Worte, durch die man sich beglückt gefühlt hatte, vielleicht gar als
Gegenstand des Spottes weiter t>ägt, eine Gesinnung, die der Sache der Mon¬
archie schwerlich zuträglich ist, aber vor allem nachtheilig auf den Volksgeist
selbst zurückwirkt.

Ein solcher Zustand ist nun freilich nur möglich bei der Apathie gegen die
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esse sich lange nicht mit den nachbarlichen Vorgängen messen^lcißt. und insbe¬
sondere, daß ihm nicht die mindeste politische Seite abzugewinnen ist. Vor
allem fehlt hier jener Reiz des Romantischen, der dort den jugendlichen Fürsten
umgiebt, der ungebrochenen kühnen Idealität, die sich über das Herkömmliche
hinwegsetzt, von entgegengesetzten Seiten ein größeres Maß von Hoffnungen
und Befürchtungen hervorruft und damit von selbst ein gesteigertes Interesse
in der Bevölkerung, eine wirkliche Parteinahme erweckt. Alles bewegt sich bei
uns ungleich gemessener, nüchterner, in engeren, dem Herkommen möglichst an¬
gepaßten Verhältnissen. Unbekannt ist bei uns jene ideale Energie, die dort
auf dem Gebiet der Kunst kleine Erfolge hervorzaubert, und auch wenn
man ein geschworner Feind der Zukunftsmusik ist, so ist doch verzeihlich der
Neid, mit welchem wir z. B. die Kunde von der Pflege des höheren Dramas
zu Jsar-Athen vernehmen. Der Thalkessel des Nesenbach ist nie eine günstige
Stätte für die Musen gewesen, ein eigener Unstern hat sie hier immer verfolgt,
und grade bei vereinzelten Anläufen zum Besseren hat sich dies jederzeit be¬
währt. Es scheint in unsern Hofkreisen das Bedürfniß wohl gefühlt und guter
Wille vorhanden zu sein, eingerissenen Mißständen und Vernachlässigungen ab¬
zuhelfen, wie denn überhaupt der gute Wille des Königs von keiner Seite in
Zweifel gezogen wird. Aber daß wirklich Eingreifendes geschehe, verhindert
theils der Mangel an nachhaltigem eigenem Interesse, theils, wie es scheint,
die Unzulänglichkeit der Rathgeber. Und weil nun so nichts Bedeutendes, auch
innerhalb der Grenzen, die "dem kleinen Staate gesteckt sind, geschieht, heftet
sich Spott oder Abneigung an das Kleinliche, welches wirtlich zu Tage tritt, an
die Mißgriffe, die vielleicht unbeachtet blieben, wenn sie durch größere Bestre¬
bungen aufgewogen würden. Manches in dieser Richtung hat bekanntlich eine
unwillkommene weite Verbreitung gefunden und die Witzblätter aller Orten
herausgefordert. Leicht ließe sich eine artige Blumenlese zusammenstellen, wenn
nicht grade die Kleinlichkeit der Vorgänge es verböte und zugleich die Galan¬
terie gewisse Pflichten auch wu Publicisten vorschriebe. Aber erklärlich ist es
unter solchen Verhältnissen, wie das Tagesgespräch und die Fama geschäftig
dieser Stoffe sich bemächtigt und von ihnen zehrt. Wo größeren Interessen
nur dürftige Nahrung gegeben ist, macht sich tue Medisance breit, und üppig
blüht wieder wie in früheren Zeiten jene Gesinnung auf, die nach vorn
die tiefsten Bücklinge macht und sich hinterher durch eine heimliche boshafte
Kritik entschädigt. Dankadressen votirt und Kränze windet, und nachher die her¬
ablassenden Worte, durch die man sich beglückt gefühlt hatte, vielleicht gar als
Gegenstand des Spottes weiter t>ägt, eine Gesinnung, die der Sache der Mon¬
archie schwerlich zuträglich ist, aber vor allem nachtheilig auf den Volksgeist
selbst zurückwirkt.

Ein solcher Zustand ist nun freilich nur möglich bei der Apathie gegen die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/159>, abgerufen am 29.06.2024.