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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Sie steckten die Köpfe zusammen und die Lanciers sprachen furchtsam von den
Russen, daraus schlossen wir, daß sie keine guten Briefe hatten.

Es war wieder eine traurige Kirmse gewesen, wir erfuhren während der¬
selben von einer großen Schlacht bei Leipzig und die Leute redeten von nichts
anderem. Da kamen am 22. October fremde bärtige Reiter in das Dorf. Sie
eilten, wie sie alle am liebsten thaten, vor die Pfarre, ihr Oberster stieg ab,
trat in das Haus und nahm nebst seinem Adjutanten eine Erfrischung zu sich;
seine Kosaken aber ließ er alle in der Dorfgasse halten, es war übrigens ein
sehr artiger, guter Mann. Er zog eine Karte vom gothaischen Lande heraus
und ich mußte ihm die nächsten Dörfer zeigen, aus welche er mit seinen Kosaken
zuritt.

Da merkte ich deutlich, daß er den Franzosen, welche stark retirirten, den
Paß verhauen wollte; und so war es auch, denn am andern Morgen, Sonn¬
abend Vormittag, den vierzehnten xost illine., brachten diese Kosaken 600 ge¬
fangene Franzosen bei dem Dorfe vorbei. Sie kamen aber nicht herein, jedoch
mußte die Gemeinde viel" Brod, Wurst, Speck, Branntwein vor das Thor
schaffen, die Gefangnen aber erhielten wenig davon.

Das war der Anfang, er war noch erträglich, aber es wurde schlimmer,
denn auf unserer Straße kamen die Russen heran, während die verbündete
Armee in drei Kolonnen das gothaische Land durchzog. Es war am Abend
gegen 8 Uhr, da hörte ich von meiner Stube aus aus dem Weg hinter dem
Pfarrgarten ein großes Getrappel; ich schlich an das Saalsenster und bald
kam ein Reiter gesprengt, der vor den Fenstern des Schulmeisters, wo Helles
Licht war. still hielt und von ihm Licht forderte und Oeffnung des Hvsthors.
Wie er aber den engen Bezirk des Hofes beim Schulmeister gewahr wurde,
blickte er um sich und erkannte das Pfarrthvr. Er ritt also herüber, leuchtete
über das Thor hin und wurde nach seiner Meinung einen großen Platz gewahr;
sogleich sprengte er wieder zum Dorf hinaus, aber er kehrte auf der Stelle
zurück und mit ihm eine ungeheure Menge Menschen, die alle in den Pfarrhof
eindrangen und durch die Hinterthür ins Haus. Alles schrie durcheinander,
bald hörte ich deutsch, bald französisch, bald eine Sprache, die ich nicht be¬
urtheilen konnte. Als ich in das Haus kam, tönten mir hundert Stimmen in
allen Sprachen entgegen: Wasser, Brod, Bier, Fleisch! Es waren 400 ge¬
fangne Franzosen, darunter 20 Offiziere, die sich gleich der großen Stube be¬
mächtigten, gegenüber in die kleine Stube traten bewaffnete russische Offiziere,
obgleich darin meine arme Frau an einem Nervenfieber gefährlich krank lag.
Um die Pfarre hielten 30--40 Kosaken alle Ausgänge besetzt. Kein Mensch
kann glauben, wie bedrängt ich war; alle wollten haben. Im Augenblick war
alles Genießbare aufgezehrt. Der Banner im Hofe mußte beständig gezogen
Werden, um den Durst dieser Menschen zu stillen, allerlei Gesäße, auch die


Sie steckten die Köpfe zusammen und die Lanciers sprachen furchtsam von den
Russen, daraus schlossen wir, daß sie keine guten Briefe hatten.

Es war wieder eine traurige Kirmse gewesen, wir erfuhren während der¬
selben von einer großen Schlacht bei Leipzig und die Leute redeten von nichts
anderem. Da kamen am 22. October fremde bärtige Reiter in das Dorf. Sie
eilten, wie sie alle am liebsten thaten, vor die Pfarre, ihr Oberster stieg ab,
trat in das Haus und nahm nebst seinem Adjutanten eine Erfrischung zu sich;
seine Kosaken aber ließ er alle in der Dorfgasse halten, es war übrigens ein
sehr artiger, guter Mann. Er zog eine Karte vom gothaischen Lande heraus
und ich mußte ihm die nächsten Dörfer zeigen, aus welche er mit seinen Kosaken
zuritt.

Da merkte ich deutlich, daß er den Franzosen, welche stark retirirten, den
Paß verhauen wollte; und so war es auch, denn am andern Morgen, Sonn¬
abend Vormittag, den vierzehnten xost illine., brachten diese Kosaken 600 ge¬
fangene Franzosen bei dem Dorfe vorbei. Sie kamen aber nicht herein, jedoch
mußte die Gemeinde viel» Brod, Wurst, Speck, Branntwein vor das Thor
schaffen, die Gefangnen aber erhielten wenig davon.

Das war der Anfang, er war noch erträglich, aber es wurde schlimmer,
denn auf unserer Straße kamen die Russen heran, während die verbündete
Armee in drei Kolonnen das gothaische Land durchzog. Es war am Abend
gegen 8 Uhr, da hörte ich von meiner Stube aus aus dem Weg hinter dem
Pfarrgarten ein großes Getrappel; ich schlich an das Saalsenster und bald
kam ein Reiter gesprengt, der vor den Fenstern des Schulmeisters, wo Helles
Licht war. still hielt und von ihm Licht forderte und Oeffnung des Hvsthors.
Wie er aber den engen Bezirk des Hofes beim Schulmeister gewahr wurde,
blickte er um sich und erkannte das Pfarrthvr. Er ritt also herüber, leuchtete
über das Thor hin und wurde nach seiner Meinung einen großen Platz gewahr;
sogleich sprengte er wieder zum Dorf hinaus, aber er kehrte auf der Stelle
zurück und mit ihm eine ungeheure Menge Menschen, die alle in den Pfarrhof
eindrangen und durch die Hinterthür ins Haus. Alles schrie durcheinander,
bald hörte ich deutsch, bald französisch, bald eine Sprache, die ich nicht be¬
urtheilen konnte. Als ich in das Haus kam, tönten mir hundert Stimmen in
allen Sprachen entgegen: Wasser, Brod, Bier, Fleisch! Es waren 400 ge¬
fangne Franzosen, darunter 20 Offiziere, die sich gleich der großen Stube be¬
mächtigten, gegenüber in die kleine Stube traten bewaffnete russische Offiziere,
obgleich darin meine arme Frau an einem Nervenfieber gefährlich krank lag.
Um die Pfarre hielten 30—40 Kosaken alle Ausgänge besetzt. Kein Mensch
kann glauben, wie bedrängt ich war; alle wollten haben. Im Augenblick war
alles Genießbare aufgezehrt. Der Banner im Hofe mußte beständig gezogen
Werden, um den Durst dieser Menschen zu stillen, allerlei Gesäße, auch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/155>, abgerufen am 29.06.2024.