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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Kammertöpfe, die zum Auslüften dastanden, wurden zum Schöpfen und Trinken
gebraucht. Am Tage hatte ich zwei Wagen Weiße Rüden einfahren lassen, die noch
im Hofe vor dem sogenannten Halbkeller oder Türk lagen. Auch diese wurden
verzehrt. Die russischen Offiziere, darunter ein General, forderten durch einen
ihrer Dolmetscher eine ordentliche Mahlzeit, sie forderten nur immer Rank und
Fische. Endlich mußten sie sich doch begnügen lassen und schliefen ein. Alle
Einwohner des Dorfes waren wieder ins Holz geflüchtet und ich war allein in
meiner Noth. Aber welchen Greuel wurde ich gewahr, als ich einen Augen¬
blick Ruhe fand und zu meinem Kammerfenster hinaussah. Da hatten sie mir
meine Gctreidegarben aus der Scheuer getragen und sich auf dem Hofe Lager¬
stätten davon gemacht. Erst hatten sie viele derselben in die Pfützen gelegt und
den Hof trocken gemacht, dann andre Garben oben darauf gebreitet und sich
gelagert. Was nicht dort Platz hatte, war in der Scheuer zwischen die Frucht
gekrochen, so tief als sie hatten kommen können. Viele hatten sich aus diese
Weise versteckt und waren wirklich den Morgen darauf zurückgelassen worden.
Andre hatten sich auf den Futterboden, in die Ställe und sogar in das Hühner¬
haus gelegt. Ihr Erwachen am Morgen in der Dämmerung war eine wahre
Auferstehung von den Todten, wie sie Ezechiel beschreibt.

Kaum brach der Tag an, so wollten wieder alle Gefangne Essen haben,
am gröbsten bedrängten mich die russischen Offiziere. Der Hauptmann zog den
Säbel gegen mich und nöthigte mich in Pantoffeln mitten durch den Morast
des Fahrwegs zu springen, um ihm, wie er sagte, Kochfleisch zu schaffen. Zum
Glück schickte mir der Pachter vom Hofe einen kalten Hasenbraten entgegen,
den ich nahm und wieder zurückging. Kaum konnte ich ihn behalten, denn die
wachhaltenden Kosaken wollten ihn mir nehmen, allein der Hauptmann stand
an der Thür und blickte mir entgegen, da scheuten sie'sich doch etwas. Nun
war es gut, die Offiziere aßen und tranken Wein; um 8 Uhr früh ging es
fort auf Lcuigcnsalze zu. Diese ganze Nacht war das Dorf in größter Gefahr,
angesteckt zu werden. Vor der Schule und den Nachbarhäusern loderten große
Feuer, deren Flamme bis unter die Dächer leckte. In meiner Küche brieten
die Kosaken ihre geraubten Schöpfe, daß das Feuer bis in die Stube schlug.
In die Häuser und die Stuben hatte man Stroh und Garben geschleppt und
sich darauf gelegt und überall brannten Lichter. Auch in dem Holzschuppen
hatte man ein Feuer angemacht, das beinahe an den Boden der daneben be¬
findlichen Kammer anschlug; das alles mußte man ansehn und durfte nichts
wehren.

Am Morgen wurde an kein Kirchengehen gedacht, aber am Nachmittag
hielt ich Kirche und vor dem Altar eine Dankrede, nachdem ich den Psalmen:
Gott ist unsre Zuversicht, verlesen hatte. In den nächsten Tagen ging es in
ähnlicher Weise fort. Große Züge Kosaken! immer brachen ganze Trupps ein,


Kammertöpfe, die zum Auslüften dastanden, wurden zum Schöpfen und Trinken
gebraucht. Am Tage hatte ich zwei Wagen Weiße Rüden einfahren lassen, die noch
im Hofe vor dem sogenannten Halbkeller oder Türk lagen. Auch diese wurden
verzehrt. Die russischen Offiziere, darunter ein General, forderten durch einen
ihrer Dolmetscher eine ordentliche Mahlzeit, sie forderten nur immer Rank und
Fische. Endlich mußten sie sich doch begnügen lassen und schliefen ein. Alle
Einwohner des Dorfes waren wieder ins Holz geflüchtet und ich war allein in
meiner Noth. Aber welchen Greuel wurde ich gewahr, als ich einen Augen¬
blick Ruhe fand und zu meinem Kammerfenster hinaussah. Da hatten sie mir
meine Gctreidegarben aus der Scheuer getragen und sich auf dem Hofe Lager¬
stätten davon gemacht. Erst hatten sie viele derselben in die Pfützen gelegt und
den Hof trocken gemacht, dann andre Garben oben darauf gebreitet und sich
gelagert. Was nicht dort Platz hatte, war in der Scheuer zwischen die Frucht
gekrochen, so tief als sie hatten kommen können. Viele hatten sich aus diese
Weise versteckt und waren wirklich den Morgen darauf zurückgelassen worden.
Andre hatten sich auf den Futterboden, in die Ställe und sogar in das Hühner¬
haus gelegt. Ihr Erwachen am Morgen in der Dämmerung war eine wahre
Auferstehung von den Todten, wie sie Ezechiel beschreibt.

Kaum brach der Tag an, so wollten wieder alle Gefangne Essen haben,
am gröbsten bedrängten mich die russischen Offiziere. Der Hauptmann zog den
Säbel gegen mich und nöthigte mich in Pantoffeln mitten durch den Morast
des Fahrwegs zu springen, um ihm, wie er sagte, Kochfleisch zu schaffen. Zum
Glück schickte mir der Pachter vom Hofe einen kalten Hasenbraten entgegen,
den ich nahm und wieder zurückging. Kaum konnte ich ihn behalten, denn die
wachhaltenden Kosaken wollten ihn mir nehmen, allein der Hauptmann stand
an der Thür und blickte mir entgegen, da scheuten sie'sich doch etwas. Nun
war es gut, die Offiziere aßen und tranken Wein; um 8 Uhr früh ging es
fort auf Lcuigcnsalze zu. Diese ganze Nacht war das Dorf in größter Gefahr,
angesteckt zu werden. Vor der Schule und den Nachbarhäusern loderten große
Feuer, deren Flamme bis unter die Dächer leckte. In meiner Küche brieten
die Kosaken ihre geraubten Schöpfe, daß das Feuer bis in die Stube schlug.
In die Häuser und die Stuben hatte man Stroh und Garben geschleppt und
sich darauf gelegt und überall brannten Lichter. Auch in dem Holzschuppen
hatte man ein Feuer angemacht, das beinahe an den Boden der daneben be¬
findlichen Kammer anschlug; das alles mußte man ansehn und durfte nichts
wehren.

Am Morgen wurde an kein Kirchengehen gedacht, aber am Nachmittag
hielt ich Kirche und vor dem Altar eine Dankrede, nachdem ich den Psalmen:
Gott ist unsre Zuversicht, verlesen hatte. In den nächsten Tagen ging es in
ähnlicher Weise fort. Große Züge Kosaken! immer brachen ganze Trupps ein,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/156>, abgerufen am 29.06.2024.