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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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die Chasseurs angesprengt kamen, hatten ihre Gewehre nach Soldatengebrauch
niedergelegt und steh zu Gefangenen ergeben wollen. Allein der Franzos war
fortgeritten, hatte sie nicht haben wollen, und sie waren sachte durchs Holz
entwichen.

In solcher jämmerlichen Unordnung verging dem Dorf -die Kirmft. Den
dritten Kirmsetag, Donnerstag, war es ganz ruhig bis nach drei Uhr und man
vermuthete, daß alles vorüber sei, mir war es aber nicht so. Ich hatte daher
gleich früh einen Boten mit einem Brief nach Gotha gesandt, gemeldet, wie
es uns gestern gegangen wäre und um Schutz gebeten. Der Bote war kaum
zurück, als die Leute abermals von der Windmühle hergelaufen kamen und
neue Züge von Franzosen zu Fuß von Witterda her ankündigten. Alles floh
wieder ins Holz-. Weiber, Kinder, auch die Männer und das Vieh. Ich ver-
riegelte meine Thüre und erwartete am Fenster, was bevorstand. Es waren
leichte Truppen, die man damals Voltigeurs nannte; sie kamen auch unordent¬
lich durcheinander ins Dorf gesprungen, Menschen in Röcken von allen Farben
und Mustern, schlecht und zerlumpt gekleidet. Die ersten, die immer auch die
ersten vor der Pfarrwohnung waren, wie bei diesen Menschen unchristlicher
Brauch ist, forderten aufzuthun, und da ich dieses verweigerte, schlugen auch sie
ihre Flinten gegen das Fenster an, wo ich stand. Ich machte also, nachdem meine
Leute geflohen waren, die Thür auf; ich wollte mit ihnen reden, allein sie
hielten nicht Stand, gingen, ohne mich anzusehen, auf die im Hause stehen,
den Schränke los, öffneten sie, da grade die Schlüssel darin steckten, drangen in
Stuben und Kammern und wollten Kommoden und Koffer zerschlagen. Um
dieses zu verhindern, öffnete ich und meine Frau alles und ließ nehmen was
sie wollten. Es ging jeder fleißig über Wäsche, Kleider, seidene Tücher her.
Die vordersten nahmen das Beste, die andern wühlten heraus, was sie noch
brauchen konnten. Stets waren dieser Menschen zwanzig bis dreißig in allen
Stuben, Kammern und Kellern, und was sie in den Kellern fanden, war ihnen
das Allerliebste, weil sie es genießen konnten. Wenn ein Transport fort war,
so kam ein anderer, und so ging es bis auf den Abend. Da erschien ein Trupp
Reiter von fünfzehn bis sechszehn Mann mit einem Offizier vor dem Hofthor,
sie sprangen ab und führten ihre Pferde ein und brachten sie unter, wo sie
konnten, kamen herein und forderten Essen, jagten aber die Boltigeurs weg,
riegelten die Thüren zu und ließen keinen mehr herein.

Da die Vorigen alles, was zu genießen war, genommen hatten, so
konnte diesen Neuen weiter nichts als Kartoffeln angeboten werden. Diese
wurden daher gekocht und zum Theil so gegessen, zum Theil in Suppen ge¬
rührt. Sie selbst hatten dreizehn Hühner mitgebracht, schwerlich waren diese
bezahlt; deren mußten gleich fünf gekocht werden, und daraus bestand ihre
Mahlzeit. Kaum hatten sich diese Menschen nach neun Uhr niedergelegt, als


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die Chasseurs angesprengt kamen, hatten ihre Gewehre nach Soldatengebrauch
niedergelegt und steh zu Gefangenen ergeben wollen. Allein der Franzos war
fortgeritten, hatte sie nicht haben wollen, und sie waren sachte durchs Holz
entwichen.

In solcher jämmerlichen Unordnung verging dem Dorf -die Kirmft. Den
dritten Kirmsetag, Donnerstag, war es ganz ruhig bis nach drei Uhr und man
vermuthete, daß alles vorüber sei, mir war es aber nicht so. Ich hatte daher
gleich früh einen Boten mit einem Brief nach Gotha gesandt, gemeldet, wie
es uns gestern gegangen wäre und um Schutz gebeten. Der Bote war kaum
zurück, als die Leute abermals von der Windmühle hergelaufen kamen und
neue Züge von Franzosen zu Fuß von Witterda her ankündigten. Alles floh
wieder ins Holz-. Weiber, Kinder, auch die Männer und das Vieh. Ich ver-
riegelte meine Thüre und erwartete am Fenster, was bevorstand. Es waren
leichte Truppen, die man damals Voltigeurs nannte; sie kamen auch unordent¬
lich durcheinander ins Dorf gesprungen, Menschen in Röcken von allen Farben
und Mustern, schlecht und zerlumpt gekleidet. Die ersten, die immer auch die
ersten vor der Pfarrwohnung waren, wie bei diesen Menschen unchristlicher
Brauch ist, forderten aufzuthun, und da ich dieses verweigerte, schlugen auch sie
ihre Flinten gegen das Fenster an, wo ich stand. Ich machte also, nachdem meine
Leute geflohen waren, die Thür auf; ich wollte mit ihnen reden, allein sie
hielten nicht Stand, gingen, ohne mich anzusehen, auf die im Hause stehen,
den Schränke los, öffneten sie, da grade die Schlüssel darin steckten, drangen in
Stuben und Kammern und wollten Kommoden und Koffer zerschlagen. Um
dieses zu verhindern, öffnete ich und meine Frau alles und ließ nehmen was
sie wollten. Es ging jeder fleißig über Wäsche, Kleider, seidene Tücher her.
Die vordersten nahmen das Beste, die andern wühlten heraus, was sie noch
brauchen konnten. Stets waren dieser Menschen zwanzig bis dreißig in allen
Stuben, Kammern und Kellern, und was sie in den Kellern fanden, war ihnen
das Allerliebste, weil sie es genießen konnten. Wenn ein Transport fort war,
so kam ein anderer, und so ging es bis auf den Abend. Da erschien ein Trupp
Reiter von fünfzehn bis sechszehn Mann mit einem Offizier vor dem Hofthor,
sie sprangen ab und führten ihre Pferde ein und brachten sie unter, wo sie
konnten, kamen herein und forderten Essen, jagten aber die Boltigeurs weg,
riegelten die Thüren zu und ließen keinen mehr herein.

Da die Vorigen alles, was zu genießen war, genommen hatten, so
konnte diesen Neuen weiter nichts als Kartoffeln angeboten werden. Diese
wurden daher gekocht und zum Theil so gegessen, zum Theil in Suppen ge¬
rührt. Sie selbst hatten dreizehn Hühner mitgebracht, schwerlich waren diese
bezahlt; deren mußten gleich fünf gekocht werden, und daraus bestand ihre
Mahlzeit. Kaum hatten sich diese Menschen nach neun Uhr niedergelegt, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/151>, abgerufen am 29.06.2024.