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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Endlich kam einer von den Ersten zurück, trank jun Reiten an einer Bouteille
Branntwein, gab auch den Anderen und dann ritten alle fort. Nun sahen
wir für heute keine Franzosen mehr.

Die Inwohner waren fast alle ins Holz geflüchtet und kein Mensch mehr
im Orte als ich, der Pachter und der Schulmeister. Ueber alle diese Begeben¬
heiten war es Nacht geworden. Ich setzte mich mit. meinem Freund, der sich
beständig im Hause gehalten hatte, tief bekümmert nieder, um ein wenig Nacht-
brvd zu essen, was ohne Gefahr gegen 8 Uhr geschah. Auf einmal hörten
wir wieder ein großes Pferdegetrappel. Ich lief ans Saalfenster, konnte aber
wegen Dunkelheit der Nacht nichts erkennen und erfuhr einen Augenblick nach¬
her, daß es zwei Escadrons preußische Reiter waren, von welchen ich 2
Lieutenants und 8 Reiter ins Quartier bekam. Mein Freund meinte, dieses
wäre ein sehr gutes Ereigniß. ich hielt es aber für ein sehr böses. Denn es
waren die heutigen Chasseurs vor ihnen, und in Witterda waren, wie ich
wußte, auch Franzosen. Sie konnten Nachricht davon erhalten und in der
Nacht die Preußen hier angreifen, dann gab es ein Gefecht in der Pfarre, was
kein friedlicher Mensch wünschen konnte. Die Preußen hatten sich von Erfurt
aus hierher verirrt, und waren über Töttelstadt zu uns herabgekommen. Sie
waren erstaunt und voll Sorge, so daß auch die Offiziere durch den Wacht¬
meister keinen Reiter bewegen konnten, vor dem Thore Wache zu halten. Die
Offiziere nahmen kein Bett, sondern legten sich mit ihren Reitern auf die Streu,
die ich für alle in der kleinen Stube mußte machen lassen und befahlen den
andern Morgen Punkt 2 Uhr geweckt zu sein. Da ich dieses keinem von
meinem Gesinde überlassen konnte, so blieb ich selbst aus. Ich ging in meiner
Stube auf und ab, sah in die Nacht hinaus und hörte nach jedem Geräusch,
ich dachte über den Weltlauf und befahl uns alle Gott, auch die armen müden
Preußen unter mir. Dadurch erwehrte ich mich des Kleinmuths und ging mit
dem Glockenschlag zwei hinab. Als ich sie fest schlafend und schnarchend antraf
und daher mit einer etwas starken Stimme rufen mußte: meine Herrn, es hat
zwei geschlagen, so stand gleich die Reihe großer langer Männer wie von einer
Stahlfeder in die Höhe geschnellt vor mir aus den Beinen. Sie fütterten, aßen
das Morgenbrot und ritten 3 Uhr, da es kaum Morgen werden wollte, nach
Fahnern zu fort. In Fahnern hatten sie nur unsere Chasseurs des vorigen
Tages angetroffen, einige erschossen und die andern zersprengt, sich aber nicht
lange damit aufgehalten.

Einige preußische Jnfanteristen, die bei der gestrigen Retirade Vormittags
hier in die Häuser gedrungen und sich zu essen und zu trinken hatten geben
lassen, waren in dieser Nacht selbst ihren einquartirten Kameraden, den Reitern,
unbemerkt geblieben, und erst diesen folgenden Tag durch das Holz entwichen.
Sechs bis acht, die sich gestern noch bei einem Nachbar befunden hatten, als


Endlich kam einer von den Ersten zurück, trank jun Reiten an einer Bouteille
Branntwein, gab auch den Anderen und dann ritten alle fort. Nun sahen
wir für heute keine Franzosen mehr.

Die Inwohner waren fast alle ins Holz geflüchtet und kein Mensch mehr
im Orte als ich, der Pachter und der Schulmeister. Ueber alle diese Begeben¬
heiten war es Nacht geworden. Ich setzte mich mit. meinem Freund, der sich
beständig im Hause gehalten hatte, tief bekümmert nieder, um ein wenig Nacht-
brvd zu essen, was ohne Gefahr gegen 8 Uhr geschah. Auf einmal hörten
wir wieder ein großes Pferdegetrappel. Ich lief ans Saalfenster, konnte aber
wegen Dunkelheit der Nacht nichts erkennen und erfuhr einen Augenblick nach¬
her, daß es zwei Escadrons preußische Reiter waren, von welchen ich 2
Lieutenants und 8 Reiter ins Quartier bekam. Mein Freund meinte, dieses
wäre ein sehr gutes Ereigniß. ich hielt es aber für ein sehr böses. Denn es
waren die heutigen Chasseurs vor ihnen, und in Witterda waren, wie ich
wußte, auch Franzosen. Sie konnten Nachricht davon erhalten und in der
Nacht die Preußen hier angreifen, dann gab es ein Gefecht in der Pfarre, was
kein friedlicher Mensch wünschen konnte. Die Preußen hatten sich von Erfurt
aus hierher verirrt, und waren über Töttelstadt zu uns herabgekommen. Sie
waren erstaunt und voll Sorge, so daß auch die Offiziere durch den Wacht¬
meister keinen Reiter bewegen konnten, vor dem Thore Wache zu halten. Die
Offiziere nahmen kein Bett, sondern legten sich mit ihren Reitern auf die Streu,
die ich für alle in der kleinen Stube mußte machen lassen und befahlen den
andern Morgen Punkt 2 Uhr geweckt zu sein. Da ich dieses keinem von
meinem Gesinde überlassen konnte, so blieb ich selbst aus. Ich ging in meiner
Stube auf und ab, sah in die Nacht hinaus und hörte nach jedem Geräusch,
ich dachte über den Weltlauf und befahl uns alle Gott, auch die armen müden
Preußen unter mir. Dadurch erwehrte ich mich des Kleinmuths und ging mit
dem Glockenschlag zwei hinab. Als ich sie fest schlafend und schnarchend antraf
und daher mit einer etwas starken Stimme rufen mußte: meine Herrn, es hat
zwei geschlagen, so stand gleich die Reihe großer langer Männer wie von einer
Stahlfeder in die Höhe geschnellt vor mir aus den Beinen. Sie fütterten, aßen
das Morgenbrot und ritten 3 Uhr, da es kaum Morgen werden wollte, nach
Fahnern zu fort. In Fahnern hatten sie nur unsere Chasseurs des vorigen
Tages angetroffen, einige erschossen und die andern zersprengt, sich aber nicht
lange damit aufgehalten.

Einige preußische Jnfanteristen, die bei der gestrigen Retirade Vormittags
hier in die Häuser gedrungen und sich zu essen und zu trinken hatten geben
lassen, waren in dieser Nacht selbst ihren einquartirten Kameraden, den Reitern,
unbemerkt geblieben, und erst diesen folgenden Tag durch das Holz entwichen.
Sechs bis acht, die sich gestern noch bei einem Nachbar befunden hatten, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/150>, abgerufen am 29.06.2024.