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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Zug machte Anstalt, durch den Garten und das Haus einzubrechen, und hatte
zu dem Ende die Staketen niedergelegt, was ich aber durch meine Erscheinung
im Garten verhinderte.

In dieser Verwirrung kam auch mein Freund, der Herr Legat.-Rath.......
zu mir geflohen mit drei Pferden und einer Kutsche, klagte und weinte, daß
Weimar angesteckt sei und sein Comptoir wohl nun gänzlich in Asche liegen
würde; er sei entflohen, sowie der Feind der Preußen eingedrungen sei.

Nach 1 Uhr hörten die Durcdzüge der Flüchtigen auf, es waren aber noch
viele zurückgeblieben und halten sich in den Häusern, Scheunen und Ställen
versteckt. Nun aßen wir etwas in voller Angst und verschlossen unsere Thüren
am Hause und im Hose. Auf einmal hörten wir das Geschrei von laufenden
Einwohnern: jetzt kommen die Franzosen von der Windmühle her! Ich sah
zum Saalfenster hinaus und wurde 10 bis 12 Chasseurs gewahr, die ange¬
sprengt kamen, ihre Augen von ferne schon auf die Pfarrwohnung richteten,
und als sie näher kamen, riefen: Geld, Geld -- das einzige Wort, so sie
deutsch deutlich auszusprechen wußten.

Da sie sich alle unter dem Fenster versammelten und durcheinanderreitend
mit großem Lärmen jene Worte wiedeihollen, so wagte ich es endlich, ging
hinunter in die große Stube und sagte ihnen zum Fenster hinaus, daß ich kein
Geld hätte. Sie schlugen alsogleich ihre Gewehre auf mich an, und einer hieb das
Fenster ein. Hierauf hieß ich sie ruhig bleiben und versprach ihnen welches zu
suchen, holte, was ich hatte und sing an auszutheilen. Nachdem ich ihnen etwa
40 Thaler in 20 Kreuzer-Stücken ausgetheilt hatte, so sagte ich ihnen abermals,
daß ich nun kein Geld mehr hätte. Da ging der Lärm aufs neue an. Ich
gab ihnen also auch, was ich noch an Conventions- und Laubthalern und
1 Louisdor in eurem seidenen Beutel hatte und 10 Thaler in Silber, zusammen
über 80 Thaler. Sie kamen einer nach dem andern unter das Fenster geritten
und empfingen es wie die Jungen, die das Neuejahr singen. Als ich ihnen
nun kein Geld mehr geben konnte, sprangen fünf bis sechs von ihren Pferden
und stießen mit ihren Karabinern an die Hausthmc, um sie auszusprengen. Ich
rief ihnen zu, sie sollten es sei" lassen, ich wollte aufmachen, und ich that es.
Gleich sielen vier bis fünf mit aufgehobenen Säbel" über mich her und wollten
mich niederhauen, wenn ich ihnen nicht noch 30 Louisdor gäbe. Diese Wuth
brachte mich beinahe zur Verzweiflung. Ich antwortete ihnen in starkem Ton,
daß ich ihnen gegeben, was ich gehabt hätte, ich hätte weiter nichts als mein
Leben, wollten sie das, so sollten sie zuHacken. Bisher hätte ich geglaubt, die
Franzosen wären brave Krieger, sollte ich dieses fortglauben, so möchten sie
mich nicht mißHandel". Unter diesen Reden hatte ich bemerkt, daß einer von
ihnen, der aus der Seite stand und sich ganz stille betrug, vielleicht ein Unter¬
offizier sei, ich wendete mich also an diesen und sagte: ich hielte ihn für einen


Zug machte Anstalt, durch den Garten und das Haus einzubrechen, und hatte
zu dem Ende die Staketen niedergelegt, was ich aber durch meine Erscheinung
im Garten verhinderte.

In dieser Verwirrung kam auch mein Freund, der Herr Legat.-Rath.......
zu mir geflohen mit drei Pferden und einer Kutsche, klagte und weinte, daß
Weimar angesteckt sei und sein Comptoir wohl nun gänzlich in Asche liegen
würde; er sei entflohen, sowie der Feind der Preußen eingedrungen sei.

Nach 1 Uhr hörten die Durcdzüge der Flüchtigen auf, es waren aber noch
viele zurückgeblieben und halten sich in den Häusern, Scheunen und Ställen
versteckt. Nun aßen wir etwas in voller Angst und verschlossen unsere Thüren
am Hause und im Hose. Auf einmal hörten wir das Geschrei von laufenden
Einwohnern: jetzt kommen die Franzosen von der Windmühle her! Ich sah
zum Saalfenster hinaus und wurde 10 bis 12 Chasseurs gewahr, die ange¬
sprengt kamen, ihre Augen von ferne schon auf die Pfarrwohnung richteten,
und als sie näher kamen, riefen: Geld, Geld — das einzige Wort, so sie
deutsch deutlich auszusprechen wußten.

Da sie sich alle unter dem Fenster versammelten und durcheinanderreitend
mit großem Lärmen jene Worte wiedeihollen, so wagte ich es endlich, ging
hinunter in die große Stube und sagte ihnen zum Fenster hinaus, daß ich kein
Geld hätte. Sie schlugen alsogleich ihre Gewehre auf mich an, und einer hieb das
Fenster ein. Hierauf hieß ich sie ruhig bleiben und versprach ihnen welches zu
suchen, holte, was ich hatte und sing an auszutheilen. Nachdem ich ihnen etwa
40 Thaler in 20 Kreuzer-Stücken ausgetheilt hatte, so sagte ich ihnen abermals,
daß ich nun kein Geld mehr hätte. Da ging der Lärm aufs neue an. Ich
gab ihnen also auch, was ich noch an Conventions- und Laubthalern und
1 Louisdor in eurem seidenen Beutel hatte und 10 Thaler in Silber, zusammen
über 80 Thaler. Sie kamen einer nach dem andern unter das Fenster geritten
und empfingen es wie die Jungen, die das Neuejahr singen. Als ich ihnen
nun kein Geld mehr geben konnte, sprangen fünf bis sechs von ihren Pferden
und stießen mit ihren Karabinern an die Hausthmc, um sie auszusprengen. Ich
rief ihnen zu, sie sollten es sei» lassen, ich wollte aufmachen, und ich that es.
Gleich sielen vier bis fünf mit aufgehobenen Säbel» über mich her und wollten
mich niederhauen, wenn ich ihnen nicht noch 30 Louisdor gäbe. Diese Wuth
brachte mich beinahe zur Verzweiflung. Ich antwortete ihnen in starkem Ton,
daß ich ihnen gegeben, was ich gehabt hätte, ich hätte weiter nichts als mein
Leben, wollten sie das, so sollten sie zuHacken. Bisher hätte ich geglaubt, die
Franzosen wären brave Krieger, sollte ich dieses fortglauben, so möchten sie
mich nicht mißHandel». Unter diesen Reden hatte ich bemerkt, daß einer von
ihnen, der aus der Seite stand und sich ganz stille betrug, vielleicht ein Unter¬
offizier sei, ich wendete mich also an diesen und sagte: ich hielte ihn für einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/148>, abgerufen am 29.06.2024.