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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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von Großfahner aus erfuhr, wo sie, ihr Schnupftuch vor die Augen drückend,
nur so lange hatte anhalten lassen, bis ihr ein Glas frischer Brunnen zum
Trinken hatte gereicht werden können. Sie hatte dann schnell ihren Weg über
Langensalza wieder fortgesetzt. Wir sahen dem Wagen nach, so lange wir
konnten. Ich konnte meinen um mich stehenden Beichtkindern keinen andern
Trost geben, als den sehr traurigen, daß sie dort die Königin von Preußen,
so jung und schön, fliehen sähen und die Schlacht für die Preußen verloren
sein müsse. Das Unglück hatte die Großen getroffen, es sollte auch über uns
kommen.

Der Nachmittag ging traurig vorüber, und es wurde an keine Kirmselustig-
teit gedacht, der Abend kam heran, ohne daß man weiter etwas sah oder hörte.
Meine Frau und Kinder gingen zur Veränderung auf den Gutshof zum Pach¬
ter, ich blieb auf meiner Studirstube.

Gegen neun Uhr kam meine Magd aus der untern Stube herauf und
meldete mir, daß sie am Fenster ein großes Lärmen im Felde höre und mit¬
unter Licht wahrnehme. Ich ging an das Saatfenstec und sah und hörte es
gleichfalls. Im Orte hatten sich vermuthlich die meisten Einwohner aus Kum¬
mer und Angst ins Bette gelegt, denn ich sah kein Licht in der ganzen Gasse;
ich hieß also wecken und erinnern, man möchte auf seiner Hut sein, die Thurm¬
uhr stille stehen lassen, damit sie nicht schlüge und die Hunde einsperren, damit
sie nicht bellten, und damit die Soldaten nicht hörten, daß in der Nähe ein
Dorf sei. Als die Meinigen nach Hause kamen, ging mein Sohn, der Arzt,
der eben von Gotha mich zu besuchen gekommen war, mit einigen Burschen
nach der ersurtschen Straße hin, wo der Lärm am größten war. und indem
er sich so nahe geschlichen, als er in der Dunkelheit konnte, so bemerkte er,
daß es nur Fuhrwerk war, das von der Armee der Preußen retirirte. Wie
es endlich Tag wurde, hatte sich der Troß und Haufen verstärkt; es kamen nun
auch Soldaten zu Fuß und zu Pferde, verwundete und gesunde, und alles
ging in schnellster Eile in zwei, drei Zügen nebeneinander auf der Straße fort.
Es war erbärmlich anzusehen, ich hatte mich gegen acht Uhr hinausgewagt und
Erkundigung von ihnen einziehen wollen, aber man antwortete mir kaum.

Als ich wieder um zehn Uhr nach Hause kam, fand ich einen andern Zug,
aber nur von Soldaten zu Pferde und zu Fuß und Packpferde, der von Erfurt
über Tvttelstädt herab durch den hiesigen Ort zog und zum Theil sich in die
Häuser einquartirte, wo und wie viel sie konnten, manche mit Vorsätzen zu
Plündern, was ihnen wohl der nachsetzende Feind nicht zuließ. Essen und
Trinken mußte ihnen aber gegeben werden, und das gab man auch gern.

Ich fand mein Haus voll, meistentheils von Bedienten mit einigen Pack-
Pferden der Herren Offiziere, die ich im Quartier gehabt hatte, von deren einem
ich auch erfuhr, daß er gleich anfangs in der Bataille geblieben sei. Dieser


von Großfahner aus erfuhr, wo sie, ihr Schnupftuch vor die Augen drückend,
nur so lange hatte anhalten lassen, bis ihr ein Glas frischer Brunnen zum
Trinken hatte gereicht werden können. Sie hatte dann schnell ihren Weg über
Langensalza wieder fortgesetzt. Wir sahen dem Wagen nach, so lange wir
konnten. Ich konnte meinen um mich stehenden Beichtkindern keinen andern
Trost geben, als den sehr traurigen, daß sie dort die Königin von Preußen,
so jung und schön, fliehen sähen und die Schlacht für die Preußen verloren
sein müsse. Das Unglück hatte die Großen getroffen, es sollte auch über uns
kommen.

Der Nachmittag ging traurig vorüber, und es wurde an keine Kirmselustig-
teit gedacht, der Abend kam heran, ohne daß man weiter etwas sah oder hörte.
Meine Frau und Kinder gingen zur Veränderung auf den Gutshof zum Pach¬
ter, ich blieb auf meiner Studirstube.

Gegen neun Uhr kam meine Magd aus der untern Stube herauf und
meldete mir, daß sie am Fenster ein großes Lärmen im Felde höre und mit¬
unter Licht wahrnehme. Ich ging an das Saatfenstec und sah und hörte es
gleichfalls. Im Orte hatten sich vermuthlich die meisten Einwohner aus Kum¬
mer und Angst ins Bette gelegt, denn ich sah kein Licht in der ganzen Gasse;
ich hieß also wecken und erinnern, man möchte auf seiner Hut sein, die Thurm¬
uhr stille stehen lassen, damit sie nicht schlüge und die Hunde einsperren, damit
sie nicht bellten, und damit die Soldaten nicht hörten, daß in der Nähe ein
Dorf sei. Als die Meinigen nach Hause kamen, ging mein Sohn, der Arzt,
der eben von Gotha mich zu besuchen gekommen war, mit einigen Burschen
nach der ersurtschen Straße hin, wo der Lärm am größten war. und indem
er sich so nahe geschlichen, als er in der Dunkelheit konnte, so bemerkte er,
daß es nur Fuhrwerk war, das von der Armee der Preußen retirirte. Wie
es endlich Tag wurde, hatte sich der Troß und Haufen verstärkt; es kamen nun
auch Soldaten zu Fuß und zu Pferde, verwundete und gesunde, und alles
ging in schnellster Eile in zwei, drei Zügen nebeneinander auf der Straße fort.
Es war erbärmlich anzusehen, ich hatte mich gegen acht Uhr hinausgewagt und
Erkundigung von ihnen einziehen wollen, aber man antwortete mir kaum.

Als ich wieder um zehn Uhr nach Hause kam, fand ich einen andern Zug,
aber nur von Soldaten zu Pferde und zu Fuß und Packpferde, der von Erfurt
über Tvttelstädt herab durch den hiesigen Ort zog und zum Theil sich in die
Häuser einquartirte, wo und wie viel sie konnten, manche mit Vorsätzen zu
Plündern, was ihnen wohl der nachsetzende Feind nicht zuließ. Essen und
Trinken mußte ihnen aber gegeben werden, und das gab man auch gern.

Ich fand mein Haus voll, meistentheils von Bedienten mit einigen Pack-
Pferden der Herren Offiziere, die ich im Quartier gehabt hatte, von deren einem
ich auch erfuhr, daß er gleich anfangs in der Bataille geblieben sei. Dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/147>, abgerufen am 29.06.2024.