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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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große geschichtliche Katastrophen im Horizont eines Dorfes erhalten. 'Der Be¬
richt ist Auszug*aus einer Chronik, die der Pfarrer des gothaischen Ortes
Kleinfahner, über seine und seiner Gemeinde Erlebnisse in den Kriegsjahren
von 1806 und 1813 verfaßt hat. Er beginnt:

Nach dem siebenjährigen Kriege blieb es im Ganzen ruhig bis 1806 im
September, während im Ausland theilweise schwere Jahre waren, durch das
französische Revolutionswesen und Napoleon. Aber im September 1806 kün¬
digte der Preuße dem Franzosen einen Krieg an, wie es hieß deswegen, weil
der Franzose seine Truppen nicht von deutschem Grund und Boden wegziehen
wollte, Preußen erschien mit vielen Truppen in hiesiger Gegend, die immer
hin- und Herzogen und oft schnell und kurz einquartirt wurden. Es war, wie
man berichtet wurde, der linke Flügel des preußischen Heeres unter Rüchel.
welcher sich dem Kurfürsten von Hessen anschließen sollte, aber als dieser die
Betheiligung an dem Kriege gegen Napoleon abgelehnt hatte, zur Verstärkung
der preußischen Hauptmacht zurückkehrte.

Den 10. Ocrober erhielten wir in Kleinfahner gleichfalls eine große
Menge Preußen ganz unvermuthet; es war seit langer Zeit die erste Einquar¬
tierung im Dorfe, und die Leute liefen verwundert zusammen, Alt und Jung,
und erstaunten über die Menge Reiter und Pferde. Ich bekam 2 Lieutenants
mit S Personen und 14 Pferden, die alle zur Equipage der beiden Lieutenants
und ihrer bedienenden Leute und Dragoner gehörten. Diese beiden Herren
Lieutenants redeten, bis sie im Bette lagen, immerzu davon, wie sie in wenig
Tagen die Franzosen klopfen würden. Und eben an diesem Freitag waren lei¬
der die Preußen schon bei Saalfeld von den Franzosen geschlagen. So ist
das Leben voll von Täuschung.

Sie marschirten Sonnabend nach Erfurt über Bienstädt ab, und nun hörte
man einige Tage nichts mehr von Soldaten. AVer wir sahen jetzt, daß der
Krieg nahe war. Man lebte in der bangsten Erwartung bis zum 17. desselben
Monats, an welchem wir grade unsre Kirmse feierten. Kaum war die Kirche
aus. als viele Menschen zum Thor hinaus und auf den Kirchberg liefen, wo
man nach Jena zu stark schießen hörte. Ich ging gleichfalls auf diesen Berg,
um mich genau davon zu überzeugen, und hörte in der Ferne den Kanonendonner
und das Feuern aus dem kleinen Gewehr. Indem ich mit vielen Gemeinde¬
gliedern so dastand und nach jener Gegend traurig hinsah, wurde ich auf der
Straße nach Erfurt, die durch unsere Flur hingeht, eine Kutsche mit sechs
Pferden bespannt gewahr. Um sie und aus beiden Seiten, hinten und vorn,
sah ich Reiter, deren gezogene Schwerter ihren Glanz bis zu uns herwarfen.
Ich vermuthete gleich, daß dies die fliehende Königin von Preußen sein möchte,
von der ich wußte, daß sie sich bei ihrem Gemahl in Erfurt und zuletzt in
Weimar aufgehalten hatte, und wirklich war sie es gewesen, wie ich Nachmittag


große geschichtliche Katastrophen im Horizont eines Dorfes erhalten. 'Der Be¬
richt ist Auszug*aus einer Chronik, die der Pfarrer des gothaischen Ortes
Kleinfahner, über seine und seiner Gemeinde Erlebnisse in den Kriegsjahren
von 1806 und 1813 verfaßt hat. Er beginnt:

Nach dem siebenjährigen Kriege blieb es im Ganzen ruhig bis 1806 im
September, während im Ausland theilweise schwere Jahre waren, durch das
französische Revolutionswesen und Napoleon. Aber im September 1806 kün¬
digte der Preuße dem Franzosen einen Krieg an, wie es hieß deswegen, weil
der Franzose seine Truppen nicht von deutschem Grund und Boden wegziehen
wollte, Preußen erschien mit vielen Truppen in hiesiger Gegend, die immer
hin- und Herzogen und oft schnell und kurz einquartirt wurden. Es war, wie
man berichtet wurde, der linke Flügel des preußischen Heeres unter Rüchel.
welcher sich dem Kurfürsten von Hessen anschließen sollte, aber als dieser die
Betheiligung an dem Kriege gegen Napoleon abgelehnt hatte, zur Verstärkung
der preußischen Hauptmacht zurückkehrte.

Den 10. Ocrober erhielten wir in Kleinfahner gleichfalls eine große
Menge Preußen ganz unvermuthet; es war seit langer Zeit die erste Einquar¬
tierung im Dorfe, und die Leute liefen verwundert zusammen, Alt und Jung,
und erstaunten über die Menge Reiter und Pferde. Ich bekam 2 Lieutenants
mit S Personen und 14 Pferden, die alle zur Equipage der beiden Lieutenants
und ihrer bedienenden Leute und Dragoner gehörten. Diese beiden Herren
Lieutenants redeten, bis sie im Bette lagen, immerzu davon, wie sie in wenig
Tagen die Franzosen klopfen würden. Und eben an diesem Freitag waren lei¬
der die Preußen schon bei Saalfeld von den Franzosen geschlagen. So ist
das Leben voll von Täuschung.

Sie marschirten Sonnabend nach Erfurt über Bienstädt ab, und nun hörte
man einige Tage nichts mehr von Soldaten. AVer wir sahen jetzt, daß der
Krieg nahe war. Man lebte in der bangsten Erwartung bis zum 17. desselben
Monats, an welchem wir grade unsre Kirmse feierten. Kaum war die Kirche
aus. als viele Menschen zum Thor hinaus und auf den Kirchberg liefen, wo
man nach Jena zu stark schießen hörte. Ich ging gleichfalls auf diesen Berg,
um mich genau davon zu überzeugen, und hörte in der Ferne den Kanonendonner
und das Feuern aus dem kleinen Gewehr. Indem ich mit vielen Gemeinde¬
gliedern so dastand und nach jener Gegend traurig hinsah, wurde ich auf der
Straße nach Erfurt, die durch unsere Flur hingeht, eine Kutsche mit sechs
Pferden bespannt gewahr. Um sie und aus beiden Seiten, hinten und vorn,
sah ich Reiter, deren gezogene Schwerter ihren Glanz bis zu uns herwarfen.
Ich vermuthete gleich, daß dies die fliehende Königin von Preußen sein möchte,
von der ich wußte, daß sie sich bei ihrem Gemahl in Erfurt und zuletzt in
Weimar aufgehalten hatte, und wirklich war sie es gewesen, wie ich Nachmittag


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[0146] große geschichtliche Katastrophen im Horizont eines Dorfes erhalten. 'Der Be¬ richt ist Auszug*aus einer Chronik, die der Pfarrer des gothaischen Ortes Kleinfahner, über seine und seiner Gemeinde Erlebnisse in den Kriegsjahren von 1806 und 1813 verfaßt hat. Er beginnt: Nach dem siebenjährigen Kriege blieb es im Ganzen ruhig bis 1806 im September, während im Ausland theilweise schwere Jahre waren, durch das französische Revolutionswesen und Napoleon. Aber im September 1806 kün¬ digte der Preuße dem Franzosen einen Krieg an, wie es hieß deswegen, weil der Franzose seine Truppen nicht von deutschem Grund und Boden wegziehen wollte, Preußen erschien mit vielen Truppen in hiesiger Gegend, die immer hin- und Herzogen und oft schnell und kurz einquartirt wurden. Es war, wie man berichtet wurde, der linke Flügel des preußischen Heeres unter Rüchel. welcher sich dem Kurfürsten von Hessen anschließen sollte, aber als dieser die Betheiligung an dem Kriege gegen Napoleon abgelehnt hatte, zur Verstärkung der preußischen Hauptmacht zurückkehrte. Den 10. Ocrober erhielten wir in Kleinfahner gleichfalls eine große Menge Preußen ganz unvermuthet; es war seit langer Zeit die erste Einquar¬ tierung im Dorfe, und die Leute liefen verwundert zusammen, Alt und Jung, und erstaunten über die Menge Reiter und Pferde. Ich bekam 2 Lieutenants mit S Personen und 14 Pferden, die alle zur Equipage der beiden Lieutenants und ihrer bedienenden Leute und Dragoner gehörten. Diese beiden Herren Lieutenants redeten, bis sie im Bette lagen, immerzu davon, wie sie in wenig Tagen die Franzosen klopfen würden. Und eben an diesem Freitag waren lei¬ der die Preußen schon bei Saalfeld von den Franzosen geschlagen. So ist das Leben voll von Täuschung. Sie marschirten Sonnabend nach Erfurt über Bienstädt ab, und nun hörte man einige Tage nichts mehr von Soldaten. AVer wir sahen jetzt, daß der Krieg nahe war. Man lebte in der bangsten Erwartung bis zum 17. desselben Monats, an welchem wir grade unsre Kirmse feierten. Kaum war die Kirche aus. als viele Menschen zum Thor hinaus und auf den Kirchberg liefen, wo man nach Jena zu stark schießen hörte. Ich ging gleichfalls auf diesen Berg, um mich genau davon zu überzeugen, und hörte in der Ferne den Kanonendonner und das Feuern aus dem kleinen Gewehr. Indem ich mit vielen Gemeinde¬ gliedern so dastand und nach jener Gegend traurig hinsah, wurde ich auf der Straße nach Erfurt, die durch unsere Flur hingeht, eine Kutsche mit sechs Pferden bespannt gewahr. Um sie und aus beiden Seiten, hinten und vorn, sah ich Reiter, deren gezogene Schwerter ihren Glanz bis zu uns herwarfen. Ich vermuthete gleich, daß dies die fliehende Königin von Preußen sein möchte, von der ich wußte, daß sie sich bei ihrem Gemahl in Erfurt und zuletzt in Weimar aufgehalten hatte, und wirklich war sie es gewesen, wie ich Nachmittag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/146>, abgerufen am 29.06.2024.