Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.noch kaum gewagte Kühnheit. Aber selten ist ein künstlerischer Sieg vollstän¬ Die fast noch über die Lessingstatue hinaus gepriesene, in tausendstim¬ noch kaum gewagte Kühnheit. Aber selten ist ein künstlerischer Sieg vollstän¬ Die fast noch über die Lessingstatue hinaus gepriesene, in tausendstim¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284610"/> <p xml:id="ID_492" prev="#ID_491"> noch kaum gewagte Kühnheit. Aber selten ist ein künstlerischer Sieg vollstän¬<lb/> diger gewesen, als der hierdurch errungene. Während die ganze geistige und<lb/> leibliche Persönlichkeit des herrlichsten deutschen Mannes in erschöpfender tref¬<lb/> fendster Weise und Vollständigkeit hier zu künstlerischer Verkörperung kam,<lb/> mit all seiner Rüstigkeit, schlagfertigen Mannhaftigkeit, seiner schlichten, unver¬<lb/> schnörkelten Tüchtigkeit, weltmännischen Freiheit und Sicherheit und der hei-<lb/> ligen Begeisterung sür Wahrheit und Schönheit, wußte er zugleich der einfache»<lb/> Gestalt einen Aplomb der plastischen Erscheinung, eine Wucht und ruhige Größe<lb/> der monumentalen Wirkung zu geben, die von keinem der berühmtesten „Man¬<lb/> telträger" in dem großen Heer moderner Monumcntalstatuen übertroffen wird.<lb/> Dies glänzende Gelingen aus dem Wege der anscheinend rein realistischen Be¬<lb/> handlung hat auf Nletschels Meister und auf die berliner wie auf die andern<lb/> Bildhauerschulen Deutschlands vielfach bestimmend zurückgewirkt. Freilich nicht<lb/> immer zum Heil: „Wie er sich räuspert und wie er spuckt", hat man dem Autor<lb/> des Lessing abgesehn, aber oft genug unfähig eines großen Mannes Natur zu<lb/> erfassen und ihr Bild aus dem Kern ihres Wesens heraus Plastisch zu gestal¬<lb/> ten, wie er es hier gethan, hat man das Geheimniß jenes ungeheuern Erfolgs<lb/> >n dem Ausgeben des Mantels gesucht, und so sind wir mit einem schlimmen<lb/> Segen der allerlangweiligsten, dürftigsten und magersten Standbilder überschüt¬<lb/> tet worden, deren innere Armseligkeit sich doch unter dem Mantel einigermaßen<lb/> hätte verstecken können, während sie uns in der kümmerlichen Garderobe des<lb/> modernen Fracks und Ueberrocks in ihrer ganzen Kläglichkeit direct gegen-<lb/> übertritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_493"> Die fast noch über die Lessingstatue hinaus gepriesene, in tausendstim¬<lb/> migem Lobhymnus gefeierte Schiller-Gvethegruppe lltietschels in Weimar kann<lb/> ich nicht als eine gleich vollkommene Lösung der Ausgabe anerkennen, wie<lb/> jenes vorangegangene Werk. Wenn zwei Gestalten durch eine und in einer<lb/> rein symbolischen, also idealen Action vereinigt, Plastisch dargestellt werden<lb/> sollen, so ist eS ein innerer Widerspruch, sie selbst in vollständig realer Erschei.<lb/> mung, wie sie ihrer Zeit (und zwar einer uns so naheliegenden) unter uns um-<lb/> herwandelten, zu veranschaulichen. Wo der symbolische Lorbeerkranz mitspielt,<lb/> hat der Hossrack und der Ueberrock keine Berechtigung mehr. Bon den größten<lb/> Gcisterheroen der Nation, den Dichtern, in deren Zusammenstellung zugleich<lb/> ihr geistiges Verhältniß zu einander versinnbildlicht werden sollte, wünschte<lb/> man denn doch auch „ausgestoßen jeden Zeugen menschlicher Bedürftigkeit", und<lb/> giebt es einen schlimmeren Zeugen derselben als die Arbeit des modernen<lb/> Schneiders?! So herrlich die Köpfe gelungen sind, so tief und scharf das<lb/> Wesen der beiden Männer erfaßt und ausgesprochen ist, als Monumentalwerl<lb/> bleibt das Ganze mager und entschieden hinter der Größe des Gegenstandes<lb/> zurück.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
noch kaum gewagte Kühnheit. Aber selten ist ein künstlerischer Sieg vollstän¬
diger gewesen, als der hierdurch errungene. Während die ganze geistige und
leibliche Persönlichkeit des herrlichsten deutschen Mannes in erschöpfender tref¬
fendster Weise und Vollständigkeit hier zu künstlerischer Verkörperung kam,
mit all seiner Rüstigkeit, schlagfertigen Mannhaftigkeit, seiner schlichten, unver¬
schnörkelten Tüchtigkeit, weltmännischen Freiheit und Sicherheit und der hei-
ligen Begeisterung sür Wahrheit und Schönheit, wußte er zugleich der einfache»
Gestalt einen Aplomb der plastischen Erscheinung, eine Wucht und ruhige Größe
der monumentalen Wirkung zu geben, die von keinem der berühmtesten „Man¬
telträger" in dem großen Heer moderner Monumcntalstatuen übertroffen wird.
Dies glänzende Gelingen aus dem Wege der anscheinend rein realistischen Be¬
handlung hat auf Nletschels Meister und auf die berliner wie auf die andern
Bildhauerschulen Deutschlands vielfach bestimmend zurückgewirkt. Freilich nicht
immer zum Heil: „Wie er sich räuspert und wie er spuckt", hat man dem Autor
des Lessing abgesehn, aber oft genug unfähig eines großen Mannes Natur zu
erfassen und ihr Bild aus dem Kern ihres Wesens heraus Plastisch zu gestal¬
ten, wie er es hier gethan, hat man das Geheimniß jenes ungeheuern Erfolgs
>n dem Ausgeben des Mantels gesucht, und so sind wir mit einem schlimmen
Segen der allerlangweiligsten, dürftigsten und magersten Standbilder überschüt¬
tet worden, deren innere Armseligkeit sich doch unter dem Mantel einigermaßen
hätte verstecken können, während sie uns in der kümmerlichen Garderobe des
modernen Fracks und Ueberrocks in ihrer ganzen Kläglichkeit direct gegen-
übertritt.
Die fast noch über die Lessingstatue hinaus gepriesene, in tausendstim¬
migem Lobhymnus gefeierte Schiller-Gvethegruppe lltietschels in Weimar kann
ich nicht als eine gleich vollkommene Lösung der Ausgabe anerkennen, wie
jenes vorangegangene Werk. Wenn zwei Gestalten durch eine und in einer
rein symbolischen, also idealen Action vereinigt, Plastisch dargestellt werden
sollen, so ist eS ein innerer Widerspruch, sie selbst in vollständig realer Erschei.
mung, wie sie ihrer Zeit (und zwar einer uns so naheliegenden) unter uns um-
herwandelten, zu veranschaulichen. Wo der symbolische Lorbeerkranz mitspielt,
hat der Hossrack und der Ueberrock keine Berechtigung mehr. Bon den größten
Gcisterheroen der Nation, den Dichtern, in deren Zusammenstellung zugleich
ihr geistiges Verhältniß zu einander versinnbildlicht werden sollte, wünschte
man denn doch auch „ausgestoßen jeden Zeugen menschlicher Bedürftigkeit", und
giebt es einen schlimmeren Zeugen derselben als die Arbeit des modernen
Schneiders?! So herrlich die Köpfe gelungen sind, so tief und scharf das
Wesen der beiden Männer erfaßt und ausgesprochen ist, als Monumentalwerl
bleibt das Ganze mager und entschieden hinter der Größe des Gegenstandes
zurück.
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