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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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auszuführen. Ein Jahr später hat Rietschel seine italienische Reise angetreten,
und als er 1831 wieder nach Berlin zurückkehrte, um an dem Kolossaldenkmal
der beiden ersten christlichen Polenkönige Boleslaus und Micceslaus mitzuar¬
beiten, war es auch nicht zu längerem Aufenthalt, denn bereits 1832 folgte er
dem Ruf nach Dresden, wo eine ehrenvolle Stellung und große Aufgaben sei¬
ner warteten, Seine fernere glänzende Laufbahn bis zu seinem vielbeklagten
Tode inmitten der gewaltigsten Arbeit seines Lebens ist bekannt. Die von
Rauch mit so cousequenter Energie und so vielem Erfolg in all seinen Monu¬
mentalwerken angestrebte Versöhnung und Verschmelzung der classischen Stil¬
gesetze der plastischen Kunst mit den unabweislichen Forderungen des modernen
Realismus, hat er vielleicht noch inniger vollzogen als sein Meister selbst. Die
Strenge und meist etwas kühle Correctheit Rauchs-erhielt durch ihn den Bei¬
satz eines zarten und seelischen Elements, das in der Plastik am seltensten zu
finden ist. Bei edler und gesunder Formengebung erreichte er in seinen Ge¬
bilden doch eine feine Vergeistigung, gab ihnen einen undcsinirbaren, man
möchte sagen musikalischen Hauch, der sie unter allen Werken auch der trefflich¬
sten Kunstgenossen heraushebt. Diese besondere Art der Begabung berief ihn
vorzugsweise zum Darsteller des Individuellsten und Persönlichsten, des durch¬
geistigten Menschen der neuern Zeit, und jenes tiefern im Gesichtsausdruck und
der seiner motivirten Stellung und Bewegung sich sinnlich äußernden innigen
Gefühls- und Gemüthslebens. Wo es sich darum handelte, decorative Aus¬
gaben mit edlem Schönheitssinn in harmonisch gegliederten Kompositionen zu
lösen, wie in dem Giebelfeld des dresdner Theaters und in dem des berliner
Opernhauses, hat er mustergiltige Werke geschaffen. Aber seines Genies rechte
Eigenart ist doch erst in Arbeiten jener andern Gattung zur vollen Geltung
gekommen: in den ganz unvergleichlichen Büsten, in den Bildnißstatuen seiner
spätern Periode, den Lessing. Schiller und Goethe, Weber, denen des Luther¬
denkmals und in dem, -- auch im Hinblick auf die berühmtesten und erhaben-
. sten Schöpfungen älterer und neuer Zeit scheue ich vor dieser Bezeichnung nicht
zurück, -- am tiefsten aufgefaßten, seelcnrührendsten Sculpturwerk, welches der
christlich.religiösen Anschauung und Empfindung überhaupt je erblüht ist, der
Pieta, deren Marmorausführung die Friedenskirche zu Sanssouci schmückt. --
Die Statue Lessings war eine wahrhaft revolutionäre That in der deutschen
Monumentalbildnerei und ist als solche auch enthusiastisch genug anerkannt
worden. Was Nietjchel dort that, einen modernen Menschen in der "unpla¬
stischen" Tracht seines Jahrhunderts, verzichtend aus jene bis dahin unent¬
behrliche Hilfe zur Wirkung, Abrundung ryrd Völligmachung der Erscheinung,
welche die umhüllende traditionelle Mantelbraperie gewährt, einen großen Gei¬
steshelden in Frack, frisirten Haar, Schoßmeste und Kniehosen ohne jedes
weitere Requisit in einfachster natürlichster Haltung hinzustellen, war eine zuvor


auszuführen. Ein Jahr später hat Rietschel seine italienische Reise angetreten,
und als er 1831 wieder nach Berlin zurückkehrte, um an dem Kolossaldenkmal
der beiden ersten christlichen Polenkönige Boleslaus und Micceslaus mitzuar¬
beiten, war es auch nicht zu längerem Aufenthalt, denn bereits 1832 folgte er
dem Ruf nach Dresden, wo eine ehrenvolle Stellung und große Aufgaben sei¬
ner warteten, Seine fernere glänzende Laufbahn bis zu seinem vielbeklagten
Tode inmitten der gewaltigsten Arbeit seines Lebens ist bekannt. Die von
Rauch mit so cousequenter Energie und so vielem Erfolg in all seinen Monu¬
mentalwerken angestrebte Versöhnung und Verschmelzung der classischen Stil¬
gesetze der plastischen Kunst mit den unabweislichen Forderungen des modernen
Realismus, hat er vielleicht noch inniger vollzogen als sein Meister selbst. Die
Strenge und meist etwas kühle Correctheit Rauchs-erhielt durch ihn den Bei¬
satz eines zarten und seelischen Elements, das in der Plastik am seltensten zu
finden ist. Bei edler und gesunder Formengebung erreichte er in seinen Ge¬
bilden doch eine feine Vergeistigung, gab ihnen einen undcsinirbaren, man
möchte sagen musikalischen Hauch, der sie unter allen Werken auch der trefflich¬
sten Kunstgenossen heraushebt. Diese besondere Art der Begabung berief ihn
vorzugsweise zum Darsteller des Individuellsten und Persönlichsten, des durch¬
geistigten Menschen der neuern Zeit, und jenes tiefern im Gesichtsausdruck und
der seiner motivirten Stellung und Bewegung sich sinnlich äußernden innigen
Gefühls- und Gemüthslebens. Wo es sich darum handelte, decorative Aus¬
gaben mit edlem Schönheitssinn in harmonisch gegliederten Kompositionen zu
lösen, wie in dem Giebelfeld des dresdner Theaters und in dem des berliner
Opernhauses, hat er mustergiltige Werke geschaffen. Aber seines Genies rechte
Eigenart ist doch erst in Arbeiten jener andern Gattung zur vollen Geltung
gekommen: in den ganz unvergleichlichen Büsten, in den Bildnißstatuen seiner
spätern Periode, den Lessing. Schiller und Goethe, Weber, denen des Luther¬
denkmals und in dem, — auch im Hinblick auf die berühmtesten und erhaben-
. sten Schöpfungen älterer und neuer Zeit scheue ich vor dieser Bezeichnung nicht
zurück, — am tiefsten aufgefaßten, seelcnrührendsten Sculpturwerk, welches der
christlich.religiösen Anschauung und Empfindung überhaupt je erblüht ist, der
Pieta, deren Marmorausführung die Friedenskirche zu Sanssouci schmückt. —
Die Statue Lessings war eine wahrhaft revolutionäre That in der deutschen
Monumentalbildnerei und ist als solche auch enthusiastisch genug anerkannt
worden. Was Nietjchel dort that, einen modernen Menschen in der „unpla¬
stischen" Tracht seines Jahrhunderts, verzichtend aus jene bis dahin unent¬
behrliche Hilfe zur Wirkung, Abrundung ryrd Völligmachung der Erscheinung,
welche die umhüllende traditionelle Mantelbraperie gewährt, einen großen Gei¬
steshelden in Frack, frisirten Haar, Schoßmeste und Kniehosen ohne jedes
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/139>, abgerufen am 29.06.2024.