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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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versitäts- oder sonstige allgemeine literarisch-ästhetische Bildung. Rauch nahm
grundsätzlich kaum einen Schüler an, welcher nicht aus jener Art Vorschule
zu ihm kam: junge Gießer- und Formerlehrlinge, Bergeleven, Metalldrechsler,
auch Tischler und Klempner, und er wußte sehr wohl, was er damit that. So,
nicht rcflectirend über ästhetische Fragen und das Wesen der Kunst, nicht sich
mit kühnen Ideen tragend, sondern ganz naiv und vor dem strengen Meister
in heiligem Respect, gut mittelalterlich wie die größten Genien der alten Kunst
es gethan, als geplagte Lehrburschen und Gesellen Thon knetend, Eisen bie¬
gend, Gips forment und raspelnd und freilich unablässig dabei nach der nackten
Natur und der Antike studirend, erlernten diese jungen Leute die Bildhauerei
in den gipsbestaubten Wcrkstatträumen des Lagerhauses und wuchsen künstlerisch
heran, ohne den schlimmen Conflict des vorgeschrittenen Bewußtseins mit dem
schülerhaften Ungeschick der Hand zu erproben, geistiges Erkennen und prak¬
tisches Können in gleichem Verhältniß ausbildend und erweiternd. Vier von
dieser ersten Serie der rauchschcn Schüler sind nicht mehr unter den Lebenden.
Berges starb in den fünfziger Jahren zu Berlin, Rietschel 1861 zu Dresden,
Kalide 1863 zu Berlin, Kiß im März des vorigen Jahres ebendaselbst.. Von
den andern beiden scheint der eine nun sechszigjährige in rastloser stetiger Pro-
duction weiter schaffend mit jedem neuen Werk noch eine immer höhere Stufe
der Meisterschaft und Kunstvollendung zu erklimmen; der andere an der längst
erreichten behaglich und ohne treibenden Schaffensdrang sich genügen zu lassen.
Von Berges ist nicht viel mehr zu erzählen, als daß er ein tüchtiger Hilfs¬
arbeiter für Rauch, ein guter lustiger Genosse für seine Mitschüler gewesen ist,
selbständig kaum etwas von hervorragender und dauernder Bedeutung ge-
schaffen hat und als Professor von zahlreichen Freunden aufrichtig beklagt ge¬
storben ist, von seinem Meister überlebt. Rietschels glänzende Künstlerlauf,
habn gehört bekanntlich nur zum allergeringsten Theil Berlin an, und dennoch
darf die berliner Schule den Anspruch auf ihn als einen der besten von den
Ihrigen nicht fallen lassen.

Im Jahre 1802 zu Pulsnitz in der Oberlausitz geboren, kam er 1826
nach Berlin und in Rauchs Werkstatt. Von körperlich schwächlicher Natur, ent¬
sprach er während seines ganzen Lebens wenig der Vorstellung, die wir uns
unwillkürlich von einem rechten Bildhauer, dem Bemeisierer des sprödesten
Kunstmaterials bilden. Aber seine feine Geistigkeit verhinderte nicht, daß er
sein technisches Vermögen zu vollendeter Ausbildung brachte. Rauch scheint
er sehr nahe gerückt zu sein. Schon damals als Jüngling war er ein trefflich
geschickter Zeichner. Als Bildhauer aber muß er auch bald genug die Geheim¬
nisse seiner Kunst erfaßt haben, denn Rauch nahm ihn 1829 mit nach Mün¬
chen, wohin er, der Einladung des Königs Ludwig folgend, zuerst 1826 über¬
siedelt war, um an Ort und Stelle das Denkmal für den König Maximilian


versitäts- oder sonstige allgemeine literarisch-ästhetische Bildung. Rauch nahm
grundsätzlich kaum einen Schüler an, welcher nicht aus jener Art Vorschule
zu ihm kam: junge Gießer- und Formerlehrlinge, Bergeleven, Metalldrechsler,
auch Tischler und Klempner, und er wußte sehr wohl, was er damit that. So,
nicht rcflectirend über ästhetische Fragen und das Wesen der Kunst, nicht sich
mit kühnen Ideen tragend, sondern ganz naiv und vor dem strengen Meister
in heiligem Respect, gut mittelalterlich wie die größten Genien der alten Kunst
es gethan, als geplagte Lehrburschen und Gesellen Thon knetend, Eisen bie¬
gend, Gips forment und raspelnd und freilich unablässig dabei nach der nackten
Natur und der Antike studirend, erlernten diese jungen Leute die Bildhauerei
in den gipsbestaubten Wcrkstatträumen des Lagerhauses und wuchsen künstlerisch
heran, ohne den schlimmen Conflict des vorgeschrittenen Bewußtseins mit dem
schülerhaften Ungeschick der Hand zu erproben, geistiges Erkennen und prak¬
tisches Können in gleichem Verhältniß ausbildend und erweiternd. Vier von
dieser ersten Serie der rauchschcn Schüler sind nicht mehr unter den Lebenden.
Berges starb in den fünfziger Jahren zu Berlin, Rietschel 1861 zu Dresden,
Kalide 1863 zu Berlin, Kiß im März des vorigen Jahres ebendaselbst.. Von
den andern beiden scheint der eine nun sechszigjährige in rastloser stetiger Pro-
duction weiter schaffend mit jedem neuen Werk noch eine immer höhere Stufe
der Meisterschaft und Kunstvollendung zu erklimmen; der andere an der längst
erreichten behaglich und ohne treibenden Schaffensdrang sich genügen zu lassen.
Von Berges ist nicht viel mehr zu erzählen, als daß er ein tüchtiger Hilfs¬
arbeiter für Rauch, ein guter lustiger Genosse für seine Mitschüler gewesen ist,
selbständig kaum etwas von hervorragender und dauernder Bedeutung ge-
schaffen hat und als Professor von zahlreichen Freunden aufrichtig beklagt ge¬
storben ist, von seinem Meister überlebt. Rietschels glänzende Künstlerlauf,
habn gehört bekanntlich nur zum allergeringsten Theil Berlin an, und dennoch
darf die berliner Schule den Anspruch auf ihn als einen der besten von den
Ihrigen nicht fallen lassen.

Im Jahre 1802 zu Pulsnitz in der Oberlausitz geboren, kam er 1826
nach Berlin und in Rauchs Werkstatt. Von körperlich schwächlicher Natur, ent¬
sprach er während seines ganzen Lebens wenig der Vorstellung, die wir uns
unwillkürlich von einem rechten Bildhauer, dem Bemeisierer des sprödesten
Kunstmaterials bilden. Aber seine feine Geistigkeit verhinderte nicht, daß er
sein technisches Vermögen zu vollendeter Ausbildung brachte. Rauch scheint
er sehr nahe gerückt zu sein. Schon damals als Jüngling war er ein trefflich
geschickter Zeichner. Als Bildhauer aber muß er auch bald genug die Geheim¬
nisse seiner Kunst erfaßt haben, denn Rauch nahm ihn 1829 mit nach Mün¬
chen, wohin er, der Einladung des Königs Ludwig folgend, zuerst 1826 über¬
siedelt war, um an Ort und Stelle das Denkmal für den König Maximilian


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[0138] versitäts- oder sonstige allgemeine literarisch-ästhetische Bildung. Rauch nahm grundsätzlich kaum einen Schüler an, welcher nicht aus jener Art Vorschule zu ihm kam: junge Gießer- und Formerlehrlinge, Bergeleven, Metalldrechsler, auch Tischler und Klempner, und er wußte sehr wohl, was er damit that. So, nicht rcflectirend über ästhetische Fragen und das Wesen der Kunst, nicht sich mit kühnen Ideen tragend, sondern ganz naiv und vor dem strengen Meister in heiligem Respect, gut mittelalterlich wie die größten Genien der alten Kunst es gethan, als geplagte Lehrburschen und Gesellen Thon knetend, Eisen bie¬ gend, Gips forment und raspelnd und freilich unablässig dabei nach der nackten Natur und der Antike studirend, erlernten diese jungen Leute die Bildhauerei in den gipsbestaubten Wcrkstatträumen des Lagerhauses und wuchsen künstlerisch heran, ohne den schlimmen Conflict des vorgeschrittenen Bewußtseins mit dem schülerhaften Ungeschick der Hand zu erproben, geistiges Erkennen und prak¬ tisches Können in gleichem Verhältniß ausbildend und erweiternd. Vier von dieser ersten Serie der rauchschcn Schüler sind nicht mehr unter den Lebenden. Berges starb in den fünfziger Jahren zu Berlin, Rietschel 1861 zu Dresden, Kalide 1863 zu Berlin, Kiß im März des vorigen Jahres ebendaselbst.. Von den andern beiden scheint der eine nun sechszigjährige in rastloser stetiger Pro- duction weiter schaffend mit jedem neuen Werk noch eine immer höhere Stufe der Meisterschaft und Kunstvollendung zu erklimmen; der andere an der längst erreichten behaglich und ohne treibenden Schaffensdrang sich genügen zu lassen. Von Berges ist nicht viel mehr zu erzählen, als daß er ein tüchtiger Hilfs¬ arbeiter für Rauch, ein guter lustiger Genosse für seine Mitschüler gewesen ist, selbständig kaum etwas von hervorragender und dauernder Bedeutung ge- schaffen hat und als Professor von zahlreichen Freunden aufrichtig beklagt ge¬ storben ist, von seinem Meister überlebt. Rietschels glänzende Künstlerlauf, habn gehört bekanntlich nur zum allergeringsten Theil Berlin an, und dennoch darf die berliner Schule den Anspruch auf ihn als einen der besten von den Ihrigen nicht fallen lassen. Im Jahre 1802 zu Pulsnitz in der Oberlausitz geboren, kam er 1826 nach Berlin und in Rauchs Werkstatt. Von körperlich schwächlicher Natur, ent¬ sprach er während seines ganzen Lebens wenig der Vorstellung, die wir uns unwillkürlich von einem rechten Bildhauer, dem Bemeisierer des sprödesten Kunstmaterials bilden. Aber seine feine Geistigkeit verhinderte nicht, daß er sein technisches Vermögen zu vollendeter Ausbildung brachte. Rauch scheint er sehr nahe gerückt zu sein. Schon damals als Jüngling war er ein trefflich geschickter Zeichner. Als Bildhauer aber muß er auch bald genug die Geheim¬ nisse seiner Kunst erfaßt haben, denn Rauch nahm ihn 1829 mit nach Mün¬ chen, wohin er, der Einladung des Königs Ludwig folgend, zuerst 1826 über¬ siedelt war, um an Ort und Stelle das Denkmal für den König Maximilian

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/138>, abgerufen am 29.06.2024.