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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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welche das Thema dieser Aufsähe bilden soll, hat an ihnen theils mitgearbeitet,
theils ist sie an ihnen zu kräftiger Selbständigkeit gereift. Auseinandersetzungen
über ihren Grundcharakter, allgemeinen Betrachtungen über ihr Verhältniß zur
"Idee" der plastischen Kunst, über ihre Stellung zu andern Bildhauerschulen
Deutschlands und des Auslands. Betrachtungen, aus welchen -doch niemand
eine lebendige Anschauung gewinnt, wollen wir zunächst entsagen. Die Schule
besteht aus Schülern. Wenn wir zu zeigen versucht haben werden, wie diese
zu Meistern geworden sind, was diese geschaffen und geleistet, und welcher
Geistesart sie waren und sind, so wird daraus sich ein viel richtigerer, inhalt-
vollerer Begriff von der "Schule", die sie bilden, von selbst ergeben, und etwaige
allgemeine Folgerungen ruhen dann erst auf festem und realem Grunde.

Rauch war, seit er 1813, während seines zweiten römischen Aufenthalts,
die Grabstatue der Königin Luise, die er zwei Jahre zuvor in Berlin modellirte,
im Marmor vollendet hatte, durch dies eine Werk der gefeiertste Bildhauer
Deutschlands geworden. Als es galt, den Helden des Krieges, welche dem
Baterlande Freiheit, Frieden und Größe zurückgebracht, die höchsten künstlerischen
Ehren zu geben, mit welchen die Dankbarkeit des Königs sie zu feiern gedachte,
war der Meister des Luiscnmonuments der fast selbstverständlich dazu Berufene
und Auserwählte. Bereits 1815 entwarf er die Statuen Bülows und Scharn-
horsts mit den Reliefs ihrer Postamente, 1820 das Denkmal Blüchers für
Breslau und das andere für Berlin. Zwei Jahre später wurden jene, in
Marmor vollendet, neben dem neuen Wachtgebäude am Opernplatz aufgestellt,
1826 der Erzguß beider Blücherstatuen glücklich ausgeführt. In diesen Jahren
der rüstigen Arbeit an großen, den Künstler in doppeltem Sinn begeisternden
Aufgaben traten fast gleichzeitig die jungen Männer als Lehrlinge in Rauchs
Werkstatt, welche wir heut als die später viel bewährten Aeltesten, als die an
der Spitze seiner Schülerschaft Vorstrebenden kennen: Kalide, Drake, Kiß,
Rietschel, Wredow. Die vor ihnen dort thätigen sind namenlos ge¬
blieben, oder es waren wohl meist Italiener, die Rauch sich von Rom behufs
seiner Marmorarbeiten mitgebracht hatte, eine Technik, für welche er in Berlin
damals schwerlich eingeborne geschickte Gesellen finden mochte.

Es war eine strenge Schule, welche jene zum Theil fast noch knabenhaften
Jünglinge damals nach einander aufnahm, und eben darum grade die wünschens-
wertheste. Ihrer innersten Natur nach kann eine Bildhauerwerkstatt als Lehr¬
anstalt junger Künstler kaum solchen Mißgriffen und solchem Unverstand ver¬
fallen, wie wir sie bei der^künstlerischen Erziehung der modernen Maler täg¬
lich begehen und walten sehen können. Jede wahrhaft gesunde Kunst hat ihren
Ausgang vom Handwerk zu nehmen, und Handgeschick und technische handwerk¬
mäßige Uebung desselben ist für jeden Künstler eine unendlich bessere Vor¬
bereitung für das höhere Kunststudium, als die sorglichste Gymnasial- oder lini-


welche das Thema dieser Aufsähe bilden soll, hat an ihnen theils mitgearbeitet,
theils ist sie an ihnen zu kräftiger Selbständigkeit gereift. Auseinandersetzungen
über ihren Grundcharakter, allgemeinen Betrachtungen über ihr Verhältniß zur
„Idee" der plastischen Kunst, über ihre Stellung zu andern Bildhauerschulen
Deutschlands und des Auslands. Betrachtungen, aus welchen -doch niemand
eine lebendige Anschauung gewinnt, wollen wir zunächst entsagen. Die Schule
besteht aus Schülern. Wenn wir zu zeigen versucht haben werden, wie diese
zu Meistern geworden sind, was diese geschaffen und geleistet, und welcher
Geistesart sie waren und sind, so wird daraus sich ein viel richtigerer, inhalt-
vollerer Begriff von der „Schule", die sie bilden, von selbst ergeben, und etwaige
allgemeine Folgerungen ruhen dann erst auf festem und realem Grunde.

Rauch war, seit er 1813, während seines zweiten römischen Aufenthalts,
die Grabstatue der Königin Luise, die er zwei Jahre zuvor in Berlin modellirte,
im Marmor vollendet hatte, durch dies eine Werk der gefeiertste Bildhauer
Deutschlands geworden. Als es galt, den Helden des Krieges, welche dem
Baterlande Freiheit, Frieden und Größe zurückgebracht, die höchsten künstlerischen
Ehren zu geben, mit welchen die Dankbarkeit des Königs sie zu feiern gedachte,
war der Meister des Luiscnmonuments der fast selbstverständlich dazu Berufene
und Auserwählte. Bereits 1815 entwarf er die Statuen Bülows und Scharn-
horsts mit den Reliefs ihrer Postamente, 1820 das Denkmal Blüchers für
Breslau und das andere für Berlin. Zwei Jahre später wurden jene, in
Marmor vollendet, neben dem neuen Wachtgebäude am Opernplatz aufgestellt,
1826 der Erzguß beider Blücherstatuen glücklich ausgeführt. In diesen Jahren
der rüstigen Arbeit an großen, den Künstler in doppeltem Sinn begeisternden
Aufgaben traten fast gleichzeitig die jungen Männer als Lehrlinge in Rauchs
Werkstatt, welche wir heut als die später viel bewährten Aeltesten, als die an
der Spitze seiner Schülerschaft Vorstrebenden kennen: Kalide, Drake, Kiß,
Rietschel, Wredow. Die vor ihnen dort thätigen sind namenlos ge¬
blieben, oder es waren wohl meist Italiener, die Rauch sich von Rom behufs
seiner Marmorarbeiten mitgebracht hatte, eine Technik, für welche er in Berlin
damals schwerlich eingeborne geschickte Gesellen finden mochte.

Es war eine strenge Schule, welche jene zum Theil fast noch knabenhaften
Jünglinge damals nach einander aufnahm, und eben darum grade die wünschens-
wertheste. Ihrer innersten Natur nach kann eine Bildhauerwerkstatt als Lehr¬
anstalt junger Künstler kaum solchen Mißgriffen und solchem Unverstand ver¬
fallen, wie wir sie bei der^künstlerischen Erziehung der modernen Maler täg¬
lich begehen und walten sehen können. Jede wahrhaft gesunde Kunst hat ihren
Ausgang vom Handwerk zu nehmen, und Handgeschick und technische handwerk¬
mäßige Uebung desselben ist für jeden Künstler eine unendlich bessere Vor¬
bereitung für das höhere Kunststudium, als die sorglichste Gymnasial- oder lini-


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[0137] welche das Thema dieser Aufsähe bilden soll, hat an ihnen theils mitgearbeitet, theils ist sie an ihnen zu kräftiger Selbständigkeit gereift. Auseinandersetzungen über ihren Grundcharakter, allgemeinen Betrachtungen über ihr Verhältniß zur „Idee" der plastischen Kunst, über ihre Stellung zu andern Bildhauerschulen Deutschlands und des Auslands. Betrachtungen, aus welchen -doch niemand eine lebendige Anschauung gewinnt, wollen wir zunächst entsagen. Die Schule besteht aus Schülern. Wenn wir zu zeigen versucht haben werden, wie diese zu Meistern geworden sind, was diese geschaffen und geleistet, und welcher Geistesart sie waren und sind, so wird daraus sich ein viel richtigerer, inhalt- vollerer Begriff von der „Schule", die sie bilden, von selbst ergeben, und etwaige allgemeine Folgerungen ruhen dann erst auf festem und realem Grunde. Rauch war, seit er 1813, während seines zweiten römischen Aufenthalts, die Grabstatue der Königin Luise, die er zwei Jahre zuvor in Berlin modellirte, im Marmor vollendet hatte, durch dies eine Werk der gefeiertste Bildhauer Deutschlands geworden. Als es galt, den Helden des Krieges, welche dem Baterlande Freiheit, Frieden und Größe zurückgebracht, die höchsten künstlerischen Ehren zu geben, mit welchen die Dankbarkeit des Königs sie zu feiern gedachte, war der Meister des Luiscnmonuments der fast selbstverständlich dazu Berufene und Auserwählte. Bereits 1815 entwarf er die Statuen Bülows und Scharn- horsts mit den Reliefs ihrer Postamente, 1820 das Denkmal Blüchers für Breslau und das andere für Berlin. Zwei Jahre später wurden jene, in Marmor vollendet, neben dem neuen Wachtgebäude am Opernplatz aufgestellt, 1826 der Erzguß beider Blücherstatuen glücklich ausgeführt. In diesen Jahren der rüstigen Arbeit an großen, den Künstler in doppeltem Sinn begeisternden Aufgaben traten fast gleichzeitig die jungen Männer als Lehrlinge in Rauchs Werkstatt, welche wir heut als die später viel bewährten Aeltesten, als die an der Spitze seiner Schülerschaft Vorstrebenden kennen: Kalide, Drake, Kiß, Rietschel, Wredow. Die vor ihnen dort thätigen sind namenlos ge¬ blieben, oder es waren wohl meist Italiener, die Rauch sich von Rom behufs seiner Marmorarbeiten mitgebracht hatte, eine Technik, für welche er in Berlin damals schwerlich eingeborne geschickte Gesellen finden mochte. Es war eine strenge Schule, welche jene zum Theil fast noch knabenhaften Jünglinge damals nach einander aufnahm, und eben darum grade die wünschens- wertheste. Ihrer innersten Natur nach kann eine Bildhauerwerkstatt als Lehr¬ anstalt junger Künstler kaum solchen Mißgriffen und solchem Unverstand ver¬ fallen, wie wir sie bei der^künstlerischen Erziehung der modernen Maler täg¬ lich begehen und walten sehen können. Jede wahrhaft gesunde Kunst hat ihren Ausgang vom Handwerk zu nehmen, und Handgeschick und technische handwerk¬ mäßige Uebung desselben ist für jeden Künstler eine unendlich bessere Vor¬ bereitung für das höhere Kunststudium, als die sorglichste Gymnasial- oder lini-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/137>, abgerufen am 29.06.2024.