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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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lungen. Von durchgreifender Wirkung, zum Vorbild und Muster für Zeit¬
genossen und Nachfolger ist aber keine seiner Schöpfungen geworden.

Seines Altersgenossen Karl Friedrich Wichmann (geb. 1773 zu Potsdam)
Thätigkeit ist vornehmlich auf das Bildniß gerichtet gewesen. Wenigstens ge-
hören die von seinen Zeitgenossen am meisten gepriesenen Werke dieser Gattung
an; wie die berühmte 1814 modellirte Gruppe der Königin Luise mit ihrer
Schwester der Fürstin von Solms und später die Marmorstatue der.Kaiserin
Alexandra von Rußland (1831). Grazie der Bewegung, Delikatesse des Aus¬
drucks und eine geschickte glatte Behandlung des Marmors machten seine Arbeiten
Bestellern und Publikum ihrer Zeit sehr willkommen und angenehm. 1836
starb er zu Berlin. Das Talent seines jüngern Bruders Ludwig Wilhelm, ge¬
boren 178S zu Berlin, war dem seinigen nahe verwandt. Er ist einer der ver¬
trautesten Lieblingsschüler Schadows, der ihn um 1800 ganz in Haus und
Werkstatt aufnahm, um ihn mit dem eignen Sohn Rudolf zusammen zum
Bildhauer zu erziehen. Dann hat er von 1807 an längere Zeit in Paris
studirt, auch bei David'gezeichnet, ist 1813 nach Rom gegangen und auch dort
zu Thorwaldsen in nahe Beziehungen getreten. Ungemein zahlreich wie seines
Bruders sind auch seine Büsten, in denen sich sein eigenthümlichstes Talent aus¬
gesprochen hat. Das Individuelle wußte er mit großer Feinheit zu erfassen
und das durchgeistigte moderne Menschenantlitz mit wirklicher Meisterschaft in
Thon und Marmor zu bilden. In seinen freien Schöpfungen blieb die naive
Schönheit, die rechte gesunde Kraft von ihm unerreicht. Decorativen Figuren,
wie die weiblichen Karyatiden an den Prosceniumslogen des berliner Opernhauses
verlieh er eine ansprechende Zierlichkeit. Ueberhaupt bewegte er sich am besten in
einem gewissen lächelnden, ideal-zierlichen Genre, das seiner Zeit so viel Beifall
fand, wie das von seinem Bruder bearbeitete. Die bekannte "Wasserschöpferin"
ist wohl sein populärstes Product dieser Gattung; auf seine Schloßbrückengruppe,
welcher die Grundrichtung seines künstlerischen Wesens nicht grade zuträglich gewor¬
den ist, komme ich später noch zurück. Es ist eine Arbeit seines letzten Jahrzehnts.
Die Statue Winkelmanns, ebenfalls in dieser Zeit seines Lebens modellirt, --
in Bronce zu Stendal, im letzten Jahr in Marmorausführung in der Vorhalle
des berliner Museums aufgestellt, -- erhebt sich nicht über das Durchschnitts¬
niveau solcher Werke, wenn er auch von so unglaublichen Verirrungen und
Geschmacklosigkeiten frei bleibt, wie sie in'der tieckschen Schinkelstatue (in ihrer
unmittelbaren Nachbarschaft) verkörpert sind.

An diesen kurzen Angaben über den künstlerischen Charakter dieser Männer
und ihrer Wirksamkeit möge es hier genug sein. Sie gehören doch mehr der
Vorgeschichte unsers specielleren Gegenstandes an. Rauchs eignes Schaffen
haben wir in diesen Blättern noch ganz vor Kurzem gelegentlich des Berichtes
über das Nauchmuseum ausführlicher behandelt. Die berliner Bildhauerschule,


lungen. Von durchgreifender Wirkung, zum Vorbild und Muster für Zeit¬
genossen und Nachfolger ist aber keine seiner Schöpfungen geworden.

Seines Altersgenossen Karl Friedrich Wichmann (geb. 1773 zu Potsdam)
Thätigkeit ist vornehmlich auf das Bildniß gerichtet gewesen. Wenigstens ge-
hören die von seinen Zeitgenossen am meisten gepriesenen Werke dieser Gattung
an; wie die berühmte 1814 modellirte Gruppe der Königin Luise mit ihrer
Schwester der Fürstin von Solms und später die Marmorstatue der.Kaiserin
Alexandra von Rußland (1831). Grazie der Bewegung, Delikatesse des Aus¬
drucks und eine geschickte glatte Behandlung des Marmors machten seine Arbeiten
Bestellern und Publikum ihrer Zeit sehr willkommen und angenehm. 1836
starb er zu Berlin. Das Talent seines jüngern Bruders Ludwig Wilhelm, ge¬
boren 178S zu Berlin, war dem seinigen nahe verwandt. Er ist einer der ver¬
trautesten Lieblingsschüler Schadows, der ihn um 1800 ganz in Haus und
Werkstatt aufnahm, um ihn mit dem eignen Sohn Rudolf zusammen zum
Bildhauer zu erziehen. Dann hat er von 1807 an längere Zeit in Paris
studirt, auch bei David'gezeichnet, ist 1813 nach Rom gegangen und auch dort
zu Thorwaldsen in nahe Beziehungen getreten. Ungemein zahlreich wie seines
Bruders sind auch seine Büsten, in denen sich sein eigenthümlichstes Talent aus¬
gesprochen hat. Das Individuelle wußte er mit großer Feinheit zu erfassen
und das durchgeistigte moderne Menschenantlitz mit wirklicher Meisterschaft in
Thon und Marmor zu bilden. In seinen freien Schöpfungen blieb die naive
Schönheit, die rechte gesunde Kraft von ihm unerreicht. Decorativen Figuren,
wie die weiblichen Karyatiden an den Prosceniumslogen des berliner Opernhauses
verlieh er eine ansprechende Zierlichkeit. Ueberhaupt bewegte er sich am besten in
einem gewissen lächelnden, ideal-zierlichen Genre, das seiner Zeit so viel Beifall
fand, wie das von seinem Bruder bearbeitete. Die bekannte „Wasserschöpferin"
ist wohl sein populärstes Product dieser Gattung; auf seine Schloßbrückengruppe,
welcher die Grundrichtung seines künstlerischen Wesens nicht grade zuträglich gewor¬
den ist, komme ich später noch zurück. Es ist eine Arbeit seines letzten Jahrzehnts.
Die Statue Winkelmanns, ebenfalls in dieser Zeit seines Lebens modellirt, —
in Bronce zu Stendal, im letzten Jahr in Marmorausführung in der Vorhalle
des berliner Museums aufgestellt, — erhebt sich nicht über das Durchschnitts¬
niveau solcher Werke, wenn er auch von so unglaublichen Verirrungen und
Geschmacklosigkeiten frei bleibt, wie sie in'der tieckschen Schinkelstatue (in ihrer
unmittelbaren Nachbarschaft) verkörpert sind.

An diesen kurzen Angaben über den künstlerischen Charakter dieser Männer
und ihrer Wirksamkeit möge es hier genug sein. Sie gehören doch mehr der
Vorgeschichte unsers specielleren Gegenstandes an. Rauchs eignes Schaffen
haben wir in diesen Blättern noch ganz vor Kurzem gelegentlich des Berichtes
über das Nauchmuseum ausführlicher behandelt. Die berliner Bildhauerschule,


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[0136] lungen. Von durchgreifender Wirkung, zum Vorbild und Muster für Zeit¬ genossen und Nachfolger ist aber keine seiner Schöpfungen geworden. Seines Altersgenossen Karl Friedrich Wichmann (geb. 1773 zu Potsdam) Thätigkeit ist vornehmlich auf das Bildniß gerichtet gewesen. Wenigstens ge- hören die von seinen Zeitgenossen am meisten gepriesenen Werke dieser Gattung an; wie die berühmte 1814 modellirte Gruppe der Königin Luise mit ihrer Schwester der Fürstin von Solms und später die Marmorstatue der.Kaiserin Alexandra von Rußland (1831). Grazie der Bewegung, Delikatesse des Aus¬ drucks und eine geschickte glatte Behandlung des Marmors machten seine Arbeiten Bestellern und Publikum ihrer Zeit sehr willkommen und angenehm. 1836 starb er zu Berlin. Das Talent seines jüngern Bruders Ludwig Wilhelm, ge¬ boren 178S zu Berlin, war dem seinigen nahe verwandt. Er ist einer der ver¬ trautesten Lieblingsschüler Schadows, der ihn um 1800 ganz in Haus und Werkstatt aufnahm, um ihn mit dem eignen Sohn Rudolf zusammen zum Bildhauer zu erziehen. Dann hat er von 1807 an längere Zeit in Paris studirt, auch bei David'gezeichnet, ist 1813 nach Rom gegangen und auch dort zu Thorwaldsen in nahe Beziehungen getreten. Ungemein zahlreich wie seines Bruders sind auch seine Büsten, in denen sich sein eigenthümlichstes Talent aus¬ gesprochen hat. Das Individuelle wußte er mit großer Feinheit zu erfassen und das durchgeistigte moderne Menschenantlitz mit wirklicher Meisterschaft in Thon und Marmor zu bilden. In seinen freien Schöpfungen blieb die naive Schönheit, die rechte gesunde Kraft von ihm unerreicht. Decorativen Figuren, wie die weiblichen Karyatiden an den Prosceniumslogen des berliner Opernhauses verlieh er eine ansprechende Zierlichkeit. Ueberhaupt bewegte er sich am besten in einem gewissen lächelnden, ideal-zierlichen Genre, das seiner Zeit so viel Beifall fand, wie das von seinem Bruder bearbeitete. Die bekannte „Wasserschöpferin" ist wohl sein populärstes Product dieser Gattung; auf seine Schloßbrückengruppe, welcher die Grundrichtung seines künstlerischen Wesens nicht grade zuträglich gewor¬ den ist, komme ich später noch zurück. Es ist eine Arbeit seines letzten Jahrzehnts. Die Statue Winkelmanns, ebenfalls in dieser Zeit seines Lebens modellirt, — in Bronce zu Stendal, im letzten Jahr in Marmorausführung in der Vorhalle des berliner Museums aufgestellt, — erhebt sich nicht über das Durchschnitts¬ niveau solcher Werke, wenn er auch von so unglaublichen Verirrungen und Geschmacklosigkeiten frei bleibt, wie sie in'der tieckschen Schinkelstatue (in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft) verkörpert sind. An diesen kurzen Angaben über den künstlerischen Charakter dieser Männer und ihrer Wirksamkeit möge es hier genug sein. Sie gehören doch mehr der Vorgeschichte unsers specielleren Gegenstandes an. Rauchs eignes Schaffen haben wir in diesen Blättern noch ganz vor Kurzem gelegentlich des Berichtes über das Nauchmuseum ausführlicher behandelt. Die berliner Bildhauerschule,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/136>, abgerufen am 29.06.2024.