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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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seinen Balladen und Romanzen, in denen er Sagen seiner Landschaft durch
Verse erzählt. Auch hier ist der gebildete Nomanzenton herrschend, aber die
Freude an sentimentalen Schluß bewirkt, daß er tragische Ausgänge gern zu
plötzlich und unvermittelt einführt. Nur einige Mal klingen diese Gedichte in
Maß und Ton an die alte volksmäßige Darstellung an.

Was aber die innere Freiheit seiner Bildung wohl am meisten charakteu-
sirt, ist der Umstand, daß er einige Mal auch im Dialekt seiner Heimath ge¬
dichtet hat. Wer diese Art von poetischen Wirkungen sucht, der hat bereits
einen behaglichen Genuß am Dialekt, wie er erst durch sichere Bildung inner-
halb des Bereichs der Schriftsprache zu kommen pflegt. Ebenfalls lehrreich ist.
daß er selbst da nicht grade volksmäßig spricht, wo er reale Zustände seines
eignen Lebens schildert', z. B. in dem Gedicht: "Meinem alten Pferde". Hier
ist das Maß eine Strophe, die er sich aus vier Alexandrinern gebildet hat, und
die "spräche hat einiges von der Rococvfärbung des vorigen Jahrhunderts, die
ihm irgendwie durch Lectüre iri die Seele kam.

Auch aus dieser Gedichtsammlung werden als Beleg für das Gesagte zwei
kleine Gedichte mitgetheilt, nicht weil sie die besten der Sammlung wären, son¬
dern weil sie sein Talent nach zwei Seiten bezeichnen; das eine zeigt un¬
gefähr den Reichthum an Anschauungen, welchen er zu verwenden weiß, das andre,
wie weit er mit dem rhetorischen Element der Berse, z. B. Antithesen, Haus zu
halten versteht:

Beim Herannahen des Herbstes.
Der kalte Wind des nahen Herbstes wehet
Durchs Stoppelfeld, und traurig steht der Wald,
In dem nicht mehr aus röthlich gelben Zweigen
Das Lied der muntern Sänger schallt. Am fahlen Grashalm bebt im Spinngewebe
Demantenschmuck im Morgcnsonnenschein;
Des Berges Haupt, auf dem die Geister Hausen,
Hülle schon der Nebelschleier ein. Ein Buchclrcgcn rauscht im dürren Laube,
Wenn leis der Wind des Baumes Haupt bewegt;
Am Hagedorn erglänzen rothe Beeren,
Der dort den Wiesenrand umhegt. Der Sandmann zieht die Furchen mit dem Pfluge,
Beherrscht der Rosse wildes Paar;
Vertraut die Saat dem dunkeln Schoos der Erde
Und all sein Hoffen für ein Jahr. Die Nuß entfällt der niedern Haselstaude,
Am Weinstock dort die reife Traube glänzt;
Froh eilt der Winzer zu dem reichen Segen,
Den Hut mit Rcbcnlaub umkränzt. Verschwunden sind die Blumen aller Farben,
Zeitlose nur noch auf der Wiese blüht,
Schwermüthig klingt herüber aus der Ferne,
Des Hirtenknaben letztes Lied.

seinen Balladen und Romanzen, in denen er Sagen seiner Landschaft durch
Verse erzählt. Auch hier ist der gebildete Nomanzenton herrschend, aber die
Freude an sentimentalen Schluß bewirkt, daß er tragische Ausgänge gern zu
plötzlich und unvermittelt einführt. Nur einige Mal klingen diese Gedichte in
Maß und Ton an die alte volksmäßige Darstellung an.

Was aber die innere Freiheit seiner Bildung wohl am meisten charakteu-
sirt, ist der Umstand, daß er einige Mal auch im Dialekt seiner Heimath ge¬
dichtet hat. Wer diese Art von poetischen Wirkungen sucht, der hat bereits
einen behaglichen Genuß am Dialekt, wie er erst durch sichere Bildung inner-
halb des Bereichs der Schriftsprache zu kommen pflegt. Ebenfalls lehrreich ist.
daß er selbst da nicht grade volksmäßig spricht, wo er reale Zustände seines
eignen Lebens schildert', z. B. in dem Gedicht: „Meinem alten Pferde". Hier
ist das Maß eine Strophe, die er sich aus vier Alexandrinern gebildet hat, und
die «spräche hat einiges von der Rococvfärbung des vorigen Jahrhunderts, die
ihm irgendwie durch Lectüre iri die Seele kam.

Auch aus dieser Gedichtsammlung werden als Beleg für das Gesagte zwei
kleine Gedichte mitgetheilt, nicht weil sie die besten der Sammlung wären, son¬
dern weil sie sein Talent nach zwei Seiten bezeichnen; das eine zeigt un¬
gefähr den Reichthum an Anschauungen, welchen er zu verwenden weiß, das andre,
wie weit er mit dem rhetorischen Element der Berse, z. B. Antithesen, Haus zu
halten versteht:

Beim Herannahen des Herbstes.
Der kalte Wind des nahen Herbstes wehet
Durchs Stoppelfeld, und traurig steht der Wald,
In dem nicht mehr aus röthlich gelben Zweigen
Das Lied der muntern Sänger schallt. Am fahlen Grashalm bebt im Spinngewebe
Demantenschmuck im Morgcnsonnenschein;
Des Berges Haupt, auf dem die Geister Hausen,
Hülle schon der Nebelschleier ein. Ein Buchclrcgcn rauscht im dürren Laube,
Wenn leis der Wind des Baumes Haupt bewegt;
Am Hagedorn erglänzen rothe Beeren,
Der dort den Wiesenrand umhegt. Der Sandmann zieht die Furchen mit dem Pfluge,
Beherrscht der Rosse wildes Paar;
Vertraut die Saat dem dunkeln Schoos der Erde
Und all sein Hoffen für ein Jahr. Die Nuß entfällt der niedern Haselstaude,
Am Weinstock dort die reife Traube glänzt;
Froh eilt der Winzer zu dem reichen Segen,
Den Hut mit Rcbcnlaub umkränzt. Verschwunden sind die Blumen aller Farben,
Zeitlose nur noch auf der Wiese blüht,
Schwermüthig klingt herüber aus der Ferne,
Des Hirtenknaben letztes Lied.

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[0129] seinen Balladen und Romanzen, in denen er Sagen seiner Landschaft durch Verse erzählt. Auch hier ist der gebildete Nomanzenton herrschend, aber die Freude an sentimentalen Schluß bewirkt, daß er tragische Ausgänge gern zu plötzlich und unvermittelt einführt. Nur einige Mal klingen diese Gedichte in Maß und Ton an die alte volksmäßige Darstellung an. Was aber die innere Freiheit seiner Bildung wohl am meisten charakteu- sirt, ist der Umstand, daß er einige Mal auch im Dialekt seiner Heimath ge¬ dichtet hat. Wer diese Art von poetischen Wirkungen sucht, der hat bereits einen behaglichen Genuß am Dialekt, wie er erst durch sichere Bildung inner- halb des Bereichs der Schriftsprache zu kommen pflegt. Ebenfalls lehrreich ist. daß er selbst da nicht grade volksmäßig spricht, wo er reale Zustände seines eignen Lebens schildert', z. B. in dem Gedicht: „Meinem alten Pferde". Hier ist das Maß eine Strophe, die er sich aus vier Alexandrinern gebildet hat, und die «spräche hat einiges von der Rococvfärbung des vorigen Jahrhunderts, die ihm irgendwie durch Lectüre iri die Seele kam. Auch aus dieser Gedichtsammlung werden als Beleg für das Gesagte zwei kleine Gedichte mitgetheilt, nicht weil sie die besten der Sammlung wären, son¬ dern weil sie sein Talent nach zwei Seiten bezeichnen; das eine zeigt un¬ gefähr den Reichthum an Anschauungen, welchen er zu verwenden weiß, das andre, wie weit er mit dem rhetorischen Element der Berse, z. B. Antithesen, Haus zu halten versteht: Beim Herannahen des Herbstes. Der kalte Wind des nahen Herbstes wehet Durchs Stoppelfeld, und traurig steht der Wald, In dem nicht mehr aus röthlich gelben Zweigen Das Lied der muntern Sänger schallt. Am fahlen Grashalm bebt im Spinngewebe Demantenschmuck im Morgcnsonnenschein; Des Berges Haupt, auf dem die Geister Hausen, Hülle schon der Nebelschleier ein. Ein Buchclrcgcn rauscht im dürren Laube, Wenn leis der Wind des Baumes Haupt bewegt; Am Hagedorn erglänzen rothe Beeren, Der dort den Wiesenrand umhegt. Der Sandmann zieht die Furchen mit dem Pfluge, Beherrscht der Rosse wildes Paar; Vertraut die Saat dem dunkeln Schoos der Erde Und all sein Hoffen für ein Jahr. Die Nuß entfällt der niedern Haselstaude, Am Weinstock dort die reife Traube glänzt; Froh eilt der Winzer zu dem reichen Segen, Den Hut mit Rcbcnlaub umkränzt. Verschwunden sind die Blumen aller Farben, Zeitlose nur noch auf der Wiese blüht, Schwermüthig klingt herüber aus der Ferne, Des Hirtenknaben letztes Lied.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/129>, abgerufen am 29.06.2024.