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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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keine Folge. Nur einmal, als er von der Militärcommission wegen mangeln¬
dem Maß zurückgestellt war. richtete der Major, durch den Landrath aufmerksam
gemacht, die Frage an ihn. oh er in eine Schule treten wollte, deren fremde
Bezeichnung der Jüngling nicht verstand. Er stotterte heraus. daß seine Eltern
ihn schwer entbehren würden, und wurde entlassen. Das war die Gelegenheit,
die ihm das Leben bot, sich festere Bildung zu erwerben, sie kehrte nicht wieder.
Es kamen die unruhige" Jahre 1848 und t84i), er blieb wandernder Stein,
guthandler.

Einen kurzen Abriß seiner Biographie schließt er mit den Worten: "Was
mir blieb, war meine innere Welt. -- Bringe ichs denn in der Welt nicht
weiter, so will ich auf den Trümmern meiner gescheiterten Hoffnungen Gott
einen Altar baut" und ihm danken, daß ich als armer, wandernder Stein¬
guthändler, wenn anch ein kümmerliches, so doch ein selbstverdientes Stücklein
hartes Brod esse."

Wenn man aber die Gedichte liest, ohne zu wissen, auf welchen Seiten¬
pfaden der Verfasser sich die Bildung der Sprache erwarb, und wie er in dem
Empfiudungskreise nivderner deutscher-Lyrik heimisch geworden ihn wird man
schwerlich ahnen, daß der Dichter nicht den gewöhnlichen Weg der Schule und
Universität gegangen ist. Seine Berse sind nach dem Maßstabe unsrer Kunst
gemessen, nicht ganz correct. er elidirt z. B. nicht das stumme E vor Vocalen,
und seht wohl auch einmal stark betonte Silben in die kurzen seines Daktylus,
aber wen" sein rhythmisches Gefühl auch nicht sein gezogen ist. es erweist sich
in der Strvphcnbildung immer noch kräftiger als in vielen Gedichte" moderner
Lyriker, welchen der Vorwurf gemacht werden muß, daß sie ein halbes Jahr¬
hundert nach Goethe und Schiller das Gehör für reinen Klang fast ganz ver¬
loren haben. Seine Sprache ist die eines gebildeten Mannes, ja sein Wort¬
schatz ist nicht klein, er hat Freude an originellem Ausdruck und weiß mit
Bewußtsein seltne Wörter zu poetischer Färbung zu verwenden. Auch sein
poetisches Empfinden ist so völlig das eines gebildeten Dichters, daß sich bei
ihm der ganze herkömmliche Vonath von poetischen Bildern und Anschauungen
und von Variationen goethescher Ideen findet, welche den Gedichtsammlungen
der meisten modernrn Dichter gemeinsam sind. Er hat ein frommes Gemüth,
die lyrischen Stimmungen, welche dem Christen in der Natur aufgehen, sind
ihm vorzugsweise gelungen, in manchen Strophen gewinnt innige Empfindung
auel schön gehaltenen Ausdruck. Auch wo er die Natur betrachtet, ist es ganz
in unsrer gebildeten Weise. Grundton ist auch ihm die uralte heimische Stim¬
mung: Freude über das Erwachen im Frühling und Herzbeklemmung über
das Welken im Herbst: Röslein, Waldbach. Bergruine. Morgen und Abend
fehlen nicht.

Daß er ein weiches Kind aus dem Volke ist. erkennt man zumeist aus


keine Folge. Nur einmal, als er von der Militärcommission wegen mangeln¬
dem Maß zurückgestellt war. richtete der Major, durch den Landrath aufmerksam
gemacht, die Frage an ihn. oh er in eine Schule treten wollte, deren fremde
Bezeichnung der Jüngling nicht verstand. Er stotterte heraus. daß seine Eltern
ihn schwer entbehren würden, und wurde entlassen. Das war die Gelegenheit,
die ihm das Leben bot, sich festere Bildung zu erwerben, sie kehrte nicht wieder.
Es kamen die unruhige» Jahre 1848 und t84i), er blieb wandernder Stein,
guthandler.

Einen kurzen Abriß seiner Biographie schließt er mit den Worten: „Was
mir blieb, war meine innere Welt. — Bringe ichs denn in der Welt nicht
weiter, so will ich auf den Trümmern meiner gescheiterten Hoffnungen Gott
einen Altar baut» und ihm danken, daß ich als armer, wandernder Stein¬
guthändler, wenn anch ein kümmerliches, so doch ein selbstverdientes Stücklein
hartes Brod esse."

Wenn man aber die Gedichte liest, ohne zu wissen, auf welchen Seiten¬
pfaden der Verfasser sich die Bildung der Sprache erwarb, und wie er in dem
Empfiudungskreise nivderner deutscher-Lyrik heimisch geworden ihn wird man
schwerlich ahnen, daß der Dichter nicht den gewöhnlichen Weg der Schule und
Universität gegangen ist. Seine Berse sind nach dem Maßstabe unsrer Kunst
gemessen, nicht ganz correct. er elidirt z. B. nicht das stumme E vor Vocalen,
und seht wohl auch einmal stark betonte Silben in die kurzen seines Daktylus,
aber wen» sein rhythmisches Gefühl auch nicht sein gezogen ist. es erweist sich
in der Strvphcnbildung immer noch kräftiger als in vielen Gedichte» moderner
Lyriker, welchen der Vorwurf gemacht werden muß, daß sie ein halbes Jahr¬
hundert nach Goethe und Schiller das Gehör für reinen Klang fast ganz ver¬
loren haben. Seine Sprache ist die eines gebildeten Mannes, ja sein Wort¬
schatz ist nicht klein, er hat Freude an originellem Ausdruck und weiß mit
Bewußtsein seltne Wörter zu poetischer Färbung zu verwenden. Auch sein
poetisches Empfinden ist so völlig das eines gebildeten Dichters, daß sich bei
ihm der ganze herkömmliche Vonath von poetischen Bildern und Anschauungen
und von Variationen goethescher Ideen findet, welche den Gedichtsammlungen
der meisten modernrn Dichter gemeinsam sind. Er hat ein frommes Gemüth,
die lyrischen Stimmungen, welche dem Christen in der Natur aufgehen, sind
ihm vorzugsweise gelungen, in manchen Strophen gewinnt innige Empfindung
auel schön gehaltenen Ausdruck. Auch wo er die Natur betrachtet, ist es ganz
in unsrer gebildeten Weise. Grundton ist auch ihm die uralte heimische Stim¬
mung: Freude über das Erwachen im Frühling und Herzbeklemmung über
das Welken im Herbst: Röslein, Waldbach. Bergruine. Morgen und Abend
fehlen nicht.

Daß er ein weiches Kind aus dem Volke ist. erkennt man zumeist aus


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[0128] keine Folge. Nur einmal, als er von der Militärcommission wegen mangeln¬ dem Maß zurückgestellt war. richtete der Major, durch den Landrath aufmerksam gemacht, die Frage an ihn. oh er in eine Schule treten wollte, deren fremde Bezeichnung der Jüngling nicht verstand. Er stotterte heraus. daß seine Eltern ihn schwer entbehren würden, und wurde entlassen. Das war die Gelegenheit, die ihm das Leben bot, sich festere Bildung zu erwerben, sie kehrte nicht wieder. Es kamen die unruhige» Jahre 1848 und t84i), er blieb wandernder Stein, guthandler. Einen kurzen Abriß seiner Biographie schließt er mit den Worten: „Was mir blieb, war meine innere Welt. — Bringe ichs denn in der Welt nicht weiter, so will ich auf den Trümmern meiner gescheiterten Hoffnungen Gott einen Altar baut» und ihm danken, daß ich als armer, wandernder Stein¬ guthändler, wenn anch ein kümmerliches, so doch ein selbstverdientes Stücklein hartes Brod esse." Wenn man aber die Gedichte liest, ohne zu wissen, auf welchen Seiten¬ pfaden der Verfasser sich die Bildung der Sprache erwarb, und wie er in dem Empfiudungskreise nivderner deutscher-Lyrik heimisch geworden ihn wird man schwerlich ahnen, daß der Dichter nicht den gewöhnlichen Weg der Schule und Universität gegangen ist. Seine Berse sind nach dem Maßstabe unsrer Kunst gemessen, nicht ganz correct. er elidirt z. B. nicht das stumme E vor Vocalen, und seht wohl auch einmal stark betonte Silben in die kurzen seines Daktylus, aber wen» sein rhythmisches Gefühl auch nicht sein gezogen ist. es erweist sich in der Strvphcnbildung immer noch kräftiger als in vielen Gedichte» moderner Lyriker, welchen der Vorwurf gemacht werden muß, daß sie ein halbes Jahr¬ hundert nach Goethe und Schiller das Gehör für reinen Klang fast ganz ver¬ loren haben. Seine Sprache ist die eines gebildeten Mannes, ja sein Wort¬ schatz ist nicht klein, er hat Freude an originellem Ausdruck und weiß mit Bewußtsein seltne Wörter zu poetischer Färbung zu verwenden. Auch sein poetisches Empfinden ist so völlig das eines gebildeten Dichters, daß sich bei ihm der ganze herkömmliche Vonath von poetischen Bildern und Anschauungen und von Variationen goethescher Ideen findet, welche den Gedichtsammlungen der meisten modernrn Dichter gemeinsam sind. Er hat ein frommes Gemüth, die lyrischen Stimmungen, welche dem Christen in der Natur aufgehen, sind ihm vorzugsweise gelungen, in manchen Strophen gewinnt innige Empfindung auel schön gehaltenen Ausdruck. Auch wo er die Natur betrachtet, ist es ganz in unsrer gebildeten Weise. Grundton ist auch ihm die uralte heimische Stim¬ mung: Freude über das Erwachen im Frühling und Herzbeklemmung über das Welken im Herbst: Röslein, Waldbach. Bergruine. Morgen und Abend fehlen nicht. Daß er ein weiches Kind aus dem Volke ist. erkennt man zumeist aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/128>, abgerufen am 29.06.2024.