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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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sich doch etwas vorwärts, sie konnten sich sogar ein Häuschen bauen. Wenn
das Frühjahr kam, wurden die kleinen Kinder mit auf die Wanderschaft ge¬
nommen. Durch Unwetter und Sonnenbrand zogen sie bald auf dem Arm der Eltern,
bald auf dem Rücken des Esels, zwischen Gläsern und Töpfen von Dorf zu
Dorf. Wenn im Winter die Mutter mit den Kindern zu Hause blieb, da führte
der Vater doch seinen Esel durch den Schnee nach Verdienst. Von solcher
Fahrt kam er einst auf den Tod erkältet heim, eine schwere Krankheit warf ihn
auf das Lager; als er im Frühjahr genas, war das Eselein verkauft, das Haus
tief verschuldet, kein Brod im Hause und bei den Verwandten keine Hilfe.
Wenn die Gläubiger in das Haus traten, ihr Geld zu fordern, so gingen sie
beim Anblick der Noth, ohne ein Wort zu sagen, wieder fort. Ein gutmüthiger
Verwandter schaffte den Hungernden endlich den Rest seiner Winterkartoffeln
ins Haus, heimlich vor seinen Leuten, welche auch Ansprüche darauf machten.

Von neuem begann der Kampf um das Leben, wieder wurde ein Esel
und irdene Waare geborgt und mit neuer Hoffnung zog wieder die Familie
haufirend durch das Land. Und wieder kam sie etwas herauf.

Als Jacob sieben Jahre alt war. lief er in die Schule, nur im Winter,
weil er im Sommer wandern mußte, und auch dann nur, wenn er nicht grade
krank war. Er war aber ein zartes Kind und die Landstraße im fallen Herbst
machte ihn oft für die nächsten Monate elend. Früh regte sich in dem Kinde
die geschäftige Phantasie; das Rechnen gedieh ihm nicht, aber Bücher zu lesen
hatte er Heißhunger. Die Bilder zahlloser Märchen und Geschichten füllten
ihm den Kopf, was er gelernt hatte, bewahrte er in treuem Gedächtniß, am
liebsten Verse. Gern zeichnete er und übte sich, wo er konnte; auf der Flöte
versuchte er selbst blasen zu lernen, und es gelang, aber er hatte niemand, der
ihm die Noten lehren konnte, nur ein alter Kirmesmusikant, der seine Kunst
nach dem Gehör übte, brachte dem Knaben einige Tänze und Lieder bei.

Der Knabe wuchs heran. Seine Eltern hatten unterdeß ein wenig Acker¬
land, ein Wicscnfiück erhandelt, auch einen kleinen Karren für die Waare und
statt des Esels ein Pferd. Jacob half treulich im Geschäft, aber ihm war
traurig zu Muth. "Alle Thüren zu einem höhern Erkennen waren mir ver¬
schlossen." Da fand er einen jungen Mann aus den gebildeten Ständen, der
sich seiner zuweilen annahm, die Fehler seiner Zeichnungen corrigirte und ihm
fleißig Bücher lieh, durch ihn lernte der Jüngling zuerst gute Gedichte kennen.
Und hingerissen von ihrer Schönheit versuchte er selbst die geheimnißvolle Kunst.

Als Jacob dem Herrn Pfarrer und später dem Herrn Landrath auf ihr
Begehren seine poetischen Versuche zeigte, wollte man nicht glauben, daß er der
Verfasser sei und daß er auch die Randzeichnungen dazu gefertigt, und behandelte
ihn. wie das vornehmer Theilnahme wohl in solchen Fällen begegnet, als Be-
trüger. Für sein Leben hatte das kühle Wohlwollen seiner Gönner weiter


sich doch etwas vorwärts, sie konnten sich sogar ein Häuschen bauen. Wenn
das Frühjahr kam, wurden die kleinen Kinder mit auf die Wanderschaft ge¬
nommen. Durch Unwetter und Sonnenbrand zogen sie bald auf dem Arm der Eltern,
bald auf dem Rücken des Esels, zwischen Gläsern und Töpfen von Dorf zu
Dorf. Wenn im Winter die Mutter mit den Kindern zu Hause blieb, da führte
der Vater doch seinen Esel durch den Schnee nach Verdienst. Von solcher
Fahrt kam er einst auf den Tod erkältet heim, eine schwere Krankheit warf ihn
auf das Lager; als er im Frühjahr genas, war das Eselein verkauft, das Haus
tief verschuldet, kein Brod im Hause und bei den Verwandten keine Hilfe.
Wenn die Gläubiger in das Haus traten, ihr Geld zu fordern, so gingen sie
beim Anblick der Noth, ohne ein Wort zu sagen, wieder fort. Ein gutmüthiger
Verwandter schaffte den Hungernden endlich den Rest seiner Winterkartoffeln
ins Haus, heimlich vor seinen Leuten, welche auch Ansprüche darauf machten.

Von neuem begann der Kampf um das Leben, wieder wurde ein Esel
und irdene Waare geborgt und mit neuer Hoffnung zog wieder die Familie
haufirend durch das Land. Und wieder kam sie etwas herauf.

Als Jacob sieben Jahre alt war. lief er in die Schule, nur im Winter,
weil er im Sommer wandern mußte, und auch dann nur, wenn er nicht grade
krank war. Er war aber ein zartes Kind und die Landstraße im fallen Herbst
machte ihn oft für die nächsten Monate elend. Früh regte sich in dem Kinde
die geschäftige Phantasie; das Rechnen gedieh ihm nicht, aber Bücher zu lesen
hatte er Heißhunger. Die Bilder zahlloser Märchen und Geschichten füllten
ihm den Kopf, was er gelernt hatte, bewahrte er in treuem Gedächtniß, am
liebsten Verse. Gern zeichnete er und übte sich, wo er konnte; auf der Flöte
versuchte er selbst blasen zu lernen, und es gelang, aber er hatte niemand, der
ihm die Noten lehren konnte, nur ein alter Kirmesmusikant, der seine Kunst
nach dem Gehör übte, brachte dem Knaben einige Tänze und Lieder bei.

Der Knabe wuchs heran. Seine Eltern hatten unterdeß ein wenig Acker¬
land, ein Wicscnfiück erhandelt, auch einen kleinen Karren für die Waare und
statt des Esels ein Pferd. Jacob half treulich im Geschäft, aber ihm war
traurig zu Muth. „Alle Thüren zu einem höhern Erkennen waren mir ver¬
schlossen." Da fand er einen jungen Mann aus den gebildeten Ständen, der
sich seiner zuweilen annahm, die Fehler seiner Zeichnungen corrigirte und ihm
fleißig Bücher lieh, durch ihn lernte der Jüngling zuerst gute Gedichte kennen.
Und hingerissen von ihrer Schönheit versuchte er selbst die geheimnißvolle Kunst.

Als Jacob dem Herrn Pfarrer und später dem Herrn Landrath auf ihr
Begehren seine poetischen Versuche zeigte, wollte man nicht glauben, daß er der
Verfasser sei und daß er auch die Randzeichnungen dazu gefertigt, und behandelte
ihn. wie das vornehmer Theilnahme wohl in solchen Fällen begegnet, als Be-
trüger. Für sein Leben hatte das kühle Wohlwollen seiner Gönner weiter


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[0127] sich doch etwas vorwärts, sie konnten sich sogar ein Häuschen bauen. Wenn das Frühjahr kam, wurden die kleinen Kinder mit auf die Wanderschaft ge¬ nommen. Durch Unwetter und Sonnenbrand zogen sie bald auf dem Arm der Eltern, bald auf dem Rücken des Esels, zwischen Gläsern und Töpfen von Dorf zu Dorf. Wenn im Winter die Mutter mit den Kindern zu Hause blieb, da führte der Vater doch seinen Esel durch den Schnee nach Verdienst. Von solcher Fahrt kam er einst auf den Tod erkältet heim, eine schwere Krankheit warf ihn auf das Lager; als er im Frühjahr genas, war das Eselein verkauft, das Haus tief verschuldet, kein Brod im Hause und bei den Verwandten keine Hilfe. Wenn die Gläubiger in das Haus traten, ihr Geld zu fordern, so gingen sie beim Anblick der Noth, ohne ein Wort zu sagen, wieder fort. Ein gutmüthiger Verwandter schaffte den Hungernden endlich den Rest seiner Winterkartoffeln ins Haus, heimlich vor seinen Leuten, welche auch Ansprüche darauf machten. Von neuem begann der Kampf um das Leben, wieder wurde ein Esel und irdene Waare geborgt und mit neuer Hoffnung zog wieder die Familie haufirend durch das Land. Und wieder kam sie etwas herauf. Als Jacob sieben Jahre alt war. lief er in die Schule, nur im Winter, weil er im Sommer wandern mußte, und auch dann nur, wenn er nicht grade krank war. Er war aber ein zartes Kind und die Landstraße im fallen Herbst machte ihn oft für die nächsten Monate elend. Früh regte sich in dem Kinde die geschäftige Phantasie; das Rechnen gedieh ihm nicht, aber Bücher zu lesen hatte er Heißhunger. Die Bilder zahlloser Märchen und Geschichten füllten ihm den Kopf, was er gelernt hatte, bewahrte er in treuem Gedächtniß, am liebsten Verse. Gern zeichnete er und übte sich, wo er konnte; auf der Flöte versuchte er selbst blasen zu lernen, und es gelang, aber er hatte niemand, der ihm die Noten lehren konnte, nur ein alter Kirmesmusikant, der seine Kunst nach dem Gehör übte, brachte dem Knaben einige Tänze und Lieder bei. Der Knabe wuchs heran. Seine Eltern hatten unterdeß ein wenig Acker¬ land, ein Wicscnfiück erhandelt, auch einen kleinen Karren für die Waare und statt des Esels ein Pferd. Jacob half treulich im Geschäft, aber ihm war traurig zu Muth. „Alle Thüren zu einem höhern Erkennen waren mir ver¬ schlossen." Da fand er einen jungen Mann aus den gebildeten Ständen, der sich seiner zuweilen annahm, die Fehler seiner Zeichnungen corrigirte und ihm fleißig Bücher lieh, durch ihn lernte der Jüngling zuerst gute Gedichte kennen. Und hingerissen von ihrer Schönheit versuchte er selbst die geheimnißvolle Kunst. Als Jacob dem Herrn Pfarrer und später dem Herrn Landrath auf ihr Begehren seine poetischen Versuche zeigte, wollte man nicht glauben, daß er der Verfasser sei und daß er auch die Randzeichnungen dazu gefertigt, und behandelte ihn. wie das vornehmer Theilnahme wohl in solchen Fällen begegnet, als Be- trüger. Für sein Leben hatte das kühle Wohlwollen seiner Gönner weiter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/127>, abgerufen am 29.06.2024.