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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Wohl gesungen und verklungen.
Ist das Lied in Klang und Wort,
Doch das Schöne seiner Töne,
Lebt in meinem Herzen fort, --
Alles schweiget, und es steiget
Auf zum Himmel mein Gebet,
Das vom Höchsten Glück und Segen,
Für die Theuren mein erfleht.

Der dies schrieb, hat nur in einer Dorfschule dürftigen Unterricht erhalten,
er ist seit seinem dreizehnten Jahre Fabrikarbeiter, er weiß, daß der demant¬
harte Staub, den er athmet, seine Lungen zerstört, er weiß, daß man achsel-
zuckend sagt, seinesgleichen werde selten über vierzig alt, und er zählt sechsund¬
dreißig Jahre, darunter dreiundzwanzig in weißem Staube, der ihm jeden Werkeltag
Antlitz und Kleid mit bleichem Totenglanz überdeckt. Und doch singt er wie ein
Vogel des thüringer Waldes. Wenn ihm die Sorge um Weib und Kind das Herz
bedrängt, dann feiert er den allgütigen Vater in wohlgefügten Berse und holt
sich Muth aus dem eigenen Liede; wenn ein hochmüthiger Geldkauz auf ihn
herabsieht, hebt er stolz sein Haupt und denkt, er kann doch keine Zeile er¬
dichten; und wenn ihm eine warme Empfindung das Herz gehoben hat, so eilt
er an seinen Schreibtisch und hebt sie schriftlich auf, und so oft er das Blatt,
worin er sie verzeichnet, wieder hervorzieht, kehrt ihm die schöne Stunde wie¬
der, und ein goldiger Schein zieht über seinen Arbeitstisch, die Wände der
engen Stube, um sein Haupt und die Häupter seiner Lieben.

Der andere Dichter ist ein Landsmann Jacob Müllers, um einige Jahre
älter und darum auch bereits berühmter. Ein stattliches Bändchen seiner Ge¬
dichte liegt schon in zweiter Auflage vor. unter dem Titel:

Gedichte von Peter Zirbes. wandernden Steinguthändler aus Nieder-
krail. Kreis Widekind, Regierungsbezirk Trier. Zweite Auflage. Selbstverlag des
Verfassers. 1865.

Peter Zirbes ist wie Jacob Müller aus der Saargegend, auch er ist mit
irdener Waare beschäftigt, während die Göttin der Dichtkunst ihm gütig zu¬
lächelt, auch sein Talent arbeitete sich aus der Noth eines engen Lebens her¬
auf, er verkauft jetzt neben Glas und Steingut seine Gedichte.

Schon sein Vater und die Eltern seiner Mutter trieben Hausirhandel,
Vater und Mutter bekamen bei der Verheirathung ein Leintuch und einen E߬
löffel als Ausstattung mit. Die jungen Gatten borgten ihre Porcellanwaaren
in der Fabrik, dazu irgendwo einen Esel und begannen mit 40 Thalern
Schulden ihren Erwerb. Im Sommer zogen sie durch das Land, zum Winter
kehrten sie in das Heimathsdorf zurück; dort verstärkte gleich im ersten Jahre
der kleine Peter den Haushalt durch sein irdisches Auftreten. Die Eltern brachten


Wohl gesungen und verklungen.
Ist das Lied in Klang und Wort,
Doch das Schöne seiner Töne,
Lebt in meinem Herzen fort, —
Alles schweiget, und es steiget
Auf zum Himmel mein Gebet,
Das vom Höchsten Glück und Segen,
Für die Theuren mein erfleht.

Der dies schrieb, hat nur in einer Dorfschule dürftigen Unterricht erhalten,
er ist seit seinem dreizehnten Jahre Fabrikarbeiter, er weiß, daß der demant¬
harte Staub, den er athmet, seine Lungen zerstört, er weiß, daß man achsel-
zuckend sagt, seinesgleichen werde selten über vierzig alt, und er zählt sechsund¬
dreißig Jahre, darunter dreiundzwanzig in weißem Staube, der ihm jeden Werkeltag
Antlitz und Kleid mit bleichem Totenglanz überdeckt. Und doch singt er wie ein
Vogel des thüringer Waldes. Wenn ihm die Sorge um Weib und Kind das Herz
bedrängt, dann feiert er den allgütigen Vater in wohlgefügten Berse und holt
sich Muth aus dem eigenen Liede; wenn ein hochmüthiger Geldkauz auf ihn
herabsieht, hebt er stolz sein Haupt und denkt, er kann doch keine Zeile er¬
dichten; und wenn ihm eine warme Empfindung das Herz gehoben hat, so eilt
er an seinen Schreibtisch und hebt sie schriftlich auf, und so oft er das Blatt,
worin er sie verzeichnet, wieder hervorzieht, kehrt ihm die schöne Stunde wie¬
der, und ein goldiger Schein zieht über seinen Arbeitstisch, die Wände der
engen Stube, um sein Haupt und die Häupter seiner Lieben.

Der andere Dichter ist ein Landsmann Jacob Müllers, um einige Jahre
älter und darum auch bereits berühmter. Ein stattliches Bändchen seiner Ge¬
dichte liegt schon in zweiter Auflage vor. unter dem Titel:

Gedichte von Peter Zirbes. wandernden Steinguthändler aus Nieder-
krail. Kreis Widekind, Regierungsbezirk Trier. Zweite Auflage. Selbstverlag des
Verfassers. 1865.

Peter Zirbes ist wie Jacob Müller aus der Saargegend, auch er ist mit
irdener Waare beschäftigt, während die Göttin der Dichtkunst ihm gütig zu¬
lächelt, auch sein Talent arbeitete sich aus der Noth eines engen Lebens her¬
auf, er verkauft jetzt neben Glas und Steingut seine Gedichte.

Schon sein Vater und die Eltern seiner Mutter trieben Hausirhandel,
Vater und Mutter bekamen bei der Verheirathung ein Leintuch und einen E߬
löffel als Ausstattung mit. Die jungen Gatten borgten ihre Porcellanwaaren
in der Fabrik, dazu irgendwo einen Esel und begannen mit 40 Thalern
Schulden ihren Erwerb. Im Sommer zogen sie durch das Land, zum Winter
kehrten sie in das Heimathsdorf zurück; dort verstärkte gleich im ersten Jahre
der kleine Peter den Haushalt durch sein irdisches Auftreten. Die Eltern brachten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/126>, abgerufen am 29.06.2024.