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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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daß die Leser d. Bl. einige Augenblicke mit Antheil darüber verweilen. Der
Titel des ersten Bändchens ist:

Poetische Bilder aus dem Leben von Fr. Jacob Müller. Im
Selbstverlag des Verfassers. Ohrdruf. in Commission bei Aug. Stadei-
mann jun. 1866. ,

Der Dichter lebt zu Nauendorf bei Ohrdruf. ist in einem kleinen Dorfe
an der Saar geboren, nur mit der dürftigen Schulbildung, welche eine Land¬
schule gewähren kann, ausgestattet, seit seinem dreizehnten Jahre als Porcellan¬
dreher in einer Fabrik thätig. Seine Arbeit zerstört die Gesundheit, in einer
Zuschrift an den Referenten äußert er, daß ein Porcellandreber selten älter als
vierzig Jahre werde, er habe nicht mehr weit bis zu diesem Jahre, da sei ihm
eilig, Leser und Freunde zu gewinnen, denn ihm sei eine gute Frau und mehre
Kinder bescheert, denen er freundlichen Antheil werben möchte. Und er meine
wohl, es sei etwas an seinen Gedichten; denn sie hätten ihm viel große Stun¬
den gemacht, bei seiner anstrengenden Berufsthätigkeit habe er seit frühster
Jugend den Drang, sein Gefühl in Versen auszudrücken. Man möge die
Sache prüfen, urtheilen und ihm die Belege zuschicken. -- Dem Bändchen
sind auch, damit man von'der Wahrheit seiner Darstellung überzeugt werde,
empfehlende Zeugnisse des Herrn Superintendenten, des Herrn Bürgermeisters
und des thüringschen Dichters Adolf Bube beigefügt, durch welche bekräftigt
wird, daß der Dichter ein gemüthvoller und wackrer Mann sei. der auch nach
Kräften die Bildung des Arbeiterstandes z" fördern suche, der Bürgermeister
verfehlt nicht, als löblich beizufügen, daß die vorliegende Arbeit aller Politik
fern stehe und sich nur "mit rein sittlichen, Hebung des Gemüthes abzweckenden
Gegenständen beschäftige." So erscheint Müllers Poesie nach alter deutscher
Weise durch Eideshelfer. sichere Männer aus dem lieben gothaischen Lande
bestätigt. Der Verfasser beginnt mit den Worten:

Dem armen Vogel gleich, der sich gefangen -- Im engen Raume eines
Käfigs sieht: -- So singe ich voll Sehnsucht und Verlangen -- Nach Geistes¬
freiheit auch mein schwaches Lied. -- Man mustere den Inhalt: Lied auf die
Hoffnung, die treuste Freundin der Armen, Anbetung Gottes, des liebenden All¬
vaters, der allen Menschen derselbe sei, Frühlingsgefühle und Naturgenuß, die
Freiheit der Berge gegenüber dem Dampf der Erde; wehmüthige Erinnerung
an die geschiedenen Lieben und an sein Heimathdorf Mettlach an der Saar, gute
und schön empsundne Lehren des Vaters an sein Kind, Wahrheit und Recht.
Vorwärts, Haß gegen dummen Geldstolz und Muckerthum, Lob der Turnerei
und Festgedichte und überall warmes Familiengefühl. Es ist die ideale Habe
eines Arbeiters, genau der Kreis von Interessen ist idealistrt. welche dem
intelligenten Sohne des Volkes in der Gegenwart nahe liegen. Ma" sieht
ein ernstes Streben nach Bildung, fleißige Lectüre und ein gutes Gemüth.


daß die Leser d. Bl. einige Augenblicke mit Antheil darüber verweilen. Der
Titel des ersten Bändchens ist:

Poetische Bilder aus dem Leben von Fr. Jacob Müller. Im
Selbstverlag des Verfassers. Ohrdruf. in Commission bei Aug. Stadei-
mann jun. 1866. ,

Der Dichter lebt zu Nauendorf bei Ohrdruf. ist in einem kleinen Dorfe
an der Saar geboren, nur mit der dürftigen Schulbildung, welche eine Land¬
schule gewähren kann, ausgestattet, seit seinem dreizehnten Jahre als Porcellan¬
dreher in einer Fabrik thätig. Seine Arbeit zerstört die Gesundheit, in einer
Zuschrift an den Referenten äußert er, daß ein Porcellandreber selten älter als
vierzig Jahre werde, er habe nicht mehr weit bis zu diesem Jahre, da sei ihm
eilig, Leser und Freunde zu gewinnen, denn ihm sei eine gute Frau und mehre
Kinder bescheert, denen er freundlichen Antheil werben möchte. Und er meine
wohl, es sei etwas an seinen Gedichten; denn sie hätten ihm viel große Stun¬
den gemacht, bei seiner anstrengenden Berufsthätigkeit habe er seit frühster
Jugend den Drang, sein Gefühl in Versen auszudrücken. Man möge die
Sache prüfen, urtheilen und ihm die Belege zuschicken. — Dem Bändchen
sind auch, damit man von'der Wahrheit seiner Darstellung überzeugt werde,
empfehlende Zeugnisse des Herrn Superintendenten, des Herrn Bürgermeisters
und des thüringschen Dichters Adolf Bube beigefügt, durch welche bekräftigt
wird, daß der Dichter ein gemüthvoller und wackrer Mann sei. der auch nach
Kräften die Bildung des Arbeiterstandes z» fördern suche, der Bürgermeister
verfehlt nicht, als löblich beizufügen, daß die vorliegende Arbeit aller Politik
fern stehe und sich nur „mit rein sittlichen, Hebung des Gemüthes abzweckenden
Gegenständen beschäftige." So erscheint Müllers Poesie nach alter deutscher
Weise durch Eideshelfer. sichere Männer aus dem lieben gothaischen Lande
bestätigt. Der Verfasser beginnt mit den Worten:

Dem armen Vogel gleich, der sich gefangen — Im engen Raume eines
Käfigs sieht: — So singe ich voll Sehnsucht und Verlangen — Nach Geistes¬
freiheit auch mein schwaches Lied. — Man mustere den Inhalt: Lied auf die
Hoffnung, die treuste Freundin der Armen, Anbetung Gottes, des liebenden All¬
vaters, der allen Menschen derselbe sei, Frühlingsgefühle und Naturgenuß, die
Freiheit der Berge gegenüber dem Dampf der Erde; wehmüthige Erinnerung
an die geschiedenen Lieben und an sein Heimathdorf Mettlach an der Saar, gute
und schön empsundne Lehren des Vaters an sein Kind, Wahrheit und Recht.
Vorwärts, Haß gegen dummen Geldstolz und Muckerthum, Lob der Turnerei
und Festgedichte und überall warmes Familiengefühl. Es ist die ideale Habe
eines Arbeiters, genau der Kreis von Interessen ist idealistrt. welche dem
intelligenten Sohne des Volkes in der Gegenwart nahe liegen. Ma» sieht
ein ernstes Streben nach Bildung, fleißige Lectüre und ein gutes Gemüth.


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[0122] daß die Leser d. Bl. einige Augenblicke mit Antheil darüber verweilen. Der Titel des ersten Bändchens ist: Poetische Bilder aus dem Leben von Fr. Jacob Müller. Im Selbstverlag des Verfassers. Ohrdruf. in Commission bei Aug. Stadei- mann jun. 1866. , Der Dichter lebt zu Nauendorf bei Ohrdruf. ist in einem kleinen Dorfe an der Saar geboren, nur mit der dürftigen Schulbildung, welche eine Land¬ schule gewähren kann, ausgestattet, seit seinem dreizehnten Jahre als Porcellan¬ dreher in einer Fabrik thätig. Seine Arbeit zerstört die Gesundheit, in einer Zuschrift an den Referenten äußert er, daß ein Porcellandreber selten älter als vierzig Jahre werde, er habe nicht mehr weit bis zu diesem Jahre, da sei ihm eilig, Leser und Freunde zu gewinnen, denn ihm sei eine gute Frau und mehre Kinder bescheert, denen er freundlichen Antheil werben möchte. Und er meine wohl, es sei etwas an seinen Gedichten; denn sie hätten ihm viel große Stun¬ den gemacht, bei seiner anstrengenden Berufsthätigkeit habe er seit frühster Jugend den Drang, sein Gefühl in Versen auszudrücken. Man möge die Sache prüfen, urtheilen und ihm die Belege zuschicken. — Dem Bändchen sind auch, damit man von'der Wahrheit seiner Darstellung überzeugt werde, empfehlende Zeugnisse des Herrn Superintendenten, des Herrn Bürgermeisters und des thüringschen Dichters Adolf Bube beigefügt, durch welche bekräftigt wird, daß der Dichter ein gemüthvoller und wackrer Mann sei. der auch nach Kräften die Bildung des Arbeiterstandes z» fördern suche, der Bürgermeister verfehlt nicht, als löblich beizufügen, daß die vorliegende Arbeit aller Politik fern stehe und sich nur „mit rein sittlichen, Hebung des Gemüthes abzweckenden Gegenständen beschäftige." So erscheint Müllers Poesie nach alter deutscher Weise durch Eideshelfer. sichere Männer aus dem lieben gothaischen Lande bestätigt. Der Verfasser beginnt mit den Worten: Dem armen Vogel gleich, der sich gefangen — Im engen Raume eines Käfigs sieht: — So singe ich voll Sehnsucht und Verlangen — Nach Geistes¬ freiheit auch mein schwaches Lied. — Man mustere den Inhalt: Lied auf die Hoffnung, die treuste Freundin der Armen, Anbetung Gottes, des liebenden All¬ vaters, der allen Menschen derselbe sei, Frühlingsgefühle und Naturgenuß, die Freiheit der Berge gegenüber dem Dampf der Erde; wehmüthige Erinnerung an die geschiedenen Lieben und an sein Heimathdorf Mettlach an der Saar, gute und schön empsundne Lehren des Vaters an sein Kind, Wahrheit und Recht. Vorwärts, Haß gegen dummen Geldstolz und Muckerthum, Lob der Turnerei und Festgedichte und überall warmes Familiengefühl. Es ist die ideale Habe eines Arbeiters, genau der Kreis von Interessen ist idealistrt. welche dem intelligenten Sohne des Volkes in der Gegenwart nahe liegen. Ma» sieht ein ernstes Streben nach Bildung, fleißige Lectüre und ein gutes Gemüth.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/122>, abgerufen am 29.06.2024.