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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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diese Studien nur mit der äußersten Vorsicht gemacht werden dürfen, da die
Entlehnung von Wörtern aus einer verwandten Sprache in die andre, die un¬
abhängige Bildung ähnlicher Wörter aus gemeinschaftlichen Wurzeln und noch
allerlei andere Umstände den Forscher leicht irre führen, und wirklich ist man
hier mitunter zu weit gegangen und hat zu voreilig genaue Darstellungen der
urindogermanischen Zustände geben wollen: aber es ist doch unläugbar, daß
schon eine große Zahl völlig sicherer Daten über die Lebensverhältnisse jenes
Urvolks in vorgeschichtlicher Zeit ermittelt ist. Auch über seine geographische
Heimath und die Wanderung der einzelnen Völker in die Wohnsitze, in denen
wir dieselben in geschichtlicher Zeit finden, ist schon manches mit Hilfe der Sprach¬
vergleichung gefunden.

Besonders wichtig ward diese Wissenschaft für die Erkenntniß der religiösen
Anschauungen unsrer asiatischen Voreltern. Nicht nur ergiebt sie selbst manche
Ausbeute in dieser Hinsicht, sondern vornehmlich ist hier die Anregung zu
beachten, welche sie dem Streben gab, mit Hilfe der zum Theil durch sie
erst aufgeschlossnen oder doch in ein neues Licht gestellten ältesten religiösen
Schriften eine vergleichende Mythologie der Indogermanen zu schaffen. Bedeutende
Forschungen sind auf diesem Gebiet gemacht, wenn auch nicht zu läugnen ist,
daß die vergleichende Mythologie noch weit davon entfernt ist, die Festigkeit
der Methode und die Sicherheit der Resultate zu erreichen, welcher sich die
eigentliche Sprachvergleichung schon jetzt erfreut.

Wir könnten noch mancherlei andere vergleichende Studien nennen, welche
durch die von Bopp geschaffene Wissenschaft angeregt sind, wir wollen uns
aber kurz fassen und nur noch einen der, wichtigsten Punkte hervorheben, näm¬
lich die Einwirkung, welche die indogermanische Sprachvergleichung aus die
Sprachwissenschaft im Allgemeinen gehabt hat. Wenn wir oben die Sprach"
vergleichung für einen ganz neuen Wissenszweig erklärten, so war das allerdings
nur in dem Sinne richtig, als es sich um die Zusammenstellung weit ver¬
zweigter, zwar urverwandter, aber im Lauf der Zeit stark auseinanderge¬
gangener Sprachen handelte. Auf beschränkteren Gebieten war allerdings auch
schon früher eine wissenschaftlich strenge Vergleichung von Sprachen und Dialekten
versucht und zum Theil glücklich durchgeführt. Namentlich gilt dies von den
semitischen Sprachen, deren Verwandtschaft unter einander freilich so eng ist, daß
sich die Gleichartigkeit ihres Baus bei der ersten Betrachtung aufdrängen und
sich ein ungefähres Verständniß ihres gegenseitigen Verhältnisses der ernsten
wissenschaftlichen Bemühung erschließen mußte, wenn auch immerhin mancherlei
Umstände, besonders das theologische Vorurtheil über die Ursprünglichkeit des
Hebräischen, hinderlich waren. Aber solche Sprachvergleichung auf beschränktem
Gebiet hatte doch nicht die Kraft, die Sprachwissenschaft im Allgemeinen zu
befruchten und aus den rechten Weg zu weisen. Ein Zeugniß davon ist der


diese Studien nur mit der äußersten Vorsicht gemacht werden dürfen, da die
Entlehnung von Wörtern aus einer verwandten Sprache in die andre, die un¬
abhängige Bildung ähnlicher Wörter aus gemeinschaftlichen Wurzeln und noch
allerlei andere Umstände den Forscher leicht irre führen, und wirklich ist man
hier mitunter zu weit gegangen und hat zu voreilig genaue Darstellungen der
urindogermanischen Zustände geben wollen: aber es ist doch unläugbar, daß
schon eine große Zahl völlig sicherer Daten über die Lebensverhältnisse jenes
Urvolks in vorgeschichtlicher Zeit ermittelt ist. Auch über seine geographische
Heimath und die Wanderung der einzelnen Völker in die Wohnsitze, in denen
wir dieselben in geschichtlicher Zeit finden, ist schon manches mit Hilfe der Sprach¬
vergleichung gefunden.

Besonders wichtig ward diese Wissenschaft für die Erkenntniß der religiösen
Anschauungen unsrer asiatischen Voreltern. Nicht nur ergiebt sie selbst manche
Ausbeute in dieser Hinsicht, sondern vornehmlich ist hier die Anregung zu
beachten, welche sie dem Streben gab, mit Hilfe der zum Theil durch sie
erst aufgeschlossnen oder doch in ein neues Licht gestellten ältesten religiösen
Schriften eine vergleichende Mythologie der Indogermanen zu schaffen. Bedeutende
Forschungen sind auf diesem Gebiet gemacht, wenn auch nicht zu läugnen ist,
daß die vergleichende Mythologie noch weit davon entfernt ist, die Festigkeit
der Methode und die Sicherheit der Resultate zu erreichen, welcher sich die
eigentliche Sprachvergleichung schon jetzt erfreut.

Wir könnten noch mancherlei andere vergleichende Studien nennen, welche
durch die von Bopp geschaffene Wissenschaft angeregt sind, wir wollen uns
aber kurz fassen und nur noch einen der, wichtigsten Punkte hervorheben, näm¬
lich die Einwirkung, welche die indogermanische Sprachvergleichung aus die
Sprachwissenschaft im Allgemeinen gehabt hat. Wenn wir oben die Sprach«
vergleichung für einen ganz neuen Wissenszweig erklärten, so war das allerdings
nur in dem Sinne richtig, als es sich um die Zusammenstellung weit ver¬
zweigter, zwar urverwandter, aber im Lauf der Zeit stark auseinanderge¬
gangener Sprachen handelte. Auf beschränkteren Gebieten war allerdings auch
schon früher eine wissenschaftlich strenge Vergleichung von Sprachen und Dialekten
versucht und zum Theil glücklich durchgeführt. Namentlich gilt dies von den
semitischen Sprachen, deren Verwandtschaft unter einander freilich so eng ist, daß
sich die Gleichartigkeit ihres Baus bei der ersten Betrachtung aufdrängen und
sich ein ungefähres Verständniß ihres gegenseitigen Verhältnisses der ernsten
wissenschaftlichen Bemühung erschließen mußte, wenn auch immerhin mancherlei
Umstände, besonders das theologische Vorurtheil über die Ursprünglichkeit des
Hebräischen, hinderlich waren. Aber solche Sprachvergleichung auf beschränktem
Gebiet hatte doch nicht die Kraft, die Sprachwissenschaft im Allgemeinen zu
befruchten und aus den rechten Weg zu weisen. Ein Zeugniß davon ist der


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[0108] diese Studien nur mit der äußersten Vorsicht gemacht werden dürfen, da die Entlehnung von Wörtern aus einer verwandten Sprache in die andre, die un¬ abhängige Bildung ähnlicher Wörter aus gemeinschaftlichen Wurzeln und noch allerlei andere Umstände den Forscher leicht irre führen, und wirklich ist man hier mitunter zu weit gegangen und hat zu voreilig genaue Darstellungen der urindogermanischen Zustände geben wollen: aber es ist doch unläugbar, daß schon eine große Zahl völlig sicherer Daten über die Lebensverhältnisse jenes Urvolks in vorgeschichtlicher Zeit ermittelt ist. Auch über seine geographische Heimath und die Wanderung der einzelnen Völker in die Wohnsitze, in denen wir dieselben in geschichtlicher Zeit finden, ist schon manches mit Hilfe der Sprach¬ vergleichung gefunden. Besonders wichtig ward diese Wissenschaft für die Erkenntniß der religiösen Anschauungen unsrer asiatischen Voreltern. Nicht nur ergiebt sie selbst manche Ausbeute in dieser Hinsicht, sondern vornehmlich ist hier die Anregung zu beachten, welche sie dem Streben gab, mit Hilfe der zum Theil durch sie erst aufgeschlossnen oder doch in ein neues Licht gestellten ältesten religiösen Schriften eine vergleichende Mythologie der Indogermanen zu schaffen. Bedeutende Forschungen sind auf diesem Gebiet gemacht, wenn auch nicht zu läugnen ist, daß die vergleichende Mythologie noch weit davon entfernt ist, die Festigkeit der Methode und die Sicherheit der Resultate zu erreichen, welcher sich die eigentliche Sprachvergleichung schon jetzt erfreut. Wir könnten noch mancherlei andere vergleichende Studien nennen, welche durch die von Bopp geschaffene Wissenschaft angeregt sind, wir wollen uns aber kurz fassen und nur noch einen der, wichtigsten Punkte hervorheben, näm¬ lich die Einwirkung, welche die indogermanische Sprachvergleichung aus die Sprachwissenschaft im Allgemeinen gehabt hat. Wenn wir oben die Sprach« vergleichung für einen ganz neuen Wissenszweig erklärten, so war das allerdings nur in dem Sinne richtig, als es sich um die Zusammenstellung weit ver¬ zweigter, zwar urverwandter, aber im Lauf der Zeit stark auseinanderge¬ gangener Sprachen handelte. Auf beschränkteren Gebieten war allerdings auch schon früher eine wissenschaftlich strenge Vergleichung von Sprachen und Dialekten versucht und zum Theil glücklich durchgeführt. Namentlich gilt dies von den semitischen Sprachen, deren Verwandtschaft unter einander freilich so eng ist, daß sich die Gleichartigkeit ihres Baus bei der ersten Betrachtung aufdrängen und sich ein ungefähres Verständniß ihres gegenseitigen Verhältnisses der ernsten wissenschaftlichen Bemühung erschließen mußte, wenn auch immerhin mancherlei Umstände, besonders das theologische Vorurtheil über die Ursprünglichkeit des Hebräischen, hinderlich waren. Aber solche Sprachvergleichung auf beschränktem Gebiet hatte doch nicht die Kraft, die Sprachwissenschaft im Allgemeinen zu befruchten und aus den rechten Weg zu weisen. Ein Zeugniß davon ist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/108>, abgerufen am 29.06.2024.