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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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vergleichung von Lassen begründet.*) Wohl kannte man die heiligen Schriften
der Parsen durch Anquetil. aber erst der neuern vergleichenden Sprachwissen¬
schaft wurde es möglich, nachzuweisen, daß nicht blos Anquetil, sondern auch
sein priesterlicher Lehrer die Schriften in so zahllosen Fällen falsch verstanden,
daß sie ein beständiges Huiä pro Huo geben. Zwar ist das Verständniß dieser
Bücher noch durchaus kein sicheres, und der unerquickliche Hader der Gelehrten,
welche sich mit ihnen beschäftigen, ist noch weit davon erttfernt in Fried und
Einigkeit über gleichmäßige Resultate zu enden, aber das ist doch nicht zu
läugnen, daß seit Burnouf diese dunklen Schriften in ein ganz neues Stadium
des Verständnisses gebeten sind und zwar durch die Anwendung der Mittel,
welche die Sprachvergleichung an die Hand giebt. Auch die heiligen Schriften
der Inder, namentlich die Hymnen des Veda. werden mit Hilfe dieser Mittel
schon jetzt weit besser verstanden, als wenn man allein der traditionellen Aus¬
legung der Brahmanen folgen müßte, und selbst Homers Gedichte empfangen
durch sie vielfach eine neue Beleuchtung. Die einzigen Denkmäler der Sprachen,
welche vor den Eroberungen der Römer und noch geraume Zeit nachher fast
ganz Italien beherrschten, die Mischen, umbrischen, volskischen u. s. w. In¬
schriften werden mit Hilfe der indogermanischen Sprachvergleichung viel sicherer
gedeutet, als wenn man alles aus der, freilich am nächsten verwandten latei¬
nischen erklären müßte. Durch die sprachvergleichende Methode ist es möglich
geworden, das einzige sprachliche Denkmal der alten Preußen, eine Uebersetzung
des lutherischen Katechismus, zu verstehen und darin die Grundzüge der jetzt
lange verschollnen Sprache, einer Schwester der lithauischen, zu erkennen. Und
so hat die Sprachvergleichung das Verständniß der Sprachen und Literaturen
europäischer und asiatischer Völker auf das erfreulichste begründet und gefördert.

Durch das genauere Verständniß der alten Sprachen und ihrer gemein¬
schaftlichen Mutter sind aber auch noch andere Ergebnisse gewonnen. Je mehr
es gelingt, den Worlvorrath genauer zu bestimmen, welcher den indogermanischen
Sprachen von Anfang an gemeinschaftlich war. desto mehr gelingt es auch, ein
ungefähres Bild von dem Eulturzustand unsrer Vorfahren in Zeiten zu ent¬
werfen, an welche keine geschichtliche Ueberlieferung reicht. Erkennen wir z. B.,
daß nicht nur die Namen der wichtigsten Hausthiere, sondern auch allerlei Aus¬
drücke, die sich auf den Ackerbau beziehen, in allen oder den meisten indoger¬
manischen Sprachen dieselben und deshalb als Bestandtheile der indogermanischen
Ursprache anzusehen sind, so lernen wir zugleich, daß unsre Vorfahren schon
damals den Ackerbau kannten, als sie noch mit denen der verwandten Völker
im fernen Asten eine einzige Nation bildeten. Der Leser wird begreifen, daß



") Es handelt sich hier natürlich nur um die Keilschrift der einfachsten Gattung, welch"
jetzt so sicher gelesen werden kann, wie irgendeine beliebige griechische Inschrift, so daß man
den Steinmetzen selbst zufällige Versehen nachweisen kann.
Grenjboten I. 18vo. 1Z

vergleichung von Lassen begründet.*) Wohl kannte man die heiligen Schriften
der Parsen durch Anquetil. aber erst der neuern vergleichenden Sprachwissen¬
schaft wurde es möglich, nachzuweisen, daß nicht blos Anquetil, sondern auch
sein priesterlicher Lehrer die Schriften in so zahllosen Fällen falsch verstanden,
daß sie ein beständiges Huiä pro Huo geben. Zwar ist das Verständniß dieser
Bücher noch durchaus kein sicheres, und der unerquickliche Hader der Gelehrten,
welche sich mit ihnen beschäftigen, ist noch weit davon erttfernt in Fried und
Einigkeit über gleichmäßige Resultate zu enden, aber das ist doch nicht zu
läugnen, daß seit Burnouf diese dunklen Schriften in ein ganz neues Stadium
des Verständnisses gebeten sind und zwar durch die Anwendung der Mittel,
welche die Sprachvergleichung an die Hand giebt. Auch die heiligen Schriften
der Inder, namentlich die Hymnen des Veda. werden mit Hilfe dieser Mittel
schon jetzt weit besser verstanden, als wenn man allein der traditionellen Aus¬
legung der Brahmanen folgen müßte, und selbst Homers Gedichte empfangen
durch sie vielfach eine neue Beleuchtung. Die einzigen Denkmäler der Sprachen,
welche vor den Eroberungen der Römer und noch geraume Zeit nachher fast
ganz Italien beherrschten, die Mischen, umbrischen, volskischen u. s. w. In¬
schriften werden mit Hilfe der indogermanischen Sprachvergleichung viel sicherer
gedeutet, als wenn man alles aus der, freilich am nächsten verwandten latei¬
nischen erklären müßte. Durch die sprachvergleichende Methode ist es möglich
geworden, das einzige sprachliche Denkmal der alten Preußen, eine Uebersetzung
des lutherischen Katechismus, zu verstehen und darin die Grundzüge der jetzt
lange verschollnen Sprache, einer Schwester der lithauischen, zu erkennen. Und
so hat die Sprachvergleichung das Verständniß der Sprachen und Literaturen
europäischer und asiatischer Völker auf das erfreulichste begründet und gefördert.

Durch das genauere Verständniß der alten Sprachen und ihrer gemein¬
schaftlichen Mutter sind aber auch noch andere Ergebnisse gewonnen. Je mehr
es gelingt, den Worlvorrath genauer zu bestimmen, welcher den indogermanischen
Sprachen von Anfang an gemeinschaftlich war. desto mehr gelingt es auch, ein
ungefähres Bild von dem Eulturzustand unsrer Vorfahren in Zeiten zu ent¬
werfen, an welche keine geschichtliche Ueberlieferung reicht. Erkennen wir z. B.,
daß nicht nur die Namen der wichtigsten Hausthiere, sondern auch allerlei Aus¬
drücke, die sich auf den Ackerbau beziehen, in allen oder den meisten indoger¬
manischen Sprachen dieselben und deshalb als Bestandtheile der indogermanischen
Ursprache anzusehen sind, so lernen wir zugleich, daß unsre Vorfahren schon
damals den Ackerbau kannten, als sie noch mit denen der verwandten Völker
im fernen Asten eine einzige Nation bildeten. Der Leser wird begreifen, daß



") Es handelt sich hier natürlich nur um die Keilschrift der einfachsten Gattung, welch«
jetzt so sicher gelesen werden kann, wie irgendeine beliebige griechische Inschrift, so daß man
den Steinmetzen selbst zufällige Versehen nachweisen kann.
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[0107] vergleichung von Lassen begründet.*) Wohl kannte man die heiligen Schriften der Parsen durch Anquetil. aber erst der neuern vergleichenden Sprachwissen¬ schaft wurde es möglich, nachzuweisen, daß nicht blos Anquetil, sondern auch sein priesterlicher Lehrer die Schriften in so zahllosen Fällen falsch verstanden, daß sie ein beständiges Huiä pro Huo geben. Zwar ist das Verständniß dieser Bücher noch durchaus kein sicheres, und der unerquickliche Hader der Gelehrten, welche sich mit ihnen beschäftigen, ist noch weit davon erttfernt in Fried und Einigkeit über gleichmäßige Resultate zu enden, aber das ist doch nicht zu läugnen, daß seit Burnouf diese dunklen Schriften in ein ganz neues Stadium des Verständnisses gebeten sind und zwar durch die Anwendung der Mittel, welche die Sprachvergleichung an die Hand giebt. Auch die heiligen Schriften der Inder, namentlich die Hymnen des Veda. werden mit Hilfe dieser Mittel schon jetzt weit besser verstanden, als wenn man allein der traditionellen Aus¬ legung der Brahmanen folgen müßte, und selbst Homers Gedichte empfangen durch sie vielfach eine neue Beleuchtung. Die einzigen Denkmäler der Sprachen, welche vor den Eroberungen der Römer und noch geraume Zeit nachher fast ganz Italien beherrschten, die Mischen, umbrischen, volskischen u. s. w. In¬ schriften werden mit Hilfe der indogermanischen Sprachvergleichung viel sicherer gedeutet, als wenn man alles aus der, freilich am nächsten verwandten latei¬ nischen erklären müßte. Durch die sprachvergleichende Methode ist es möglich geworden, das einzige sprachliche Denkmal der alten Preußen, eine Uebersetzung des lutherischen Katechismus, zu verstehen und darin die Grundzüge der jetzt lange verschollnen Sprache, einer Schwester der lithauischen, zu erkennen. Und so hat die Sprachvergleichung das Verständniß der Sprachen und Literaturen europäischer und asiatischer Völker auf das erfreulichste begründet und gefördert. Durch das genauere Verständniß der alten Sprachen und ihrer gemein¬ schaftlichen Mutter sind aber auch noch andere Ergebnisse gewonnen. Je mehr es gelingt, den Worlvorrath genauer zu bestimmen, welcher den indogermanischen Sprachen von Anfang an gemeinschaftlich war. desto mehr gelingt es auch, ein ungefähres Bild von dem Eulturzustand unsrer Vorfahren in Zeiten zu ent¬ werfen, an welche keine geschichtliche Ueberlieferung reicht. Erkennen wir z. B., daß nicht nur die Namen der wichtigsten Hausthiere, sondern auch allerlei Aus¬ drücke, die sich auf den Ackerbau beziehen, in allen oder den meisten indoger¬ manischen Sprachen dieselben und deshalb als Bestandtheile der indogermanischen Ursprache anzusehen sind, so lernen wir zugleich, daß unsre Vorfahren schon damals den Ackerbau kannten, als sie noch mit denen der verwandten Völker im fernen Asten eine einzige Nation bildeten. Der Leser wird begreifen, daß ") Es handelt sich hier natürlich nur um die Keilschrift der einfachsten Gattung, welch« jetzt so sicher gelesen werden kann, wie irgendeine beliebige griechische Inschrift, so daß man den Steinmetzen selbst zufällige Versehen nachweisen kann. Grenjboten I. 18vo. 1Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/107>, abgerufen am 22.12.2024.